Bild nicht mehr verfügbar.

Der Wahlkampfbesuch in Healey's Cornish Cyder Farm verlangt nach einer Erfrischung für Boris Johnson.
Foto: Dan Kitwood / Pool via REUTERS

Einen Vorteil hat der Wahlkampf im Spätherbst: Den Stimmenwerbern öffnen deutlich weniger Nackte die Wohnungstür als in den Frühlingsmonaten. Mit dieser Beobachtung aus ihrem Wahlkreis hat Labour-Politikerin Emily Thornberry Großbritannien aufgeheitert. Sollte der unerwünschte Fall doch einmal eintreten, hat die 59-Jährige einen guten Rat: "Nie nach unten schauen."

Thornberrys Partei hingegen starrt unter der Führung von Jeremy Corbyn vor dem Urnengang am 12. Dezember immerzu nach unten: in das tiefe schwarze Loch der vierten Niederlage in Folge.

Im Umfragedurchschnitt liegen die Sozialdemokraten bei knapp 30 Prozent, zehn Punkte niedriger als 2017 – und damit deutlich hinter der konservativen Regierungspartei von Boris Johnson, die ihren Stimmanteil (42) in etwa hält.

Das Institut YouGov hat sogar errechnet: Die Tories könnten gut 40 der 632 Wahlkreise Großbritanniens hinzubekommen, zumeist auf Labours Kosten. Während die Konservativen 2017 eine Minderheitsregierung bilden mussten, könnten sie in den kommenden fünf Jahren bequem mit eigener Mehrheit regieren – ganz ohne nordirische Unionisten. An warnenden Stimmen aus dem konservativen Lager, etwa von Johnsons Chefberater Dominic Cummings, mangelt es dennoch nicht.

Ausgelaugter Corbyn

Umgekehrt verweisen Labour-Aktivisten auf 2017, als man zuletzt doch noch aufholte. Damals aber waren die Rahmenbedingungen andere. Theresa May machte mit einer defensiven Kampagne viel kaputt für die Tories. Diesmal hingegen ist es der 70-jährige Labour-Chef, der ausgelaugt, ungeduldig und abweisend wirkt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Jeremy Corbyn droht an Boris Johnson zu scheitern: So sehen es die Demoskopen.
Foto: REUTERS/Toby Melville

Corbyns Hauptproblem ist Johnson. Sonst für flotte Sprüche bekannt, übt dieser jetzt eiserne Disziplin und wiederholt zur Langeweile aller unaufhörlich: Zieht den Brexit durch! Damit nicht genug: Seine Regierung werde nicht nur am 31. Jänner wirklich, sicher, ganz bestimmt den EU-Austritt bewerkstelligen; im Wahlprogramm wird auch ausdrücklich eine Verlängerung der bis Ende 2020 dauernden Übergangsphase ausgeschlossen. Die Verhandlungen über die zukünftige Zusammenarbeit mit der EU müssten also binnen elf Monaten über die Bühne gehen, was EU-Chefunterhändler Michel Barnier höflich als "sehr schwieriges Szenario" bezeichnet. Ex-Premier Tony Blair wird deutlicher: "So ein Unsinn!"

Populär ist der Slogan auf jeden Fall, selbst eingefleischte EU-Freunde sehnen sich nach einer Klärung des leidigen Themas. Dass am Ende wieder ein Chaos-Brexit drohen könnte, wird kaum erwähnt.

Sperrige Themen, dünnhäutige Politiker

Ähnliches gilt auch für andere Themen: Pensionen und Pflege, die Zukunft der Streitkräfte, die Klimakrise. Zu diesem Thema hatte Channel 4 am Donnerstag eine Debatte organisiert, doch Johnson verweigerte die Teilnahme. Dass die TV-Macher Johnson durch eine Eisskulptur ersetzten und den konservativen Minister Michael Gove von der Debatte ausschlossen, beantworteten die Tories mit Drohungen: Man müsse wohl die Lizenz des Kanals überprüfen.

Auf ähnliche Dünnhäutigkeit lässt eine Passage im Tory-Programm schließen, in dem von einer Reform der unabhängigen Gerichtsbarkeit die Rede ist. Im September hatte der Premier das Unterhaus für fünf Wochen in den Zwangsurlaub geschickt, was der Supreme Court einstimmig für rechtswidrig erklärte. Nach diesbezüglichem Disput geht bei Experten nun die Sorge um, die Konservativen wollten ihren Gesinnungsfreunden in Polen und Ungarn nacheifern und die Justiz stärker unter Kuratel nehmen.

Fragen nach solch kontroversem Umbau der ungeschriebenen Verfassung mochte Johnson auch am Freitagabend nicht beantworten und schickte einen Vertreter zur nächsten TV-Debatte der sieben Parteiführer. Seinem Leib-und-Magen-Blatt "Spectator" hingegen gewährte dessen ehemaliger Chefredakteur, ganz im Stil osteuropäischer Populisten, ein ausführliches Interview.

Bild nicht mehr verfügbar.

Emily Thornberry hat im Wahlkampf mitunter mit nackten Männern zu tun.
Foto: AP Photo/Kirsty Wigglesworth

Immerhin hatte Thornberry bei einer Wählerbegegnung etwas zu schmunzeln. Zwar öffnete tatsächlich ein Mann seine Wohnungstür im Adamskostüm, versicherte aber ungefragt: "Natürlich wähle ich Labour, aber jetzt muss ich kochen." (Sebastian Borger, 29.11.2019)