Fuminori Nakamura, "Der Revolver". Deutsch: Thomas Eggenberg. 22,– Euro / 185 Seiten. Diogenes, 2019
Cover: Verlag

Nishikawa ist ein nach außen hin unauffälliger Student, entspricht allerdings keineswegs der in Asien vorherrschenden Arbeitsethik. Er ist faul, an seinen Vorlesungen uninteressiert und ernährt sich von Zigaretten und Kaffee. Mit seinen Kollegen unterhält er sich über die neuesten Eroberungen, wobei die Studentinnen ausgetauscht und behandelt werden wie beliebige Konsumgüter.

Es wird herumgeprahlt, und es scheint so, als ob demjenigen, der keine Empathie erkennen lässt, der Rang des Alphamännchens gebührt. Kurzum, Nishikawa ist kein Sympathieträger. Doch da passiert etwas Seltsames. Während einer seiner ziellosen Wanderungen durch Tokio, bei denen es wie in einem dystopischen Film häufig finster ist und regnet, findet er unter einer Brücke einen Toten in einem schwarzen Anzug.

Aber das ist nicht das einschneidende Ereignis, das sein Leben verändert. Neben der Hand des Toten liegt ein Revolver, den Nishikawa, einem spontanen Trieb folgend, an sich nimmt.

Faszination der Waffen

Fuminori Nakamura hat diesen Text bereits 2003 in Japan veröffentlicht, es ist sein Debütroman und die Geschichte einer verhängnisvollen Besessenheit. Nishikawa hat bisher nie mit Waffen zu tun gehabt, doch dieser Revolver gefällt ihm immer mehr wegen seiner kalten Präzision, gepaart mit Schönheit.

In der Tat können Waffen etwas Faszinierendes haben. Wer einmal auf einem Schießstand zum Beispiel mit einer Glock hantiert hat und quasi instinktiv im Atemrhythmus den Druckpunkt ertastet und dann ohne jegliche Übung gute Treffer erzielt, kann das nachvollziehen.

Umso mehr braucht es danach Reflexionen, warum das so ist. Nishikawa fehlen solche Überlegungen. Er verspürt bloß Hochgefühl. Der öde Alltag wird erträglicher. "Jemanden einschüchtern oder auch beschützen. Jemand anderen oder mich selbst töten – kinderleicht. Unabhängig davon, ob ich es irgendwann tun würde oder nicht – wichtig war, dass ich die Möglichkeit in der Hand hatte, erfüllt vom kribbelnden Gefühl der Verlockung."

Fesselnde Zwischentöne

Hier geht es um potenzielle Macht, nicht um irgendeine Art von moralischer Reflexion oder Selbsterkenntnis. Was Nishikawa zunächst nicht durchschaut: Einen Fetisch kann man schwer beherrschen. Irgendwann besitzt einen der Fetisch. Als er nachzudenken beginnt, hat ihn der Revolver schon längst in seinen Bann gezogen.

Warum soll man einen nervenden Nachbarn nicht töten? Gibt es nicht viele Menschen, die es gar nicht verdienen, zu leben? Nishikawa nimmt sich da selbst nicht aus. Und gilt in Japan nicht nach wie vor die Todesstrafe, also was ist ein Mensch wert? Er gerät in Versuchung, jemanden umzubringen. Ein letztes Mal versucht er, den Fetisch loszuwerden, und plant, den Revolver ins Wasser zu werfen.

Es sind die Zwischentöne, die den Roman fesselnd machen. Fragt sich, ob Nishikawa nicht von Anfang an neben der Spur war und der Revolver nur der Auslöser für eine psychische Krise ist. Wie wird er sich entscheiden? (Ingeborg Sperl, 2.12.2019)