Die Umsturzversuche scheinen abgewehrt – vorerst.

Foto: APA / Helmut Fohringer

Donna bittet um einen Augenblick Pause. Die Aufregung lässt sie nach Luft schnappen, und das liegt nicht nur an den Kameraleuten, die sich vor dem Eckhaus in der Wiener Löwelstraße postiert haben. Aus der Fassung bringen sie jene Herrschaften, die hinter der rot beschilderten Gründerzeitfassade ihre Büros haben. "Die da oben sind für mich keine Sozialdemokraten mehr", sagt Donna, "das sind schlechte Menschen."

Es ist der Zorn über die eigene Führungsriege, der Donna mit ein paar Dutzend Gleichgesinnter vor die SPÖ-Zentrale getrieben hat. Junge Sozialdemokraten haben zum Flashmob gerufen, um gegen den harten Sparkurs im Haus zu protestieren.

Am Donnerstag hatte die Parteispitze per Mail 23 Mitarbeiter gekündigt, nein – pardon – über das Ende ihrer Anstellung mit Ende März unterrichtet. "Bitte verstehe dieses Schreiben nicht als Kündigung", hieß es, "sondern als schlichte Information."

"Was soll das denn heißen?", ärgert sich Donna, nachdem die Gruppe mit gestreckter Faust die Internationale abgesungen hat: "Das ist, also ob mir mein Freund schreibt, er mache nicht Schluss mit mir, wolle mich aber nicht mehr sehen." Der Umgang mit den Mitarbeitern sei "ein Desaster", schimpft ein anderer Genosse: "Die Jungen werden rausgehaut, die Bonzokratie wird geschützt." Ein Dritter sagt: "Es reicht. Die Parteispitze muss gehen."

Kein unumstrittener Nachfolger

Am Abend davor schien es, als wäre es bald so weit. Im Sog des weitverbreiteten Ärgers über das Sparprogramm hatten sich Gegner von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner formiert, um eine Mehrheit für ihre Ablöse zu finden. Doch der Plan scheiterte offenbar am Widerstand der Landesparteien aus Wien und dem Burgenland. Dem Vernehmen nach soll auch die Gewerkschaft die amtierende Vorsitzende gestützt haben.

Problem bei den Planspielen: Ein völlig unumstrittener Nachfolger, der eine Dauerlösung sein könnte, bietet sich nicht an. Die größte Mehrheit hätte wohl Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser hinter sich, sofern er sich für diese Mission breitschlagen lasse. Aber auch er wäre nur ein Mann für den Übergang, ehe ein Kandidat für die nächste Nationalratswahl gefunden ist.

"Es gibt einzelne Personen, die ihren Unmut geäußert haben", bilanziert Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, nicht minder umstrittener Adlatus Rendi-Wagners, die Turbulenzen von Donnerstagabend: "Aber ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesländer und die Gewerkschaft eindeutig hinter ihr stehen." Natürlich werde Rendi-Wagner bleiben – und zwar bis zum nächsten Parteitag, "wo sie wieder als Vorsitzende antreten wird".

Die Entwicklung abtöten

In den Ohren mancher Sozialdemokraten klingt das wie eine Drohung. Wenn es einen Neustart geben solle, führe kein Weg am Rücktritt Rendi-Wagners vorbei, sagt Boris Ginner von der Wiener Sektion Z (für "Zuagrast"), der zum Flashmob vor die Zentrale gekommen ist: "Die Entwicklungen, die unsere Bewegung abtöten, müssen gestoppt werden."

Was die Parteispitze denn alles falsch gemacht hat? "Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll", stöhnt Ginner. Zum Beispiel bietet sich die Ibiza-Affäre im Mai an: "Die SPÖ hat es geschafft, aus einem aufgelegten Elfmeter ein Eigentor zu machen, aus einer Chance das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten", sagt der Aktivist: "Es ist eine Never-Ending Story der Stümpereien."

