Viel los in "Celestial Sorrow": Die Performer taumeln, stampfen, rollen, murmeln und hecheln.

Foto: Laura van Severen

Zu den ergreifendsten Erfahrungen für die Zuschauer eines Tanzstücks gehören Zweifel. Auf diese setzt Meg Stuart ganz besonders gern. Die in Brüssel und Berlin arbeitende US-amerikanische Choreografie-Großmeisterin (54) hat während der vergangenen 28 Jahre etliche äußerst "zweifelhafte" Werke hervorgebracht – inklusive jenen, die heute als Großtaten des zeitgenössischen Tanzes gelten. Jetzt zeigt das Tanzquartier Wien mit Celestial Sorrow Stuarts jüngste Arbeit.

Es ergeben sich Fragen: Zählt diese Kollaboration mit dem indonesischen bildenden Künstler Jompet Kuswidananto zu den wichtigen Werken in Meg Stuarts Œuvre? Oder fehlen dafür Originalität, Radikalität und Konsequenz? Schleppt sich nicht gegen Ende die Dramaturgie unmotiviert dahin, und bleibt das Performer-Tänzer-Trio Jule Flierl, Gaëtan Rusquet und Claire Vivianne Sobottke nicht weit hinter den großen Darstellern in früheren Stuart’schen Stücken wie Benoît Lachambre, Christine De Smedt oder Simone Aughterlony zurück?

Tiefe kulturelle Krise

Auch Kuswidanantos Bühneninstallation, ein Himmel voller Glühbirnen, ist zwar effektvoll, aber keine echte Überraschung. Noch weniger die im Tanz seit endlosen Jahren notorischen Gold- und Glitteringredienzen oder bunt blinkenden Lämpchen. Schiebt dieser ernüchternde Anteil von Celestial Sorrow die ganze Arbeit ins Mittelmaß?

Am Rande dieses Abgrunds allerdings gelingt es der Choreografin, ihre Figuren als Anzeichen einer tiefgreifenden kulturellen Krise aufzubauen, die global den "Südosten" wie den "Nordwesten" von innen und außen her auflöst. Nichts, das hergezeigt wird, stellt wirklich etwas dar.

Die drei Gestalten auf der Bühne gehören einem Irgendetwas in einem Nirgendwo an. Als kulturfreie Hüllen werden sie erst von ihrem Atem, dann von der Musik durch die Zeit geweht – genau als jene Gespenster, an die Stuart gedacht hat, während sie an dieser Performance arbeitete.

Der Geist des Billigen

Ähnlich fatale Ebenen durchpflügt die Künstlerin von Beginn ihrer Karriere an. Hannah Arendt zufolge ist das Böse vor allem banal. Das illustriert Meg Stuart immer wieder mit akribisch formulierten, nur selten konterkarierten Plattitüden.

In den meisten Arbeiten bisher ist ihr diese extreme Gratwanderung gelungen. Jetzt zeigt Celestial Sorrow wieder einen mörderischen künstlerischen Kampf, in dem der Geist des Billigen in abgefeimtesten Tarnungen beschworen wird, das Lächerliche als Diskursmaske einherhüpft und der Ernst welcher Lage auch immer zum Kasperl wird.

Die Performer taumeln, stapfen, rollen und tänzeln durch diese Wirklichkeit, murmeln, hecheln, singen Nonsens – und es bleibt Sobottke vorbehalten, den elenden Glitter des Mimens mediokrer Gefühle in einem hinreißenden Solo durch den Kakao zu ziehen. Das Fazit insgesamt: ein brillantes Bild unserer Zeit. (Helmut Ploebst, 29.11.2019)