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US-Präsident Donald Trump kritisierte seinen französischen Amtskollegen vor dem Start des Gipfels scharf, nachdem dieser die Nato als "hirntot" bezeichnet hatte.

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Die Flaggen der Nato-Mitgliedsstaaten säumen den Zufahrtsweg zum Bündnisgipfel in Watford bei London.

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London – In einer heiklen Phase für die Nato kommen die Staats- und Regierungschefs des Militärbündnisses am Dienstag und am Mittwoch in London zu einem Jubiläumsgipfel zusammen. Anlass ist das 70-jährige Bestehen der Allianz. Über die Zukunft der Nato wird unter den Mitgliedsstaaten gestritten, seit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihr den "Hirntod" bescheinigt hat. Alle 29 Staats- und Regierungschefs der Nato – darunter die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Donald Trump und Macron – nehmen teil. In der Abschlusserklärung des Verteidigungsbündnisses wird erstmals explizit die aufstrebende Militärmacht China als mögliche neue Bedrohung genannt. Man wolle zudem weiterhin offen im Dialog mit Russland bleiben und setze auch künftig auf Atomwaffen.

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Einigung auf China als Bedrohung

In dem Text, auf den sich die Staats- und Regierungschefs geeinigt haben, heißt es: "Wir erkennen, dass der wachsende Einfluss und die internationale Politik Chinas sowohl Chancen als auch Herausforderungen darstellen, die wir als Allianz zusammen angehen müssen." Als ein möglicher Problembereich wird dabei der Mobilfunkstandard 5G genannt, bei dem das chinesische Unternehmen Huawei als Technologieführer gilt. "Wir erkennen die Notwendigkeit an, auf sichere und widerstandsfähige Systeme zu setzen", heißt es zu dem Thema in der Erklärung.

Die von den USA gewünschte Selbstverpflichtung von Nato-Staaten, beim 5G-Aufbau ganz auf Huawei-Produkte zu verzichten, gibt es aber nicht. Länder wie Großbritannien und Deutschland hatten zuletzt wiederholt deutlich gemacht, dass sie die Fundamentalkritik der USA an Huawei nicht teilen. Die Amerikaner sind der Auffassung, dass sich mit Huawei-Produkten keine sicheren Netze aufbauen lassen, weil das Unternehmen im Zweifelsfall Daten an staatliche Stellen in China freigeben muss.

Mehr politische Koordinierung soll kommen

Auch die vom deutschen Außenminister Heiko Maas gestartete Initiative für mehr politische Koordinierung unter den Nato-Partnern schaffte es in die vom Nordatlantikrat verabschiedete Abschlusserklärung. Generalsekretär Jens Stoltenberg wird aufgefordert, einen Vorschlag für einen "vorwärtsgerichteten Reflexionsprozess" zu machen.

Mit dem Vorschlag zur Einsetzung einer Reformkommission hatte Maas vor rund zwei Wochen auf die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron losgetretene Debatte über den Zustand des Militärbündnisses reagiert. Dieser kritisiert vor allem sicherheitspolitische Alleingänge von Partnern wie den USA und der Türkei.

Die Staats- und Regierungschefs einigten sich auf eine gemeinsame Abschlusserklärung.
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Russland weiterhin "Gefahr für die euroatlantische Sicherheit"

Auf Forderungen von Macron, eine grundlegende Strategiediskussion zu beginnen, wird in dem Text ebenso wenig eingegangen wie auf seinen Wunsch nach einem stärkeren Dialog mit Russland. Zu Russland heißt es wie in früheren Nato-Erklärungen, dessen aggressive Handlungen stellten eine "Gefahr für die euroatlantische Sicherheit" dar. Die Nato bleibe offen für den Dialog und für eine konstruktive Partnerschaft, wenn Russlands Handlungen dies ermöglichten.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte pünktlich zum Gipfel betont, dass er in der erfolgten Expansion der Nato eine Bedrohung für sein Land sieht. Für die Erweiterung des transatlantischen Militärbündnisses um osteuropäische Staaten habe es keine Gründe gegeben, sagte er bei einem Treffen mit russischen Militärs am Dienstag in Sotschi. Russland sei aber offen für eine Zusammenarbeit mit der Nato. "Wir haben wiederholt unsere Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, mit der Nato zu kooperieren und reale Gefahren gemeinsam abzuwehren", sagte der Kreml-Chef der Agentur Interfax zufolge. Er verwies dabei auf den internationalen Terrorismus, lokale Konflikte und die Gefahr, dass sich Massenvernichtungswaffen unkontrolliert verbreiten könnten.

