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Stellen Sie sich vor, Sie leben von der Hand in den Mund. Sie wissen nicht, ob Sie und Ihre Kinder heute satt werden. Plötzlich klopft es an der Tür. Jemand teilt Ihnen mit, dass Sie bald eine SMS kriegen werden. Mit der gehen Sie zur Trafik und holen sich 1.000 Dollar ab. Einfach so. Auf Wiedersehen. Absurd? Das macht die NGO Give Directly seit einem Jahrzehnt in einer Reihe afrikanischer Länder.

Studien legen nahe, dass das gut funktioniert. Den Familien geht es nachweisbar besser. Aber was ist mit der Nachbarin, die nichts bekommt? Was passiert in der Region? Das hat eine Reihe renommierter Wissenschafter für eine riesige Studie betrachtet. Ihr Ergebnis: Die Wirtschaft boomt – und auch jene, die zuerst nichts bekommen, profitieren mit der Zeit stark. Ist die NGO Give Directly die eierlegende Wollmilchsau im Kampf gegen Armut?

Über 10.000 Haushalte in Siaya County in Kenia bekamen 1.000 Dollar. Einfach so.
Foto: APA/BARBARA BUCHEGGER

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Werfen wir kurz einen Blick zurück. Geldtransfers mischen seit einiger Zeit die Politik vieler Länder auf. Die Transfers sind deshalb so gut erforscht wie kaum andere Programme. Vor allem Staaten zahlen Geld aus. Hierzulande passiert das etwa in Form der Familienbeihilfe. Ein berühmtes Beispiel in ärmeren Ländern ist das brasilianische Sozialprogramm "Bolsa Familia". Für den Besuch der Kinder in der Schule bekommen ärmere Eltern Geld. Auch hier gilt: Es wirkt äußerst positiv.

Aber wenn man ärmeren Menschen Geld schenkt, liegen sie dann nicht in der Hängematte herum anstatt zu arbeiten? Wenn es überhaupt einen Effekt gibt, arbeiten sie eher mehr, wie Studien nahelegen. Bekommen sie nicht noch mehr Kinder? Nein, weniger, zeigen Studien. Verschwenden sie es nicht für Alkohol oder Zigaretten? Nein. Sie geben es je nach Kontext großteils für Lebensmittel, für das Haus, die Kinder, Vieh oder zum Beispiel ein Moped aus.

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Arbeiten Menschen nicht einfach weniger, wenn man ihnen Geld schenkt? Passiert es einmalig, zeigen Evaluierungen: nein.
Foto: AP / HERIBERT PROEPPER

Und jetzt wird es richtig interessant. In den vergangenen Jahren hat die NGO Give Directly in der Entwicklungspolitik mächtig Staub aufgewirbelt. Mit Geldtransfers von 1.000 Dollar, die in Kenia oder Uganda oft einem Jahreseinkommen einer Familie gleichkommen, wurden gute Ergebnisse erzielt. In Einklang mit der wissenschaftlichen Literatur zum Thema wurde das Geld nicht verschwendet, sondern auch einige Zeit später ging es den Menschen besser.

Über 140 Millionen Dollar sind so an einige der ärmsten Menschen der Welt geflossen. Zwei große Zweifel gab es aber. Weil das Geld an die jeweils Ärmsten in Dörfern verteilt wurde, stellte sich die Frage: Was ist mit der Nachbarin, die kein Geld bekommt? Der zweite Zweifel war ein ökonomischer: Führt das nicht zu Inflation? Also steigen nicht einfach die Preise in der Region, und am Ende sind die Menschen genauso arm wie zuvor?

Eine Studie von fünf Ökonomen liefert jetzt seriöse Hinweise darauf, dass beide Zweifel unberechtigt zu sein scheinen. Sie haben mit der NGO Give Directly ein Experiment in Kenia aufgesetzt, bei dem über zehn Millionen Dollar in Siaya County, einer ländlichen, ärmeren Gegend, ausgeteilt wurden. In einer aufwendigen Studie, die mehr als eine Million Dollar kostete, schufen sie mit wiederholten Befragungen riesige Mengen an Daten.

