Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht bei allen Tieren ist der Unterschied zwischen Weibchen und Männchen so groß wie bei den Pfauen. Wie Geschlechtschromosomen entstehen und bestehen, hat nun Beatriz Vicoso vom IST Austria ergründet.

Foto: AP/Darko Vojinovic

Klosterneuburg/Wien – Bei Tieren und Pflanzen regeln Geschlechtschromosomen, auch Gonosomen genannt, ob ein Individuum weiblich oder männlich ist. Bei manchen Arten sind diese über Jahrmillionen gleich geblieben, bei anderen Spezies wechseln sie sprunghaft, wie die Biologin Beatriz Vicoso vom Institut of Science and Technology (IST) Austria im Fachjournal "Nature Ecology and Evolution" berichtet. Die Forscherin ergründete, wie Geschlechtschromosomen entstehen und bestehen.

"Männer machende" Gene

Am Anfang war stets irgendwo auf einem Erbgutteil (Chromosom) ein geschlechtsbestimmendes Gen, so Vicoso. Zu den "üblichen Verdächtigen" gehören etwa solche, die zur Entwicklung männlicher Hoden führen. Es können aber auch veränderte Versionen dieses Gens sein, die verhindern, dass ein Individuum männliche Hoden entwickelt. Manchmal sind es aber auch "Exoten". Bei Regenbogenforellen ist zum Beispiel das "Männer machende" Gen ein Verwandter von solchen, die bei anderen Wirbeltieren Immunzellen stimulieren (Interferone), und bei Stubenfliegen eines, das anderswo Vorlagen für Eiweißstoffe zurecht schneiden (splicen) hilft.

Solch ein geschlechtsbestimmendes Gen entsteht auf einem zunächst (geschlechts-)neutralen Chromosom (Autosom), das zuvor nicht mitzuentscheiden hatte, ob ein Individuum weiblich oder männlich ist. Rund um dieses siedeln sich anschließend "Anhalter" an, die zwar nicht direkt das Geschlecht festsetzen, aber weiblichen oder männlichen Organismen gewisse Vorteile bringen. Weil sich dieses Chromosom immer mehr von seinem zuvor fast identen Partner unterscheidet, wird der Informationsaustausch zwischen den beiden unterbunden (die Rekombination unterdrückt).

Degeneriertes Chromosom

Dadurch bleiben die Unterschiede über viele Generationen hinweg bestehen. Es können aber keine Fehler mehr ausgebessert werden, indem die korrekte Variante vom "Partnerchromosom" abgeschrieben wird. Dadurch schleichen sich auf dem geschlechtsbestimmenden Chromosom (bei Menschen das männliche Y-Chromosom) immer mehr Fehler ein, Gene gehen verloren und es "degeneriert".

Jeder dieser Fehler wirkt quasi als Sperrklinke und fixiert das Schicksal des Geschlechtschromosoms, erläuterte Vicoso. Beim ersten "Klick" kann die Evolution noch zurücksteuern und die Variante ohne Fehler bevorzugen. Beim zweiten, dritten und vierten wird es sukzessive schwieriger, die Veränderungen auf anderem Wege auszugleichen, zumal auch das andere Geschlechtschromosom (bei Menschen X), bei den Individuen, wo es nur einmal vorkommt (bei Menschen Männern) teils doppelt so aktiv ist (Dosis-Kompensation). Es müsste also nicht nur der Fehler ausgebessert, sondern auch die hochgefahrene Aktivität am anderen Chromosom gedrosselt werden, damit kein Chaos entsteht, will man das Geschlechtschromosom wieder von seiner speziellen Pflicht entbinden.

Fehlendes Gen als geschlechtsbestimmender Faktor

Durch diese Mechanismen sind die Geschlechtschromosomen bei vielen Organismen über 100 Millionen Jahre die selben also gleichsam konserviert, so die Forscherin. Bei manchen degeneriert eines aus dem Pärchen sogar so stark, dass es komplett verschwindet und ein Single-Chromosom geschlechtsbestimmend wird. Das eine Geschlecht hat es, das andere zeichnet sich nur durch sein Fehlen aus. Das ist zum Beispiel bei Fadenwürmern der Fall.

Es gibt aber auch Fisch-, Frosch- und Fliegenarten, in deren Geschichte schon die unterschiedlichsten "normalen" Chromosomen geschlechtsbestimmend waren. Bei ihnen muss der Wechsel ständig passieren, bevor die "Falle" zugeschlagen hat, und das Schicksal eines Chromosom durch mehrere Klicks der Ratsche bestimmt wurde. Demnach gibt es kein Mittelmaß, sondern nur Extreme, meint die Forscherin: Erstens Arten mit ständigem Wechsel der Verantwortung, wer Männchen und Weibchen macht. Beim Atlantischen Lachs können sich wahrscheinlich sogar "springende Geschlechtsgene" mindestens eines von drei Chromosomen als Residenz aussuchen, die dann jeweils geschlechtsbestimmend werden. Zweitens ist bei anderen Arten, wie etwa Menschen, quasi für immer fixiert, wer diese Aufgabe innehat. (red, APA, 1.12.2019)