Pauline Delabroy-Allard, "Es ist Sarah", 22,– Euro / 192 Seiten. FVA, 2019
Cover: Verlag

"Ein ungestümes Klingeln, wie ein Peitschenschlag …" Gleich der erste Auftritt der titelgebenden Protagonistin ist furios. Wild, laut, zu stark geschminkt, frech, schlampig und frivol platzt sie in das gestelzte Abendessen dreier Paare an einem Silvesterabend.

Es ist Sarah, um die sich fortan alles dreht in diesem Buch. Die Erzählerin hatte sie davor schon einmal getroffen, aber sie kann sich daran nicht erinnern. Umso überraschender ist es, dass sie sich in Sarah verliebt. Sie, die bisher ausschließlich in heterosexuellen Beziehungen gelebt und eine kleine Tochter hat, wird von Sarah in eine Amour fou mitgerissen.

Ebenso atemlos wie das Ausbrechen dieser Liebe ist der Stil der Autorin: In 112 Kürzestkapiteln oder Szenen erzählt sie von der Naturgewalt dieser Bewegung. "Eine Frau lieben: ein Sturm." Auffallend ist, dass die Erzählerin diesen Umstand an keiner Stelle hinterfragt oder reflektiert. Es ist einfach so. Denn es ist Sarah.

Insofern unterscheidet sich dieser Roman von vielen klassischen Coming-of-Age-Texten. Das ist erfrischend. Mit derselben Selbstverständlichkeit wie die Erzählerin nimmt die Leserin zur Kenntnis, dass eine Frau eine Frau liebt. Auch die Eltern, denen die Erzählerin, eine Lehrerin, ihre neue Liebe gesteht, meinen nur lakonisch: "Ach ja, wie heißt sie denn?"

Leben auf der Überholspur

Das Setting ist bürgerlich, die Geschichte spielt großteils in Paris, die Familien haben Sommer- und Landhäuser. Trotzdem sind Sarahs Eltern entsetzt von ihrem Coming-out. Was die Liebe der beiden nicht verhindern kann. Die gerät aus einer ihr eigenen Dynamik ins Ungleichgewicht.

Sarah ist Geigerin, klassische Musik spielt eine große Rolle in dem schmalen Buch, das in ein schwindelerregendes Crescendo rast. Das 13. Streichquartett von Beethoven, sein Opus 130, hört die Protagonistin in Endlosschleife, und man möchte es ihr gleichtun. Das Obsessive nimmt überhand. Auch Gewalt kommt ins Spiel, psychische und physische.

Sarah, so erfahren wir, hat Angst vor Nachtfaltern und Statuen. Vor Ersteren, weil sie "wankelmütig sind". Vor Letzteren, weil sie fürchtet, "dass sie lebendig werden könnten". Lebendig, das ist auch das Adjektiv, mit dem Sarah am häufigsten bedacht wird.

Dieses Leben auf der Überholspur, wir ahnen es, lässt sich auf Dauer nicht durchhalten. Die erzählte Zeit in dem Buch umfasst knapp mehr als ein Jahr. Das letzte Drittel des Buches spielt in einem melancholischen, Bora-geschüttelten Triest. Dazu hören wir Der Tod und das Mädchen. Ein furioses, ein gnadenloses Debüt der Französin, die es damit gleich in die zweite Runde des Prix Goncourt schaffte. (Tanja Paar, 13.12.2019)