Maria Lazars Werke sind ungehörte Warnrufe vor dem heraufdämmernden Nationalsozialismus.

Ullstein Bild – Trude Fleischmann

Es musste erst ein Verlag gegründet werden, damit Maria Lazars Roman Die Vergiftung 2014 erscheinen konnte. Passenderweise nennt sich die betreffende, heldenhafte Wiener Edition "Das vergessene Buch" (DVB). Verleger Albert C. Eibl, Jahrgang 1990, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Bücherwelt gegen den Kanon zu bürsten. Mittlerweile sind sieben Titel erschienen, und Maria Lazar ist darin das prototypische Produkt einer auf vielfältige Weise ratternden Vergessensmaschinerie. Das Werk der Schriftstellerin steht in einem diametralen Verhältnis zu dem, was heute von ihr tradiert ist.

Aufgewachsen ist Lazar (1885–1948) als jüngstes von acht Geschwistern in einer großbürgerlichen, assimiliert jüdischen Wiener Familie, in der sich schon die Kinder über die theatrale Beschaffenheit der mondänen Wohnung im Schottenhof mokiert haben sollen. Hier, im Reich schwerer Vorhänge und Teppiche, wurde dem Herrn Eisenbahndirektor eine Kommunistin geboren. Lazars politische Überzeugung, ihre religiöse Herkunft, ihr offener Kampf gegen den Nationalsozialismus und auch ihr Geschlecht haben eine Rezeption ihrer Literatur zur damaligen Zeit verhindert.

Ungeliebt und ignoriert

Eine profunde Unangepasstheit hat Maria Lazar schon als junges Mädchen kultiviert. Sie war in ihrer Familie alles andere als ein Nesthäkchen, fühlte sich nicht zugehörig. Vielmehr empfand sie sich, gesteigert durch ihren Scharfsinn, als ungeliebt und ignoriert. Im autobiografisch grundierten Erstling Die Vergiftung, den sie als Zwanzigjährige nächtens unter der beleuchteten Schlafmantelkapuze verfasste, schildert sie den Befreiungskampf der an den Machtstrukturen und der Doppelmoral der Familie laborierenden Protagonistin.

Die Trägheit und Unbedarftheit einer Gesellschaft waren Maria Lazar ein Leben lang zuwider. Ihr literarisches Schaffen gleicht einem jahrelangen, schutzlosen Aufbegehren gegen den heraufdämmernden Nationalsozialismus. Bereits 1933 verließ sie mit ihrer kleinen Tochter Österreich. Da Lazar durch ihre (kurze) Ehe mit Friedrich Strindberg (leiblicher Sohn von Frank Wedekind und Stiefsohn August Strindbergs) im Besitz der schwedischen Staatsbürgerschaft war, galt sie nicht als klassische Exilantin und hatte es aufgrund ihrer frühzeitigen Ausreise zudem leichter, Fuß zu fassen. Auf ihre Initiative hin folgten ihr Helene Weigel, die sie aus Wien gut kannte, und Bertolt Brecht zunächst nach Dänemark, dann ins schwedische Exil.

Leerstelle in den Anthologien

Weder die Bekanntschaft mit Weigel und Brecht noch die Netzwerke der Wiener Kunstszene, in die Lazar vor allem über den Salon von Eugenie Schwarzwald intensiv verwoben war, verhinderten ihr Vergessenwerden. Maria Lazar fehlt in so gut wie allen Anthologien und Sammelbänden. Die Ausgrenzungs- und Abwertungsmechanismen der patriarchal geprägten Gesellschaft haben funktioniert. Thomas Mann formulierte es so: "Penetranter Weibsgeruch". Unter dem "nordischen" Pseudonym Esther Grenen wurde allerdings ihr Roman Veritas verhext die Stadt 1930 ein Bestseller. Eine Ausnahme.

Für eine Literatur, wie sie Maria Lazar verfasste, war ab den 1930er-Jahren "der Markt zu eng geworden", so das Echo aus den Verlagen. Ihre Romane und Aufsätze wurden nicht gedruckt, ihre Theaterstücke nicht oder nur kürzest aufgeführt, etwa Der blinde Passagier oder Die Nebel von Dybern. Im Einakter Der Henker (1921), der nun in einer Inszenierung Mateja Koležniks am Akademietheater Premiere hat, hinterfragt Lazar tumbes Pflichtbewusstsein genauso wie blindwütige Ergebenheit. In knochentrockenen Dialogszenen spitzen Staatsmacht (Henker, Kerkermeister, Priester) und Staatsbürger (Mörder, Dirne) ihre Sichtweisen zu.

Messerscharfe Porträts

Auch die Prosawerke Lazars arbeiten mit dramatischen Mitteln, sind szenografisch und dialoglastig. In ihrem vielleicht besten Roman, Die Eingeborenen von Maria Blut, 1935 geschrieben und posthum 1957 erschienen, beschreibt sie am Beispiel eines wirtschaftlich maroden Dorfes kassandrahaft das Heranreifen des Nationalsozialismus. Das Werk enthält – ähnlich wie auch Lazars thrillerhafter Weltwirtschaftskrisenroman Leben verboten – messerscharfe Porträts junger Nationalsozialisten, die viel Sekundärliteratur ersparen. In manchen Sätzen blitzt gar Jelinek’sche Kalauerkunst durch: "[E]s wird einer kommen, der wird zu was führen."

Weil sie die Leiden einer schweren, vor allem die Knochen beeinträchtigenden Erkrankung, Morbus Cushing, nicht mehr ertragen wollte, nahm sich Maria Lazar 1948 in Schweden das Leben. Ihr Werk harrt weitgehend noch der Entdeckung, nicht alle ihrer später auf Dänisch wie auf Schwedisch geschriebenen Werke sind ins Deutsche übersetzt. Das Burgtheater unterstreicht nun die Bemühungen des DVB-Verlags. (Margarete Affenzeller, 3.12.2019)