Ende Dezember ist die Ära Treichl in der Ersten vorbei. "Was war meine Macht?", fragt er kokett, der Banker, der auch gern Papst oder Dirigent geworden wäre. Und räsoniert über Macht, Abschied und (einen) Basketballer.


STANDARD: Glauben Sie immer noch, dass Sie in den Himmel kommen? Haben Sie 2007 so gesagt.

Treichl: Weiß ich nicht, ich habe mich in letzter Zeit nicht danach erkundigt, da oben. Momentan beschäftigt mich das nicht.

STANDARD: Was beschäftigt Sie?

Treichl: Die Vorbereitungen für meinen neuen Job ...

STANDARD: Sie werden Aufsichtsratschef der Erste-Stiftung, die elf Prozent der Erste-Aktien hält ...

Erste-Group-Chef Andreas Treichl verabschiedet sich aus dem Bankgeschäft – nicht, ohne die Politiker zu kritisieren.
Foto: Regine Hendrich

Treichl: Am Montag wurde ich zum Vorsteher des Vereins der Ersten Oesterreichischen Spar-Casse Privatstiftung gewählt. Ein guter Moment für mich. 1975, ich hab noch studiert, war ich mit meinem Vater (1970 bis 1981 Creditanstalt-Chef, Anm.) und meinem Taufpaten Harold Seidler essen, er war Vereinsvorsteher der Ersten. Der Vater hat wieder einmal erzählt, wie großartig die CA ist und was für eine Würstelbude die Erste. Seidler sagte: "Heinrich, du hast völlig recht. Aber du wirst sehen: Es kommt der Tag, an dem es die CA nicht mehr gibt und die Erste noch immer." Seither habe ich eine gewisse Affinität zur Ersten.

STANDARD: Die Sie jetzt 22 Jahre lang geführt haben. Was hätten Sie besser nie gemacht?

Treichl: In den 22,5 Jahren? Das aufzuzählen ginge sich in dem Interview nicht aus. In den ersten zehn Jahren ist extrem viel gelungen, auf ein paar Dinge habe ich aber ziemlich lang zu wenig Augenmerk gelegt – und die sind uns in der Krise auf den Kopf gefallen. Wir hatten jede Menge fauler Kredite, mussten wie die Wahnsinnigen Firmenwerte abschreiben, hatten völlig unnötige Investitionen in Island-Anleihen. Das hat sich akkumuliert, und das Aufräumen war erst 2014 wirklich erledigt. Es war brutal. Die Zeit davor, die Zeit unserer Zukäufe, war auch aufregend – aber schön.

STANDARD: Sie sagen immer, Banker seien durchschnittliche und mittelmäßige Typen ...

TREICHL: Stimmt nicht.

STANDARD: Doch. "Hochtalentierte gehen in andere Berufe", haben Sie gesagt.

Treichl: Ja, Hochtalentierte werden Künstler oder Sportler ...

STANDARD: ... genau, und verdienen viel mehr als Sie, wie Sie immer betonen. Aber dazu komme ich später noch.

Treichl: (lacht) Die Mittelmaß-Aussagen kommen davon, dass ich meinen Leuten nach der Finanzkrise gesagt habe: Ich will keine Superstars. Weil die Krise dadurch entstanden ist, dass ein paar Supergscheite ihre Intelligenz in die Entwicklung von Finanzprodukten gesteckt haben, mit denen sie die Naturgesetze überwinden und aus einer risikoreichen eine risikoarme Anlage kreieren und so Geld verdienen wollten. Damit sind sie voll auf die Nase gefallen und das hat Millionen von Menschen sehr viel Geld gekostet. Solche Leute wollte ich nicht, ich wollte Leute, die Produkte kreieren, die man versteht.

STANDARD: Sie selbst wollten als Junger ja gar nicht Banker, sondern Papst oder Dirigent werden. Warum eigentlich Papst? Wegen der roten Schuhe?

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Hier, in der Wiener Dominikanerkirche, hat Treichl seinen Wunsch entwickelt, Papst zu werden.
Foto: Willfried Gredler-Oxenbauer / picturedesk.com

Treichl: Nein, wir waren mit meinen Eltern immer in der Dominikanerkirche und da stand Pater Diego Goetz auf der Kanzel, hat sich die weiß-schwarze Kutte schwungvoll über die Schulter geworfen und seine Predigt donnernd begonnen. Das hat mir so gut gefallen! Das muss ein herrlicher Beruf sein, hab ich mir gedacht: Du stehst da oben und unten müssen alle kuschen und dir zuhören.

