STANDARD: Gibt es zu wenig Forschung zur Pille?

Pletzer: Zur Pille an sich und zu ihren körperlichen Nebenwirkungen gibt es an sich viel Forschung, teilweise auch was emotionale Nebenwirkungen betrifft. Wenige Untersuchungen gibt es tatsächlich bezüglich des Gehirns, da waren wir die Ersten. Mittlerweile gibt es rund 15 Studien.

Die Neurobiologin Belinda Pletzer von der Universität Salzburg erforscht die Wirkung der Antibabypille auf das Gehirn.
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STANDARD: Warum sollte man sich das genauer anschauen?

Pletzer: Ziemlich lange wurde beobachtet, dass manche Frauen, die die Pille nehmen, von psychischen Nebenwirkungen berichten, also von depressiver Verstimmung oder Reizbarkeit. Dass es zum Gehirn so wenig Forschung gibt, ist insofern bemerkenswert, weil diese psychischen Nebenwirkungen ja schon länger bekannt sind. Es wäre naheliegend, im Gehirn nach möglichen Ursachen zu suchen. Es sind Experimente, die Frauen dringend brauchen, denn wenn sie sich für ein Verhütungsmittel entscheiden, sollten sie wissen, was es mit dem Körper und dem Gehirn macht.

STANDARD: Was untersuchen Sie?

Pletzer: Uns interessiert, wie die Pille das Denken beeinflusst und sich dadurch auf das Verhalten, die Emotionen und die Kognition (Informationsverarbeitung im Gehirn, Anm.) auswirkt. Die Hypothese ist, dass durch die Pilleneinnahme das Volumen des Hippocampus ansteigt und er dadurch aktiviert wird. Er ist für Gedächtnis und Raumvorstellung zuständig. Eine Vorstudie hat bereits gezeigt, dass der Hippocampus bei Frauen, die die Pille aktuell nicht nehmen, sie aber früher genommen haben, umso größer ist, je länger sie sie eingenommen haben.

STANDARD: Wie machen Sie das genau?

Pletzer: Wir untersuchen das Gehirn mittels MRT-Scanner vor, während und nach der Pilleneinnahme. Uns interessiert, ab wann es Effekte gibt und ob sie sich verstärken, je länger die Frauen die Pille einnehmen – oder ob sie sich auf einem gewissen Niveau einpendeln. Wir machen strukturelle und funktionelle Bilder vom Gehirn, während die Probandinnen Aufgaben bearbeiten. Daran erkennen wir, ob sich erstens an der Gehirnaktivierung und zweitens an der Leistung etwas ändert.

STANDARD: Wo im Gehirn untersuchen Sie das?

Pletzer: Dafür haben wir Regionen definiert, in denen wir einen Effekt der Pille erwarten. Und zwar weil diese auch von den natürlichen Geschlechtshormonen beeinflusst werden. Die synthetischen Hormone der Pille binden an dieselben Rezeptoren, das haben Tier- und Menschenstudien gezeigt. Diese Regionen sind eben etwa der Hippocampus, die Basalganglien oder der Frontallappen.

STANDARD: Eine häufig zitierte dänische Studie will herausgefunden haben, dass die Pille depressiv macht. Können Sie das bestätigen?

Pletzer: Diese Studie ist in Fachkreisen sehr umstritten, weil der Zusammenhang korrelativ (wechselseitig, Anm.) ist und man nicht weiß, ob die Pille tatsächlich kausal, also ursächlich für die Depressionen verantwortlich ist. Es gibt allerdings mehrere Studien, die sagen, dass eine frühere Pilleneinnahme das Risiko für Depressionen erhöhen kann. Andere Studien zeigen das jedoch nicht. Da sind wir noch am Anfang der Forschung.

STANDARD: Man kann also nicht sagen, ob die Pille gut oder schlecht ist für Frauen?

Pletzer: Ich denke, es ist ähnlich wie bei einer Schwangerschaft. Bei manchen Frauen verbessern sich die psychischen Symptome, sie wirkt stabilisierend. Bei anderen ist das Gegenteil der Fall. So ist das auch bei der Einnahme der Pille, und das spiegelt sich dann auch in den Studien wider.

STANDARD: Viele Frauen berichten von massiven Nebenwirkungen wie gedämpften Emotionen, weniger Selbstbewusstsein, Mut und Energie. Was ist dran?