10.500 Haushalte in Dörfern, die zufällig ausgewählt wurden und von lokalen Mitarbeitern wegen ihres Strohdachs als sehr arm eingestuft wurden, bekamen über drei Etappen 1.000 Dollar. 18 Monate später lebten sie deutlich besser als Menschen in Dörfern, in denen kein Geld ausgeteilt wurde. Ihr Konsum war im Vergleich etwa um 13,5 Prozent höher. "Das Geld wurde hauptsächlich für drei Dinge ausgegeben", sagt Dennis Egger, einer der Autoren. "Für Lebensmittel, für Betten und Möbel sowie für das Haus, also ein neues Dach, eine neue Türe."

Die Umsätze lokaler Firmen stiegen enorm, um 45 Prozent. Das scheint der Grund für die große Überraschung der Arbeit zu sein: Auch der Konsum jener, die zunächst leer ausgingen, stieg in etwa im gleichen Ausmaß. Das liegt nicht daran, dass sie sich verschuldeten, um mithalten zu können. Ihre Löhne sind stark gestiegen. Das Geld, das die Empfänger der Transfers ausgaben, hat die Wirtschaft der Region angekurbelt und so auch die Einkommen von Nichtempfängern erhöht.

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Hohe Inflation führt immer wieder zu Protesten, wie im Oktober in Haiti. Nur: Die Geldspenden in Kenia änderten kaum etwas an den lokalen Preisen.
Foto: AP / Rebecca Blackwell

Angesichts der positiven Ergebnisse ist wenig überraschend, dass die Kriminalität nicht anstieg. Genauso war es mit der Inflation: Sie blieb mit 0,1 Prozent extrem niedrig. Das ist hingegen schon eher verwunderlich: Wie kann es sein, dass die Preise nicht steigen, wenn plötzlich viel mehr Geld im Umlauf ist? Dafür muss man einen genaueren Blick auf die Ökonomie einer ländlichen Region in einem sehr armen Land werfen. Für jeden Dollar, der an Spenden floss, ist die Wirtschaft um das 2,6-Fache gewachsen.

Würde man in Österreich in diesem Ausmaß ausländisches Spendengeld verteilen, würde die Teuerung wohl nach oben schießen. Die Wirtschaft ist relativ gut ausgelastet. Es können nicht von heute auf morgen plötzlich um die Hälfte mehr Schuhe oder Motoren produziert werden. In Siaya County aber, so die Erklärung der Autoren, gab es freie Kapazitäten. So konnten etwa Mühlen problemlos einfach mehr Getreide mahlen. Gibt es mehr Geld, aber nicht mehr Güter, steigt die Inflation. Wird aber mehr produziert, steigen die Preise nicht.

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Give Directly gibt vor allem Menschen in ländlichen Regionen Geld.
Foto: AP / Ted Kenya

Ist die Lösung für Armut auf der Welt also, einfach Geld zu verteilen? Johannes Haushofer von der Princeton University, einer der Autoren, mahnt zu Vorsicht. "Die Ergebnisse sind schwer zu verallgemeinern", sagt er. "Insofern die Wirtschaft anderer Entwicklungsländer ähnlich aussieht, könnte man vermuten, dass es auch dort ähnliche Effekt gibt. Dafür sollten aber mehr solche Experimente her." Außerdem ist das Geld einmalig geflossen. "Wenn man für den Rest des Lebens Geld bekommt, könnte sich das Verhalten ändern", sagt Dennis Egger.

Wer in extremer Armut lebt, scheint von einmaligen Geldtransfers jedenfalls zu profitieren. Aber nicht alles, woran es ärmeren Menschen mangelt, kann man einfach kaufen. Sorgt der Staat nicht für gute Schulen und Krankenhäuser, Infrastruktur und Gerichte, ändert sich am Grundproblem der Menschen wenig. Bis dahin gibt es aber immer mehr Beweise dafür, dass direkte Geldtransfers das Leben von ärmeren Menschen, die unter widrigsten Bedingungen leben, etwas besser machen können.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer Beitrag erscheint. (Andreas Sator, 8.12.2019)