Energiearbeit ist eine uralte (östliche) Praxis, sagen die Anwender. Eine Mode aus Amerika, meinen Kritiker. Beide haben nicht ganz unrecht, ignorieren dabei aber den grundlegenden Einfluss eines in Wien wirkenden Arztes. Internationale esoterische Bewegungen des 19. Jahrhunderts wie Spiritismus und Theosophie wären ohne den Einfluss von Franz Anton Mesmer (1734–1815) ebenso undenkbar wie die Entstehung der Hypnose-Forschung und damit der Psychotherapie. Mesmer selbst verstand sich stets als Naturwissenschafter. Die ambivalente Beurteilung seiner "energetischen" Behandlungen ist auch heutigen Energetikerinnen und Energetikern nicht fremd.

Was meinen Energetiker überhaupt, wenn sie von Energie sprechen?

"Endlich kann ich wieder Energie tanken", sagt Frau Maier. "Dieser Strand hat wirklich eine gute Energie", stimmt ihr Gatte zu. "Die Einheit für Energie ist Joule", sagt der kleine Thomas. Energie hat in der Sprache des Alltags und der Naturwissenschaft offensichtlich unterschiedliche Bedeutungen. Der Energiebegriff der Energetiker überschreitet jedoch die Grenze zwischen verschiedenen Sprachkulturen und Wirklichkeitsbereichen. Im energetischen Weltbild ist letztlich alles von Energie durchdrungen, wobei sich diese in verschiedenen Formen manifestiert. Der Körper wird dabei der materiellen, grobstofflichen Ebene und die verborgenen Potentiale sowie das höhere (spirituelle) Selbst der feinsten Ebene zugeordnet. Dazwischen befinde sich die im engeren Sinn energetische oder feinstoffliche Ebene, auf die sich Humanenergetiker beziehen. Ihr Ziel ist es, das Wohlbefinden und die persönliche Entwicklung positiv zu beeinflussen, Selbstheilungskräfte zu unterstützen, "Blockaden zu lösen" und "Balance wiederherzustellen". Auch Tiere werden behandelt und Räume "ausgeglichen".

Franz Anton Mesmer (1734–1815)

Mesmer, der "Großvater" der Energiearbeit faszinierte seine Zeitgenossen, darunter die Familie Mozart, mit seiner Lehre und Praxis des "animalischen Magnetismus". Er behauptete die Existenz einer unsichtbaren feinen Materie, eines "Fluidums", das den Kosmos und alle Lebewesen durchdringt. Krankheit sei die Folge von Störungen des Strömens dieser universalen Lebenskraft im menschlichen Körper. Ein Heilmagnetiseur könne sein eigenes Fluidum auf den Patienten übertragen, um den dadurch energetisch aufgeladenen Körper des Kranken wieder zum Fließen zu bringen und die Verbindung mit dem harmonischen Strömen des Kosmos zu erneuern.

Mesmeristische Einzelbehandlung.
Foto: public domain

Mesmer führte dazu Handbewegungen, sogenannte "magnetische Striche", auf dem Körper des Patienten oder in geringer Entfernung davon aus. In der Gruppentherapie wurden auch magnetisierte Bäume und technische Apparate eingesetzt. Wie bei heutiger Energiearbeit spielten bei dieser Technik körperliche Empfindungen und die Beziehung zwischen Praktizierenden und Klienten eine wichtige Rolle. Mesmer verstand seine Behandlung als naturwissenschaftliches Heilverfahren, zugleich berichteten Praktizierende von tiefen Versenkungszuständen, Visionen, religiösen Ekstasen und paranormalen Fähigkeiten. Von der Ärzteschaft als Scharlatan angefeindet, musste Mesmer besonders infolge einer missglückten Therapie der blinden Pianistin, Sängerin und Komponistin Maria Theresia Paradis Wien verlassen – um in Paris noch größere Berühmtheit zu erlangen. Unter heutigen Energetikern und Energetikerinnen ist Mesmer in Vergessenheit geraten, obwohl er maßgeblich den Verständnishorizont all derer prägte, die im 19. und 20. Jahrhundert im euro-amerikanischen Raum östliche Konzepte wie die Lebenskraft Prana oder die Energiezentren der Chakras rezipierten.