STANDARD: Und Sie wollten gleich Papst werden, weil der hat ex cathedra immer Recht?

Treichl: Ja, ja, wenn, dann gleich ganz oben.

STANDARD: Zurück zum Bankgeschäft. Kann man das Geschäft der 1990er überhaupt noch vergleichen mit dem heutigen?

Treichl: Nein. Wir machen das Gleiche wie damals, aber unter völlig anderen Rahmenbedingungen: viel mehr Regulierung und Eigenkapital, neue Vorschriften, unendlich mehr Aufwand für Kontrolle und Regulierung, Konkurrenz von Fintecs. Das hat auch dazu geführt, dass Banken weniger profitabel sind. Gleich blieb, dass man die Kunden gut betreuen muss.

STANDARD: Hat Ihnen das Bankgeschäft noch Spaß gemacht?

Treichl: Ja, es ist superspannend. Eigentlich ist es ja viel zu lange, wenn ein Unternehmen 22 Jahre denselben Chef hat, aber dadurch, dass wir durch so viele unterschiedliche Phasen gegangen sind, war’s aushaltbar.

STANDARD: Sie übersiedeln jetzt in die Stiftung, aus der Chefetage auf die andere Seite des Erste-Campus, in dieses zweistöckige Haus ...

Treichl: Ich habe nur ein Stockwerk. Das Haus steht da drüben, in der D-Wagen-Schleife drinnen.

STANDARD: "Mein Büro ist in der Umkehrschleife der Straßenbahn": Sie können’s schon sagen, ohne zu weinen?

Treichl: Aber ja.

STANDARD: Sie wollten die Stiftung, die mit den Dividenden der Bank Soziales und Kultur fördert, zur größten Stiftung Europas machen. Das ist Ihnen nicht gelungen.

Treichl: Habe ich so getrommelt früher? Das sind Worte aus meiner Jugend.

STANDARD: Es ist nicht so lang her, dass Sie das gesagt haben.

Treichl: Ich war relativ lange jung. Größe ist für mich keine Kategorie mehr, das hab ich gelernt. Die beste Stiftung sollt es sein.

STANDARD: Die Stiftung, die hohe Schulden wegen des Erwerbs der Erste-Aktien hatte, wäre im Februar 2009 fast umgefallen. Der Kurs der Erste-Aktie fiel auf sieben Euro, die Bank verlor an einem Tag eine halbe Milliarde Euro an Börsenwert. Haben Sie sich als Loser gefühlt?

Treichl: Natürlich. Pleite wäre die Stiftung nicht gegangen, weil sie ihre Aktien nicht verpfändet hatte. Das war das Gute. Weniger gut war, dass der Kurs von 60 auf sieben Euro runterging. Der einzige Weg, den es gab: arbeiten, arbeiten, arbeiten und hoffen, dass es gut geht. Ich hatte viele Kollegen und Kolleginnen, die sich mit mir die Ärmel aufgekrempelt und gesagt haben: Wir holen uns da raus, wir schaffen das.

STANDARD: Sie haben den Absturz damals mit der "Panik wegen der Ostregion" begründet, in der Österreichs Banken zuvor stark zugekauft hatten. In Osteuropa waren die Österreicher wie Cowboys unterwegs, oder?

Treichl: Ja, im Osten waren wir zu aggressiv, sind zu stark gewachsen, haben viel zu viel Fremdliquidität in die Länder gebracht – bis hin zu Schweizer-Franken-Krediten. Das war alles überzogen.

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Die Erste-Group hat, unter anderem, nach Tschechien expandiert, die Česká spořitelna im Jahr 2000 übernommen.
Foto: Foltin / WirtschaftsBlatt / picturedesk.com

STANDARD: Jetzt brummt das Geschäft wieder, 2018 hat die Erste 1,8 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied von der Macht?

Treichl: Ganz ehrlich? Null Komma null schwer.

STANDARD: Geh.

Treichl: Was war meine Macht? Ich war Leiter eines relativ großen Unternehmens, hatte einen Vorstand, einen Aufsichtsrat, die Aufsichtsbehörden FMA, Nationalbank, Europäische Zentralbank ...

