Die Sichtweise, dass die meisten Bakterien Krankheitserreger sind, hält sich noch immer hartnäckig.

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Christa Schleper ist Mikrobiologin und leitet das Department für Ökogenomik und Systembiologie an der Universität Wien.

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Vergleicht man die große Vielfalt der Baupläne von Pflanzen und Tieren mit der einfacheren Form von Mikroorganismen, kommt man nicht unbedingt auf die Idee, dass die kleinsten, für das Auge verborgenen Lebewesen den weitaus größten Teil der Biodiversität auf unserem Planeten darstellen. Mikrobielles Leben erstreckt sich in jeden erdenklichen Raum, von den heißen Quellen der Tiefsee bis in die verschiedenen Nischen unseres menschlichen Körpers. Ohne Mikroorganismen gibt es keine komplexeren Lebewesen auf der Erde.

Es wird zudem Zeit, den Vorurteilen gegenüber Mikroorganismen entgegenzutreten. Die Sichtweise, dass die meisten Bakterien Krankheitserreger sind, stammt aus dem vorletzten Jahrhundert und hält sich leider noch immer hartnäckig.

Wofür brauchen wir Mikroorganismen?

Ohne die große Vielfalt der Mikroorganismen würden unsere Ökosysteme nicht funktionieren, denn sie sorgen dafür, dass die Nährstoffe kontinuierlich recycelt werden und für andere Lebewesen nutzbar bleiben. Ohne Bakterien könnten wir kein Getreide anbauen, es gäbe keinen Kompost, unsere Darmbakterien würden keine lebenswichtigen Vitamine produzieren, und unser Immunsystem würde sich weniger gut entwickeln. Also ist es besser, wir freunden uns mit den Mikroorganismen an, denn vermeiden kann und sollte man sie sowieso nicht.

Eine Studie aus Graz zeigte kürzlich, dass konventionell angebaute Äpfel mit rund 100 Millionen Bakterien pro Stück ebenso viele Bakterien wie solche aus biologischer Landwirtschaft in sich tragen. Die biologisch angebauten Äpfel hatten allerdings eine signifikant größere Bakterienvielfalt, dabei aber weniger potenzielle Krankheitserreger. Welchen würden Sie lieber verspeisen?

Mikroorganismen und das Klima – eine spezielle Beziehung

Mikroorganismen können die Klimaerwärmung befeuern, aber auch unterbinden. Einerseits gibt es welche, die unentwegt Treibhausgase produzieren, um Energie zu erzeugen, so zum Beispiel Methan-bildende Archaea in Wiederkäuern oder im menschlichen Darm und auch Ammoniumoxidierer in Ackerböden, die als Nebenprodukt Lachgas bilden und damit die Erderwärmung fördern.

Andererseits sorgen viele Mikroorganismen für die Entfernung von Treibhausgasen oder verhindern deren Bildung, weil sie wie Pflanzen CO2 aus der Atmosphäre binden können oder weil sie Methan entfernen, wie es in der Tiefsee und in auftauenden arktischen Permafrostböden geschieht. Andere Mikroorganismen können sogar Lachgas in molekularen Stickstoff zurückverwandeln, bevor es aus dem Ackerboden ausgasen kann und dort einen 300-mal stärkeren Treibhausgaseffekt ausüben würde als CO2.

Wissen: Mikroorganismen – die "wahren Allesfresser"
Zu den Mikroorganismen zählen wir Bakterien, Archaea, Pilze und Algen. Die allerkleinsten darunter, Bakterien und Archaea, sind als erste Lebensformen vor mindestens 3,8 Milliarden Jahren entstanden und haben damit einen zeitlichen Vorsprung von rund zwei Milliarden Jahren vor allen anderen Lebewesen auf der Erde. Während Tiere und Menschen nur organisches Material verbrennen können und Pflanzen das Sonnenlicht nutzen, haben Bakterien und Archaea neben diesen beiden Möglichkeiten eine Vielzahl anderer Versorgungsmöglichkeiten. Manche verbrennen in der Tiefsee Schwefelverbindungen, andere oxidieren Metalle wie Mangan oder Eisen, und wieder andere verbrennen Wasserstoff zu Wasser, um daraus Energie zu gewinnen. Viele der Bodenbakterien zersetzen tote Pflanzen und Tierkadaver und recyclen dabei die lebenswichtigen Mineralstoffe für neues Wachstum.

Gewiss ist aber, dass die große Vielfalt der Mikroorganismen eine Voraussetzung für das Funktionieren unserer komplexen Ökosysteme ist und wir sie daher schützen müssen. Ein gutes Beispiel ist die Arktis, die sich weitaus schneller erwärmt als gedacht. Ein Prozess mit dramatischen Folgen, denn das dort auftauende organische Material im Permafrost wird durch die Aktivität von Mikroorganismen abgebaut, was die Treibhausgasemissionen weiter erhöht und die Erwärmung beschleunigt.

Auch der Ozean darf nicht außer Acht gelassen werden: Immerhin sind 71 Prozent unseres Planeten mit Wasser bedeckt. Das Phytoplankton, das in den oberen 200 Metern der Wassersäule Sonnenlicht absorbiert, spielt eine wichtige Rolle für unser Klima. Dieses Phytoplankton übernimmt schließlich die Hälfte der weltweiten Sauerstoffproduktion und fixiert die Hälfte des CO2 in Biomasse.

Die Erde braucht ein großes Weihnachtsgeschenk

Wenn wir die mikrobielle Vielfalt in den Ökosystemen nicht erhalten können, sondern sie weiter durch massiven Antibiotikaeinsatz in der Tierzucht und Medizin sowie andere in der Landwirtschaft eingesetzte Giftstoffe oder durch Überdüngung und Treibhausgasemissionen direkt und indirekt vernichten, dann werden unsere Böden und das Meer weniger flexibel auf Veränderungen reagieren können. Wir zerstören damit unsere eigenen Lebensgrundlagen. Die Böden werden weniger produktiv, und das Gemüse enthält weniger lebenswichtige Mineralstoffe. Schon jetzt ist das gelebte Realität. Prognosen zeigen auch, dass bei gleichbleibend steigender Klimaerwärmung die österreichische Landwirtschaft bereits 2050 um 50 Prozent weniger produktiv sein wird und wir entsprechend Nahrungsmittel importieren müssen.

Es ist Zeit zu handeln. Wir alle können sofort beginnen, indem wir beispielsweise eine nachhaltige, lokale Landwirtschaft durch unsere Einkäufe unterstützen, weniger Fleisch konsumieren und uns aktiv für einen Ausstieg aus der fossilen hin zu einer nachhaltigen Energiepolitik einsetzen. MikrobiologInnen haben sich dazu kürzlich international in einem Aufruf geäußert.

RisikoforscherInnen wissen, dass wir, die Zivilgesellschaft, einen großen Einfluss haben. Wir können PolitikerInnen zu den Schritten ermutigen, die unsere Umwelt braucht. Jeder Kassabon ist auch ein Wahlzettel. Das wichtigste Weihnachtsgeschenk an unsere Kinder ist, dass wir unseren Lebenswandel endlich ein Stück ändern. (Christa Schleper, 3.12.2019)

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