Bild nicht mehr verfügbar.

Der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken sind neue SPD-Vorsitzende.

Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Es war schon ein kleines Erdbeben, das am Samstagabend das Willy-Brandt-Haus in Berlin erschütterte. Zwar hatte es kein wirkliches Favoritenpaar beim großen SPD-Casting gegeben, aber dass letztendlich doch der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken siegten, überraschte viele.

Scholz als Verlierer

Schließlich war Finanzminister, SPD-Vize und Vizekanzler Olaf Scholz der Prominenteste im Rennen um den SPD-Vorsitz gewesen. Doch es zeigt sich, und das recht deutlich: Die meisten Genossen haben genug von ihm. Das hat nicht nur mit Scholz als Person zu tun, sondern auch mit dem, wofür er politisch steht: für ein "Weiter so" in der großen Koalition.

Scholz gehört seit einer gefühlten Ewigkeit zum Establishment, er hat all jene Beschlüsse mitgetragen, die die SPD dorthin gebracht haben, wo sie derzeit steht, nämlich am Abgrund. Bei der Bundestagswahl 2017 waren viele noch schockiert über die mageren 20,5 Prozent. Wenn man die heutigen Umfragen anschaut, erscheint dieses Resultat als geradezu grandios. Mittlerweile steht die SPD in Umfragen bundesweit bei 13 Prozent, auch die letzten Landtagswahlen hat sie verloren.

Sehnsucht nach mehr Rot in der Koalition

Und jetzt wollen die Genossinnen und Genossen nicht mehr. Es herrscht eine unglaubliche Sehnsucht nach mehr Rot in der Koalition. Streitbarer soll die SPD auftreten, viel kämpferischer, sie soll sich gegen die Union besser durchsetzen. Und wenn das in der Rolle des ewigen Juniorpartners nicht gelingt, dann soll sie bitte schön in Opposition gehen und sich dort regenerieren – das ist die Botschaft der SPD-Basis an diesem Wochenende.

Es ist ein schwerer Schlag für Scholz, denn eigentlich hat man ihm auch als Finanzminister das Misstrauen ausgesprochen. Scholz ist, genauso wie der frühere CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, ein Verfechter der "schwarzen Null", in der SPD aber lechzt man nach mehr Investitionen und nach mehr sozialen Wohltaten. Dafür stehen Esken und Walter-Borjans.

Gewaltige Aufgabe

Auf sie wartet jetzt eine gewaltige Aufgabe. Die beiden Unerfahrenen müssen nicht nur eine Partei führen, sondern sie auch wieder zusammenführen. Denn es haben ja nicht alle für "Nowabo"/Esken gestimmt, viele wollten sich lieber Scholz/Geywitz anvertrauen. Und das Siegerpaar muss jetzt Erwartungen erfüllen. Diese liegen zwischen "mehr sozialdemokratisches Profil" zeigen und "sofort raus aus der Koalition", was die beiden Skeptiker aber auch nicht wollen. Noch gibt es die große Koalition in Deutschland, sie wird auch in den nächsten Tagen weiterarbeiten. Aber dass sie tatsächlich – wie geplant – bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 durchhalten wird, ist mit der Wahl der neuen SPD-Chefs ein großes Stück unwahrscheinlicher geworden. (Birgit Baumann, 30.11.2019)