Pletzer: Es ist in der Literatur gut beschrieben, dass manche Frauen diese psychischen Nebenwirkungen haben. Das ist ernst zu nehmen und darf nicht als Einbildung abgetan werden. Anderen Frauen hilft die Pille aber auch. So ist ebenfalls gut beschrieben, dass sich gerade bei Frauen, die die Pille über einen längeren Zeitraum nehmen, die Stimmung stabilisiert und verbessert. Sie wird ja auch verschrieben, um prämenstruelle Symptomatiken zu behandeln. Jene Frauen, die im natürlichen Zyklus Stimmungsveränderungen haben, könnten von der Pille also profitieren. Man darf nicht alles über einen Kamm scheren.

Manche Frauen haben psychische Nebenwirkungen. Diese dürfen nicht als Einbildung abgetan werden, sagt Neurobiologin Belinda Pletzer.
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STANDARD: Es passiert aber was im Gehirn, das wissen Sie sicher?

Pletzer: Ja. In früheren Studien haben wir Frauen verglichen, die die Pille nehmen, und jene, die sie nicht nehmen. Die damaligen Ergebnisse haben gezeigt, dass die Pille jene Gehirnregionen verändert, die für Emotionen, Gesichtserkennung und flüssiges Sprechen zuständig sind. Da gab es aber leider auch wieder Ergebnisse, denen zufolge diese Regionen kleiner werden und andere, die zeigen, dass sie größer werden. Es kann durchaus sein, dass die Frauen unterschiedlich auf die Pille ansprechen – oder dass es an den unterschiedlichen Arten der Pillen liegt. Es ist eine sehr interessante Fragestellung. In der aktuellen Studie wollen wir untersuchen, ob es im Gehirn Unterschiede zwischen Frauen gibt, die die Pille gut vertragen, und solchen, die das nicht tun.

STANDARD: Mit dem Ziel herauszufinden, wem man sie empfehlen kann und wem nicht?

Pletzer: Das ist sehr weit in die Zukunft gedacht, aber grundsätzlich wäre das der Optimalzustand. Dann könnte es eine Liste von Risikofaktoren geben, die dazu führen, dass man bestimmte Pillen schlechter verträgt. Frauen könnten dann gleich mit dem richtigen Präparat oder einem anderen Verhütungsmittel anfangen. Momentan ist es ja für viele Frauen, die nicht gleich die erste Pille gut vertragen, ein langes Ausprobieren.

STANDARD: Sie wollen sich auch die Gehirnentwicklung in der Pubertät anschauen.

Pletzer: Ja. Da weiß man bisher so gut wie nichts. Einzelne Hinweise aus Studien lassen vermuten, dass depressive Verstimmungen nach längerer Pilleneinnahme vor allem dann auftreten, wenn man die Pille in der Pubertät genommen hat. Aber auch diese Ergebnisse sind rein korrelativ, und es ist unklar, ob die Pille kausal dafür verantwortlich ist. Man muss hier mit der Formulierung sehr vorsichtig sein.

STANDARD: Warum?

Pletzer: Man darf den Mädchen auch nicht ganz ausreden, die Pille zu nehmen. Es ist nicht Sinn und Zweck der Sache, dass diese dann mit ungewollten Schwangerschaften zu kämpfen haben. Das ist auch der Hauptgrund dafür, warum das Thema in der Fachwelt so umstritten ist. Eine Schwangerschaft in diesem Alter hat natürlich psychisch als auch auf den Körper viel massivere Auswirkungen als die Pilleneinnahme.

STANDARD: Wie ist Ihre persönliche Empfehlung zum aktuellen Zeitpunkt?

Pletzer: Es ist problematisch, die Pille unreflektiert allen Frauen zu verschreiben. Genauso problematisch ist es, sie gar nicht mehr zu verschreiben. Für mich ist Verhütung ein sehr individuelles Thema, jede Frau sollte selbst entscheiden, was sie mit ihrem Körper macht. Wichtig ist, dass sie für diese Entscheidung so viele Informationen wie möglich hat. Das heißt: Wir brauchen mehr Aufklärung über die Dinge, die wir wissen, und mehr Forschung über die Dinge, die wir nicht wissen. (Bernadette Redl, 3.12.2019)