Gruppenbehandlung mit "Baquet", einem Holzbottich mit mesmerisiertem Wasser, und Eisenstäben.
Foto: Wellcome Collection gallery/Wikimedia [cc 4.0]; https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Animalischer_Magnetismus?uselang=de#/media/File:Mesmeric_therapy._Oil_painting,_1778-1784_Wellcome_L0076236.jpg; https://wellcomecollection.org/works?wellcomeImagesUrl=/indexplus/obf_images/46/5e/08bc50c7e0c37732c8d4168309cd.jpg;

Sprung in die Gegenwart

Etwa ab den 1980er-Jahren begannen Energetikerinnen und Energetiker modernen Zuschnitts, ihre Dienste anzubieten. Das Fluidum hatte sich in Energie "verwandelt" und war mit östlich-spirituellen, psychologischen und quantenphysikalischen Konnotationen angereichert worden. Energetiker sind heute fester Bestandteil einer spirituell-therapeutischen Szene, die von ihrem Selbstverständnis her den "ganzen Menschen" im Blick hat und so eine Ergänzung zur Schulmedizin und einen Beitrag zu selbstverantwortetem Wohlbefinden darstellen will. Waren energetische Vorstellungen noch in den 1960er-Jahren lediglich in gegenkulturellen Submilieus verbreitet, so gehören sie heute zum "common sense" eines "ganzheitlichen" Weltbildes.

Seit 1995 sind Energetiker als eigene Berufsgruppe bei der Wirtschaftskammer Österreich vertreten. Etwa 18.000 Personen haben derzeit einen aufrechten Gewerbeschein als Energetiker, die meisten arbeiten nebenberuflich. Für die Anmeldung ist kein besonderer Befähigungsnachweis erforderlich, Energetiker müssen lediglich darauf achten, keine Handlungen zu setzen, die den etwa 15.000 Allgemeinmedizinern und anderen Gesundheitsberuflern vorbehalten sind. Konkret dürfen sie vor allem keine Diagnosen stellen oder Krankenbehandlungen anbieten.

Die Wirtschaftskammer setzt in ihrer Werbelinie auf Seriosität und ein breites Zielpublikum, Bilder von bunten Auren sucht man vergeblich.
Foto: WKO

Ablehnung und anhaltende Popularität

Während das Thema Energetik "Skeptikern", den Mitgliedern der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" (GWUP), Schaum vor den Mund treibt, scheint ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung durchaus aufgeschlossen zu sein. Immerhin die Hälfte hat Erfahrungen mit "ganzheitlichen" Praktiken, und fünf bis acht Prozent integrieren Humanenergetik und verwandte Angebote über einen längeren Zeitraum in ihr Leben. Viele, die sich von anderen Angeboten im Gesundheitsbereich nicht ausreichend unterstützt fühlen, wollen zunächst nur ihre körperlich-seelische Gesundheit stärken. Personen, die sich intensiver in der Szene bewegen, fragen hingegen verstärkt nach Sinn und Bedeutung ihrer Krankheiten und schwierigen Lebenssituationen, wollen die eigene Innenwelt erkunden und spirituell wachsen.

Wie schon der Mesmerismus des späten 18. Jahrhunderts zeigt sich auch die Energiearbeit offen für psychologische, quasiphysikalische und spirituelle Deutungen. Dieses Changieren zwischen sprachlichen Codes und verschiedenen Wissenskulturen trägt wohl einerseits zu der prekären berufspolitischen Stellung der Energetiker bei, erklärt andererseits aber auch ihre anhaltende Popularität. (Johannes Endler, 6.12.2019)