Der Flashmob vor der Parteizentrale im Video.
DER STANDARD

Hohe Sozialdemokraten urteilen hinter vorgehaltener Hand um nichts milder. Ob Ibiza oder jüngst die Casinos-Affäre – die Gegner werfen Rendi-Wagner vor, in entscheidenden Momenten zu zaudern und abzutauchen, statt eine klare Linie vorzugeben. In den Worten des niederösterreichischen Parteichefs Franz Schnabl, der in den letzten Tagen die direktesten Angriffe gestartet hat: Die SPÖ hat sich als nicht oppositionsfähig erwiesen.

Die letzte konzertierte Kampagne, die über längere Zeit durchgehalten wurde, gelang der SPÖ gegen den Zwölfstundentag – das war vor eineinhalb Jahren, also vor Rendi-Wagners Amtsantritt. Den heurigen Wahlkampf haben die Verantwortlichen zwar als "fehlerlos" gepriesen, doch das Prädikat "belanglos" scheint eher angemessen: Die SPÖ stürzte von knapp 27 auf 21 Prozent ab.

Inbegriff der Innovationsresistenz

Schier endlos macht sich in den Augen der Kritiker die Fehlerkette nach dem Urnengang aus: Erst kam der Blackout-Sager "Die Richtung stimmt" am Wahlabend, dann ein verunglücktes Interview im ORF-"Report", wo Rendi-Wagner ad hoc kein Alleinstellungsmerkmal der SPÖ einfiel, dazwischen eine Entscheidung mit großem Spaltpotenzial.

Sie machte den von Erfolg ungekrönten Wahlkampfmanager Deutsch zum Bundesgeschäftsführer, der Vorgeschichte zum Trotz: Deutsch zählt mit Ex-Kanzler Werner Faymann und der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures zur "Liesinger Partie", die Kritikern als Inbegriff der Innovationsresistenz gilt.

Deutsch spielt auch im aktuellen Aufruhr eine Schlüsselrolle. Dass die Bundespartei sparen und deshalb Personal loswerden muss, lässt sich angesichts von 15 Millionen Euro Schulden schwer bestreiten, doch es geht um das Wie: Einmal mehr schaffte es das rote Krisenmanagement, ein Problem zur höchsten Eskalationstufe auswachsen zu lassen.

Deutsch wehrt sich gegen den Vorwurf der Kaltherzigkeit: Die Mails an die Betroffenen seien im Einvernehmen mit dem Betriebsrat geschickt worden, damit nicht alle 100 Mitarbeiter im Unklaren blieben, und natürlich werde für jeden Einzelnen eine Lösung gesucht – etwa ein Ersatzjob bei einer anderen SP-nahen Organisation. Laut Gewerkschaft ist auch ein Sozialplan zugesichert.

Narrenfreiheit der Chefin

Doch warum hat der Parteimanager Möglichkeiten zur Abfederung nicht ergriffen, bevor die Belegschaft vor Weihnachten mit Kündigungen geschockt wurde, fragen sich die verärgerten Genossen. Und dann ist da noch der mit 24.000 Euro im Monat dotierte Beratervertrag mit Ex-Faymann-Sprecher Nedeljko Bilalic, der erst jetzt gekürzt werden soll. Die Chefin einer soliden Partei habe die "Narrenfreiheit", sich so etwas zu leisten, sagt ein Präsidiumsmitglied: "Aber nicht, wenn aus Geldnot die Leute rausfliegen."

De facto aufgelöst wird in der SPÖ nun das Büro für Bürgerkontakte, auch die für Events zuständige Organisationsabteilung liegt im Argen. "Dort sitzen aber gerade junge Leute, die was von Kampagnen verstehen", klagt ein Demonstrant vor der Zentrale.

Rendi-Wagner selbst war hingegen bei einem Krisentreffen mit roten Spitzenpolitikern im Wiener Rathaus zugegen. Die Umsturzversuche scheinen abgewehrt – vorerst. "Ich bin und bleibe Bundeschefin", sagte sie im Anschluss. Ob sie dafür noch genug Unterstützung hat? "Ja, das Gefühl habe ich." (Gerald John, 30.11.2019)