STANDARD: ... und 48.000 Mitarbeiter unter sich.

Treichl: Das alles ist nicht Macht.

STANDARD: Was ist Macht sonst?

Treichl: Wenn man durchsetzen kann, was man durchsetzen will.

STANDARD: Das konnten Sie doch.

Treichl: Das ist für mich keine Kategorie. Ich hatte einen Job, und jetzt hab ich einen anderen Job. Einen, den ich immer haben wollte und auf den ich mich sehr freue. Sicher: Einfluss zu haben ist unterhaltsam. Man kann aber auch ohne 48.000 Mitarbeiter Einfluss haben.

STANDARD: Wer hat das letzte Mal Nein zu Ihnen gesagt? Familienmitglieder ausgenommen.

Treichl: Mein Aufsichtsratsvorsitzender, bei einer sehr wichtigen Personalentscheidung. Ist ein paar Jahre her.

STANDARD: Friedrich Rödler, der Erste-Group-Aufsichtsratschef, gilt als einer der ganz Wenigen, auf die Sie hören.

Treichl: Er ist extrem stark und professionell und ist jeden Tag stundenlang in der Bank. Wenn ich spüre, dass er ernsthafte Bedenken hat, überlege ich sehr gut und wir diskutieren so lange, bis einer von uns beiden gewinnt. (lacht) Nein, entweder ich konnte ihn überzeugen oder er hat mich von seinen Bedenken überzeugt. Ganz normal.

STANDARD: Das Gefährliche an der Macht ist doch das Abheben. Sie glauben, Sie sind am Boden geblieben?

Treichl: Ja, gefährlich wird es, wenn man kein Korrektiv mehr hat. Wenn man glaubt, alles besser zu wissen, und niemand mehr widerspricht. Den Zustand hatte ich auch einmal, vor der Krise, da habe ich geglaubt, ich kann alles. Ich kam aber schnell drauf, was ich nicht kann. Nach so einer Erfahrung ist man relativ immun gegen Selbstüberschätzung. Wenn ich abgehoben bin, hat mich die Realität wieder auf den Boden geholt.

STANDARD: Zwischen Krise und jetzt blieb viel Zeit zum Abheben.

Treichl: Seit fünf Jahren läuft’s wieder gut. Der neue Vorstand muss sicher sehr viel erledigen, was ich nicht erledigt habe. Wir wollen uns ja nicht mehr als Bank sehen, sondern als Firma, die sich um die finanzielle Gesundheit ihrer Kunden kümmert – und das hat viele Konsequenzen. Etwa die, dass wir nicht nur digitalen Service anbieten, sondern weiterhin hochkompetente Mitarbeiter beschäftigen. Die Erste wird also höhere Kosten haben als rein digitale Banken, und das heißt, dass wir noch effizienter sein müssen als die. Ich werde mich in der Stiftung um den Teil kümmern, den die Bank nicht profitabel machen kann.

STANDARD: Um Finanzbildung?

Treichl: Ja. Es gibt in unserer Region immer noch 15 bis 18 Millionen Menschen, die zu arm sind, um von einer Bank als Kunden genommen zu werden. Gelingt es der Stiftung, jedes Jahr ein Prozent von ihnen in ein halbwegs gesundes Finanzleben zu führen, leistet sie auch einen guten Beitrag für die Bank.

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Roger Federer verdient mehr als Treichl, das steht fest. "Cool", kommentiert das der Banker knapp.
Foto: AP/ Dolores Ochoa

STANDARD: Apropos Einkommen. Sie haben immer sehr gereizt reagiert, wenn man Sie auf Ihres ansprach. Warum? Sie haben halt gut verdient, 2015 bis 2018 rund elf Millionen Euro brutto. Sie kommen dann immer mit dem Vergleich, dass Spitzensportler viel mehr verdienen. Zu Ihrer Information: Roger Federer hat heuer angeblich schon 65 Millionen verdient ...

Treichl: Cool. Es hat mich geärgert, dass man mich immer zum Superverdiener hochstilisiert hat. Wir haben die Vorstandsgehälter veröffentlicht, bevor es Pflicht war – und es gab viele andere, die mehr verdient haben, aber ich musste den Kopf hinhalten. Ich ärgere mich schon lang nicht mehr drüber. That’s history.

STANDARD: Sie werden in letzter Zeit nicht müde, vor den Folgen der Nullzinspolitik zu warnen: Da wachse eine Generation heran, die kein Vermögen mehr aufbauen kann.

