Anna Veith arbeitet daran, wieder mit einem Selbstvertrauen aus dem Starthaus zu gehen, um 100 Prozent riskieren zu können.

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Sie waren Klassenkollegen in der Hotelfachschule in Bad Hofgastein, nun sind beide 30. Er, Marcel Hirscher, ist mit acht Weltcupgesamtsiegen en suite satt, sie, Anna Veith, hat noch Hunger und versucht ihn auch weiterhin mit Sport zu tilgen. Für die Salzburgerin ist es ein perfektes Leben, wenn sie aufsteht, den Sonnenaufgang sieht und tun kann, was sie so gerne macht: Skifahren. "Ich kann an mir arbeiten, mich steigern und mich an den anderen messen, das taugt mir", sagt Österreichs letzte Gesamtweltcupsiegerin, die 2013/14 und 2014/15 großes Kristall holte.

Knieverletzungsmisere

Während Hirscher von ganz schweren Verletzungen verschont geblieben war, nach seinem Knöchelbruch im August 2017 bereits im folgenden Winter wieder in die Spur fand, hat Veith in den vergangenen Jahren mit schweren Knieverletzungen viel mitgemacht. Die Entscheidung, weiterzufahren, reifte erst nach längeren Überlegungen. Im Juni verkündete sie, neues Feuer zu verspüren.

2015 hatte sie sich – noch als Anna Fenninger unterwegs – drei Tage vor Saisonbeginn beim Training in Sölden einen Kreuzband-, Innenband- und Patellasehnenriss im rechten Knie zugezogen und fiel die gesamte Saison aus. Nach ihrem Comeback Ende Dezember 2016 stand sie – schon als Anna Veith – bereits im Jänner 2017 in Cortina d’Ampezzo als Dritte des Super-G wieder am Stockerl, ehe sie wegen chronischer Entzündung der Patellasehne erneut unter das Messer musste. Im Dezember 2017 holte sie beim Super-G in Val d’Isère 1001 Tage nach ihrem Erfolg in Méribel 2015 wieder einen Weltcupsieg. Bei Olympia in Pyeongchang 2018 gab sie bereits ein Siegerinterview, als ihr die Tschechin Ester Ledecka um nur 1 Hundertstel doch noch Gold im Super G wegschnappte. Im Jänner 2019 dann die nächste Hiobsbotschaft vom Training in Italien: erneut Kreuzbandriss im rechten Knie. Sie verpasste die restliche Saison und die WM in Schweden.

Nichts überstürzen

Zuletzt musste sie sich in Geduld üben. Weil sie in der Vorbereitung zu wenige hochwertige Skitage hatte, das Knie manchmal zwickte und sie ihrem Körper Zeit geben wollte, hat sie Sölden ausgelassen. Am Samstag aber will die Olympiasiegerin von Sotschi 2014 im Super-G und dreifache Weltmeisterin beim zweiten Saison-Riesentorlauf in Killington (15:45/19 Uhr) am Start stehen.

Neben dem Skifahren im Allgemeinen ist der Riesentorlauf im Speziellen ihre Leidenschaft. In dieser Disziplin holte sie elf von 15 Weltcupsiegen. "Ich habe viel im Riesentorlauf durchgemacht, aber auch meine größten Erfolge in der Disziplin gefeiert. Es ist der natürlichste Schwung, den jeder fährt, und daher ist es auch am schwierigsten einen Riesentorlauf zu gewinnen. Darum reizt er mich aber auch am meisten."

Langsam herantasten

Vorerst möchte sie sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren: Riesenslalom und Super-G. Durch Weglassen der Abfahrt versucht sie zusätzliche Trainings-Ressourcen zu schaffen. Es gehe jetzt für sie auch darum, viele Kilometer mit jenem Material zu fressen, mit dem sie auch die Rennen bestreiten will.

Körperlich sei sie weiter, als vor der Verletzung, technisch fehlte es zuletzt noch, da sie sich erst wieder an die Belastung gewöhnen musste. "Das Skifahren habe ich ja nicht verlernt, aber ich muss Vertrauen finden und mir wieder zutrauen zu pushen. Darum geht es." Skifahrerisch ist früher oder später sicher wieder alles möglich, das Knie aber in gewisser Weise eine Schwachstelle, glaubt die Salzburgerin, die nun mehr Zeit für Regeneration und regelmäßig Physiotherapie benötigt.

Zehren von der Vergangenheit

Von früheren Erfolgen kann sie heute noch zehren. "Ich habe die Erfahrung, weiß, wie es funktionieren kann, das bringt mich sicher schneller weiter." Dabei sei der Fokus auf jeden einzelnen Tag wichtig, die Erinnerung an das Gefühl bei einem guten Schwung, die Überlegung, woran man arbeiten muss und wie man an ein Rennen herangeht.

Dass sie als erfolgreiche Rennläuferin eigentlich locker drauf losfahren könne, sei ein schöner Gedanke, den sie sich in Erinnerung ruft, wenn es mal nicht läuft.

Aber grundsätzlich brauche sie Druck, um sich weiterzuentwickeln. "Ich bin ein Mensch, der unter Druck funktioniert", sagt sie. Da dieser zuletzt aber sehr gering war, seien die Voraussetzungen ideal gewesen, sich in Ruhe vorzubereiten. Sie steckt sich hohe Ziele, damit die nötigen Schritte kommen können. Gegen Saisonende wären Plätze unter den besten fünf zufriedenstellend.

Veith glaubt, noch Jahre im Geschäft bleiben zu können. Irgendwann wird aber auch sie satt sein. Sie hofft, den besten Zeitpunkt nicht zu verpassen. (Thomas Hirner, 29.11.2019)