Dass die Zusammenarbeit in diesen Bereichen durchaus funktionieren kann, bekräftigte auch Trump am Rande des Gipfels bei seinem Treffen mit Macron. Er stellte ein neues Abrüstungsabkommen unter Einbeziehung Russlands und womöglich auch Chinas in Aussicht. Auch Putin habe sich im Gespräch mit Trump interessiert gezeigt. Der bisherige INF-Vertrag war im August ausgelaufen, nachdem Washington ihn zuvor mit Rückendeckung der Nato-Partner gekündigt hatte. Er sah vor, dass beide Seiten auf landgestützte atomare Mittelstreckenraketen verzichten. Die USA warfen Russland vor, den Vertrag über Jahre hinweg verletzt zu haben.

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Frankreichs Emmanuel Macron wünschte sich im Vorfeld des Gipfeltreffens einen stärkeren Dialog mit Russland.
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Nato setzt auf Atomwaffen

Die Gipfel-Abschlusserklärung der Nato betont noch einmal, dass die Bündnisstaaten weiter auch auf Atomwaffen setzen werden, um eine effektive und glaubwürdige Abschreckung zu gewährleisten. "Solange Nuklearwaffen existieren, wird die Nato ein nukleares Bündnis bleiben", heißt es in dem Text. Gleichzeitig setze man sich für effektive Waffenkontrolle, Abrüstung und die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen ein. Gemeinsam stellen sich die Bündnispartner noch einmal ausdrücklich hinter Artikel 5 des Nato-Vertrags. Dort ist festgeschrieben, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen Alliierten als ein Angriff gegen alle angesehen werden wird.

Streitpunkte

Noch vor dem offiziellen Startschuss des Nato-Gipfels hat der US-Präsident am Dienstagmorgen seinen französischen Amtskollegen scharf kritisiert: Die Militärallianz zu ihrem 70-jährigen Bestehen als hirntot zu bezeichnen sei "böse", "beleidigend" und "gefährlich". Die Nato diene nach wie vor einer großen Sache und sei viel flexibler geworden, so Trump. Frankreich brauche das Bündnis wie kein anderer. Die USA dagegen profitierten am wenigsten.

Trotz Zugeständnissen der Bündnispartner pochte Trump auch am Dienstag auf seine Forderung nach höheren Ausgaben – vor allem in Richtung Berlin. Die Türkei nahm Trump hingegen in Schutz: "Ich mag die Türkei und komme sehr gut mit ihr zurecht." Seine Abmachung mit Ankara zum Abzug amerikanischer Truppen aus Nordsyrien habe sehr gut funktioniert.

Die Töne zwischen Ankara und seinen Nato-Partnern sind nicht immer so sanft. Die Türkei war mit ihrer Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien auf scharfe Kritik der Bündnispartner gestoßen. Die deutsche Bundesregierung hält den Einmarsch für völkerrechtswidrig. Frankreichs Macron hat der Türkei außerdem vorgeworfen, in Nordsyrien mit IS-nahen Gruppen zusammenzuarbeiten. Schon vor der türkischen Offensive in Syrien waren die Beziehungen zwischen Ankara und den restlichen Bündnismitgliedern – inklusive Washington – angespannt. Die Türkei hatte im Sommer ein Raketenabwehrsystem von Russland erworben und damit den Unmut der USA auf sich gezogen.

Am Dienstagmorgen – nur wenige Stunden vor dem Gipfel – hatte Erdoğan dann erneut Öl ins Feuer gegossen: In einer Stellungnahme forderte er mehr Unterstützung der Nato-Partner in seinem Kampf gegen die YPG. Erdoğan kündigte die Blockade von Nato-Hilfsgeldern für baltische Staaten an, sollte sich das Militärbündnis nicht der türkischen Sicht über Terrorgefahren anschließen. Die Bündnispartner müssten von der Türkei als terroristisch eingestufte Gruppen ebenso klassifizieren, ansonsten werde er den Nato-Schutzplan für die baltischen Staaten nicht unterstützen.

Warnung an Russland

Während Erdoğan seinen Nato-Partnern drohte, hat Generalsekretär Stoltenberg am Dienstagmorgen eine Drohung in Richtung Russland geäußert: Das Bündnis werde auf jeglichen Angriff auf die baltischen Staaten oder auf Polen reagieren. Er wisse nicht, wie schnell das Nato-Bündnis den internen Streit mit der Türkei lösen könne, dieser sei aber kein Grund, die Sicherheitsgarantie für das Baltikum anzuzweifeln.

Am Dienstagabend werden die Staats- und Regierungschefs von Königin Elizabeth II im Buckingham-Palast empfangen. Zahlreiche Menschen wollen vor der Residenz der Monarchin protestieren – vor allem gegen Trump und für die nukleare Abrüstung. (db, fmo, Reuters, APA, 3.12.2019)