Im Kampf gegen HIV gibt es viele Fortschritte. Für den Sieg braucht es aber eine lückenlose Versorgung.

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Die Vereinten Nationen haben einen ehrgeizigen Plan: Bis zum Jahr 2030 soll die HIV-Epidemie der Vergangenheit angehören. Ihr Ziel nennt sich 90-90-90-0. Es soll schon nächstes Jahr erreicht werden, damit eine Dekade später niemand mehr an Aids erkrankt. Das heißt: 90 Prozent aller Menschen mit HIV sollen diagnostiziert sein, 90 Prozent der Menschen mit einer HIV-Diagnose eine antiretrovirale Therapie erhalten, und bei 90 Prozent der Menschen, die eine HIV-Therapie bekommen, soll die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegen, sodass HIV auch beim Sex nicht mehr übertragen werden kann. Die Diskriminierung HIV-positiver Menschen will man außerdem auf null senken.

Sieben Länder haben die 90-90-90-Ziele bereits im Jahr 2016 erreicht: Botswana, Kambodscha, Dänemark, Island, Singapur, Schweden und Großbritannien. Deutschland und Österreich sind auf einem guten Weg dorthin. Deutschland lag im Jahr 2016 Schätzungen zufolge bei 86-86-93 Prozent, in Österreich dürften es 92-94-85 gewesen sein. "Das größte Restproblem sind in Österreich die sogenannten Late Presenter, die erst sehr spät die Diagnose erhalten", sagt Clemens Schödl, HIV-Experte und General Manager von Gilead Sciences Österreich.

Europaweit erfolgt fast jede zweite HIV-Diagnose erst drei bis fünf Jahre nach der Infektion. "In Österreich fielen seit dem Jahr 2001 vier von zehn Diagnosen in die Kategorie der Late Presenter", heißt es vonseiten der Österreichischen Aids-Gesellschaft (ÖAG). Demnach gehen bis zu 50 Prozent der Neuinfektionen von Personen mit einer akuten HIV-Infektion aus. Die Viruslast könnte jedoch durch eine sogenannte antiretrovirale Therapie (ART) unter die Nachweisgrenze gesenkt und damit das Virus nicht mehr weitergegeben werden. So ließe sich die Ausbreitung der Krankheit eindämmen. Ein weiterer Effekt: "Je früher die Diagnose, desto besser ist der Zustand des Immunsystems und der Outcome der Therapie. Nur so können eine normale Lebenserwartung und eine hohe Lebensqualität erzielt werden", ergänzt Schödl.

Keine lückenlose Versorgung

Die Situation ist paradox, betont Jürgen Rockstroh, Präsident der European Aids Clinical Society (EACS). "Wir haben alle Instrumente, um HIV zu verhindern. Wir scheitern jedoch im Wesentlichen am Gesundheitssystem und der Politik." In Österreich zeigt sich das etwa bei der Prä- und der Postexpositionsprophylaxe (PrEP und PEP).

Seit 2016 ist die PrEP in der EU zugelassen. Dadurch lässt sich eine Infektion mit HIV verhindern, das haben mehrere Studien gezeigt. Sie ist vor allem für Hochrisikogruppen gedacht, etwa für Männer, die – aus welchen Gründen auch immer – ungeschützten Sex mit häufig wechselnden Männern haben, oder für die Partnerinnen beziehungsweise Partner unbehandelter HIV-Infizierter.

In Deutschland ist die PrEP seit 1. September 2019 eine Kassenleistung, Prognosen zufolge sollen damit bis zum Jahr 2030 etwa 21.000 HIV-Neuinfektionen verhindert werden. In Österreich sieht die Sache anders aus, die wichtigen Medikamente werden nicht von den Krankenkassen erstattet. "Ein Umstand, der sich rasch ändern muss", sagt ÖAG-Präsident Alexander Zoufaly. Konkret verwenden in Österreich derzeit 1.000 bis 1.500 Personen die PrEP, aber "zehnmal mehr würden sie brauchen", so Zoufaly weiter.

Auch die lückenlose Versorgung mit der PEP ist in Österreich noch ausbaufähig. Sie muss innerhalb von 48 bis 72 Stunden nach einem riskanten sexuellen Kontakt für die Dauer von einem Monat verabreicht werden. "Sie sollte also sehr, sehr rasch nach einem riskanten Geschlechtsverkehr zum Einsatz kommen. Dazu braucht es eine Versorgung rund um die Uhr, etwa an den Notfallambulanzen von Krankenhäusern, in denen HIV-positive Menschen schwerpunktmäßig behandelt werden", sagt Zoufaly. Das ist derzeit nicht der Fall, da die Medikamente chefärztlich bewilligt werden müssen. "Risikokontakte passieren meist nicht an einem Dienstagvormittag, sondern am Wochenende. So kommt es zu unnötigen Verzögerungen, es vergeht wertvolle Zeit", so Zoufaly.

Diskriminierung abschaffen

Um HIV eliminieren zu können, ist aber auch ein Sinneswandel notwendig. Null Stigmatisierung und Diskriminierung, lautet das hehre Ziel der Vereinten Nationen. Davon sind wir noch weit entfernt, auch unter der Ärzteschaft, wie das Diskriminierungsregister der Aidshilfen zeigt. Demnach berichten HIV-positive Menschen regelmäßig, dass sie als Patienten entweder abgelehnt werden oder nur Randtermine bekommen und bei Operationen als Letzte gereiht werden. "Hier herrscht offensichtlich ein großer Informationsmangel innerhalb des medizinischen Personals", kritisiert Zoufaly. (gueb, 1.12.2019)