Die Gipfelkonferenz der Königinnen, ein Unterschied von Tag und Nacht: Isabella Szendzielorz (li., als Königin Elisabeth) und Marion Reiser (Maria Stuart).

Foto: Helmut Walter

Schwer zu sagen, ob Friedrich Schiller, der größte aller Menschheitserzieher, auf deutschen Marktplätzen, eingekeilt z.B. zwischen AfD-Rassisten und Pegida-Hetzern, heute eine gute Figur abgäbe. Schillers sehr sympathischer, aber auch ein wenig schmächtiger Wiedergänger ist dieser Tage im Linzer Phönix-Theater leibhaftig zu bewundern. Er trägt rotes Haar und hat, weil ihn permanent der Hafer der Moral sticht, empörungsheiße Wangen. Er ist, um der erfreulichen Wahrheit die Ehre zu geben, eine Frau (Raphaela Möst).

Schiller fungiert in Georg Schmiedleitners groß geschriebener und klug gedachter Revue ("Schiller. Aufruhr und Empörung") als Museumswärter: als eine Art Fremdenführer(in) in eigener Sache. Er rezitiert ein hinreißendes Schwäbisch. Er irrt durch eine Folge von Szenen, allesamt posthum herausgebrochen aus seinem ehrfurchtgebietenden Reclam-Büchermassiv. Der Bogen spannt sich von den wüsten "Räubern" über den wenig geschätzten "Fiesco" hinüber bis zum freiheitspathetischen "Tell".

Skandale schreien zum Himmel

Man ist noch gar nicht im Saal des Phoenix angekommen, da wühlt sich bereits eine Lady Milford (Marion Reiser) mit weißem Fließhaar durch die Menge. Die Verschickung der eigenen Landeskinder durch ihren württembergischen Fürsten: Der Skandal schreit zum Himmel. Eine Stromgitarre (Petra Schrenzer) bohrt die Nerven an. Von Anfang an ist der Abend auf Krawall gebürstet. Und weil gegen die Bande des Karl Moor kein Kraut gewachsen ist, irren die Zuschauer ein bisschen verloren durch einen kahlen Wald aus nackten Stämmen. Ehe sie sich denn doch noch hinsetzen dürfen, um sich auf Schillers Lorbeeren auszuruhen.

Dem jungen Dichter, der anno 1782 noch kein Klassiker ist, sondern ein Jim Morrison, der Fürsten schreckt und sein "tintenklecksendes Säkulum" Mores lehrt, ist kaum zu helfen. Die letale Lungenkrankheit deutet sich bereits angstkeuchend an. Ein bisschen pflichtschuldig handelt Schmiedleitner die nächsten Schlüsselszenen ab. Aber spätestens nach der Pause beginnt der Abend zu fliegen: Das herrliche Räderwerk von Schillers Rhetorik dreht sich unaufhörlich.

Maria Stuart (Marion Reiser) haust wie ein Tier im Käfig, ein animalisches Echo auf Königin Elisabeths royale Erstarrung. Tell (Möst) darf seinen Armbrustschuss in einem Italo-Western wagen. Über allem aber flirren und schwirren die Schiller-Sätze, die es niemals an Beredtheit fehlen lassen. Übrig bleibt eine Klassikerzentrifuge, deren Inhalt mit politischen Tageslosungen gestreckt wird. Zeit, nach Linz zu kommen, um sich von Schmiedleitners Truppe ästhetisch erziehen zu lassen. (Ronald Pohl, 29.11.2019)