Treichl: Ja, und ich bin sicher, dass wir noch länger mit Null- und Negativzinsen werden leben müssen, in eine Art Japanisierung geraten. Weil in Österreich Investieren in Aktien weithin als Spekulation angesehen wird, es keine verzinslichen, risikoarmen Anlagemöglichkeiten gibt, bleibt nur das Investment in Immobilien. Deren Preise steigen, Leute, die nicht so viel verdienen, können sich daher den Wohnraum nicht beschaffen, den sie gern hätten.

STANDARD: Vielleicht gehen die einmal auf die Straße?

Treichl: Ich weiß es nicht. Aber nehmen Sie das Klima: Das war über viele Jahrzehnte kein Thema für etablierte Parteien, lange haben sich nur die Grünen dafür eingesetzt. Und plötzlich kommt eine so starke Bewegung, dass alle Parteien realisieren: Wenn ich nicht grün werde, laufen mir die jungen Wähler davon.

Steigende Immobilienpreise und Wohnkosten, die immer weiter aufgehende Vermögensschere: Wird die junge Generation dagegen auf die Straße gehen?
Foto: APA/AFP/Solaro

STANDARD: Es braucht eine Greta Thunberg für den Finanzmarkt und gegen Nullzinsen?

Treichl: Es ist natürlich sympathischer, für Amazonas-Urwald und gegen Umweltverschmutzung einzutreten als für höhere Zinsen oder Aktieninvestments. Wie man dafür eine emotionelle Jugendbewegung bekommen könnte, weiß ich nicht. Aber sicher ist, dass nach der Erbengeneration eine Generation kommt, die von ihrem Erwerbseinkommen leben muss und der nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben die Verarmung droht. Wir müssen am Pensionssystem arbeiten und einen Weg finden, junge Menschen am Erfolg der Wirtschaft ihrer Region teilhaben zu lassen. Eine Möglichkeit sind Aktien.

STANDARD: Mit den Themen lassen sich keine Stimmen gewinnen?

Treichl: Nein, offenbar eignet sich das Thema Pensionsproblematik nicht für politische Lösungen. Alle Politiker, die sich bisher ernsthaft damit befasst haben, sind auf die Nase gefallen. Und die politische Richtung, die sich dafür eignet, kenne ich nicht: Es gibt die, die sagen, die ungerecht verteilten Vermögen müssen umverteilt werden. Die anderen sagen, sie beschützen die existierenden Vermögen. Ich wünsche mir eine politische Richtung, die sagt: Wir möchten Möglichkeiten schaffen, dass sich junge Menschen durch Arbeit ein kleines Vermögen erwirtschaften können. Dafür braucht es eine völlige Änderung unserer Kultur.

STANDARD: Sie sind für Umverteilung?

Treichl: Durch die Nullzinssituation öffnet sich die Vermögensschere immer mehr – und das geht auf die Dauer nicht, es braucht eine andere Verteilung. Wir müssen Solidarität üben, da müssen sich Kontinente zusammentun, nicht nur einzelne Länder. Die Politik macht allerdings das Gegenteil. Weder zwischen China und den USA noch innerhalb Europas gibt es die Einsicht, dass man jetzt einmal zehn Jahre lang gemeinsam Probleme lösen muss. Danach können sie einander ja wieder zehn Jahre lang ins Gesicht schlagen.

STANDARD: Sie trauen der Politik das nicht zu?

Treichl: Wenn die jungen Menschen Druck auf die Politik machen und sagen: Ihr lebt auf unsere Kosten, nehmt uns unsere Pensionen weg, ihr müsst was machen – dann werden sich die Politiker auch dieses Problems annehmen. Ich kann es mir nicht anders vorstellen.

Im nächsten Leben wird Treichl: Basketballer.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Rückblickend: Je bereut, dass Sie nicht Dirigent oder Papst wurden?

Treichl: Papst steht mir ja noch offen, altersmäßig.

STANDARD: Aber werden Sie nächstes Mal wieder Banker?

Treichl: Wenn ich noch einmal auf die Welt komme? Probier ich einmal ganz was anderes aus: Basketballspieler.

STANDARD: Ich weiß nicht: Ob Sie groß genug dafür sind?

Treichl: Nächstes Mal werde ich größer. (Renate Graber, 1.12.2019)