Das Fangen und Zurschaustellen von Fichtenkreuzschnabel, Gimpel, Stieglitz und Zeisig wurde 2010 zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt.

Foto: Hörmandinger

Oft sind wir in fernen Kindertagen ins Salzkammergut gefahren. Der kleine Sonnstein, die Langbathseen, die Gassel-Tropfsteinhöhle – alles gute Gründe, um die Stahlstadt für einen Sonntag hinter sich zu lassen. Die Spannung stieg bei uns Kindern meist ab dem Zeitpunkt, wo Gmunden nur mehr im Rückspiegel von Papas Opel Ascona zu erkennen war. Die schmale Bundesstraße zwischen Traunkirchen und Ebensee war nämlich die Trasse des Löwen. Mächtig thront an den Ufern des Traunsees eine Granitstatue. Das Löwendenkmal wurde nach dem Bau der Uferstraße 1861 errichtet. Und übrigens am 23. September 1963 von oberitalienischen Neofaschisten gesprengt. Was man uns Kindern damals vorenthielt.

Umstrittene Grenze

Nicht aber die, oft und gern gehörte, Geschichte, dass der Löwe keine Zunge besitze, weshalb sich der Künstler bei der feierlichen Eröffnung in den See gestürzt habe und ertrunken sei.

Jahrzehnte später scheint alles in einem neuen Licht: Der Löwe hat immer schon eine, wenn auch kleine, Zunge gehabt und fristet heute, dank der neuen Umfahrungsstraße, ein Schattendasein. Doch eines ist das sagenumwobene Granitraubtier geblieben: ein höchstumstrittener Grenzstein. Für nicht wenige endet das Salzkammergut auch heute noch mit dem Löwen – womit Gmunden klar außerhalb liegt. In der Bezirkshauptstadt sitzen eben die, die verwalten und anschaffen, was sie aus Sicht der inneren Salzkammergütlern zu Außenseitern macht. Vielleicht ein längst überholtes Klischee, doch gerade in diesen Tagen wird auffallend viel über die Einheit im Salzkammergut diskutiert.

Der Grund dafür liegt in einem durchaus erfreulichen Ereignis. Unter dem Motto "Kultur ist das neue Salz" wird Bad Ischl gemeinsam mit 20 Gemeinden in Oberösterreich und der Steiermark 2024 Kulturhauptstadt. Erstmals wurde damit eine Region gewählt, ein inneralpiner Fleckerlteppich, der bunter und gegensätzlicher nicht sein könnte.

Kreativknoten in der Weberei

Der erste Ort im angeblichen echten Salzkammergut ist Ebensee. Rauer als anderswo sollen die Sitten in dieser roten Arbeiterhochburg sein. Eine lange Tradition zwischen Widerstand, Unangepasstheit und Solidarität hat diesen Ort mit der Saline als dominanter Arbeitgeberin geprägt.

Die 1992 aufgelassene Weberei ist heute einer der Knotenpunkte der Kreativszene in Ebensee. Künstlerin Petra Kodym hat an einem kleinen Tisch in ihrem Atelier Platz genommen. Die gebürtige Wienerin lebt und arbeitet in Ebensee und ist Teil des Entwicklungsteams rund um die Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024.

Gleich zu Beginn des Gesprächs offenbart sich mit der höflichen Bitte, doch, wenn möglich, "beim nächsten Artikel keine der typischen Bad-Ischl-Fotos zu nehmen", eine der großen Herausforderungen des ambitionierten Kulturhauptstadt-Projekts: Es gilt, den Spagat zwischen Kunstanspruch und Sommerfrischeklischee zu meistern. Oder anders gefragt: Wie viel Franzl und Sisi darf 2024 sein? Kodym: "Kitsch hat mit der Tradition einer Region nichts zu tun. Franzl und Sisi kommen bei uns, aber eben auf eine ganz andere Art, auch vor." Das Projekt "Konversation mit dem Kaiser" werde sich etwa mit der "dunkleren Seite der Monarchie", also mit Nationalismus und Imperialismus, auseinandersetzen. "Wir wollen einen Gegensatz zur Sommerfrische schaffen und beleuchten, wie es der Mehrheit der Bevölkerung damals wirklich gegangen ist." Nachsatz: "Mich stört diese naive Verherrlichung des Kaisers. Heute den Kaisergeburtstag zu feiern, finde ich durchaus grob bedenklich."

Ebenso werde man die dunkle Zeit des Nationalsozialismus und da zum Beispiel die KZ-Vergangenheit in Ebensee nicht einfach ausblenden, sondern aktiv in ein konkretes Projekt einbinden.

Ziel sei es jedenfalls, das Projekt Kulturhauptstadt neu zu denken: "Wir wollen nicht nur ein Jahr Spektakel, es braucht eine Langzeitstrategie." Und ein kleiner Seitenhieb in Richtung ehemaliger Kulturhauptstadt-Projekte muss sein: "Wir werden jedenfalls auf einen hochbezahlten Kulturkaiser, der alles entscheidet, verzichten."

Ein schöner Vogel

Auf einen Kulturkaiser kann man vielleicht auch in Bad Ischl verzichten. Nicht aber auf den Kaiser Franz Joseph I. Der Habsburger-Monarch ist in dem mondänen Kurort allgegenwärtig. Von der Büste über den Schratt-Gugelhupf bis hin zur Kaiserlinde.

Alfred Lichtenegger hat an einem Tisch im Café Zauner Platz genommen. Seit 2017 ist der Ischler Obmann des Salzkammergutverbands der Vogelfreunde. Mit der Bezeichnung "Vogelfänger" hat Lichtenegger wenig Freude: "Unsere Tradition hat nichts mit den grausamen Fangmethoden etwa in Südeuropa zu tun", erklärt Lichtenegger. Im Gegenteil: "Für uns sind die Singvögel gefiederte Freunde."

Fast logisch also, dass der Obmann und seine Vögel auch im Jahr der Kulturhauptstadt landen möchten. "Das Salzkammergut ist enorm reich an alten Traditionen und Bräuchen. Das muss sich auch im Programm widerspiegeln." Man brauche diese Plattform, um sich entsprechend präsentieren zu können. Lichtenegger: "Es muss jetzt für jeden im Salzkammergut eine Ehre und Verpflichtung sein, mitzuhelfen. Wir haben das Kind bekommen und müssen es jetzt gemeinsam schaukeln." Aber eines ist für den gefiederten Obmann klar: "Der Kaiser ist und bleibt der Aufhänger. Auf den kannst du nicht verzichten."

Sollte 2024 der Kaiser doch auf die Ersatzbank müssen, ruht die ganze Hoffnung also auf dem Fichtenkreuzschnabel – immerhin der König des Waldes. (Markus Rohrhofer, 2.12.2019)