Alfredo Barsuglia bricht mit Erwartungen.

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Eine künstliche Ruine der Schönheitsindustrie des frühen 21. Jahrhunderts: Barsuglias "Oderfla Beauty Resort" (2008) in Kalifornien.

Foto: Alfredo Barsuglia

2013 stellte Barsuglia sein "Hotel Publik" in der Tiroler Landeshauptstadt auf und lud zur öffentlichen Übernachtung ein.

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Bei "Social Pool", 2014 in der Mojave-Wüste in Kalifornien errichtet, befasst Barsuglia sich einmal mehr mit Luxus und Konsum.

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Im Mak bekochte Barsuglia 2015 in der von ihm gebauten Wohnung "Cabinet" Gäste.

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Mit dem Projekt "Mariainsel" zwackte Barsuglia 2018 der Uferlinie der Feistritz in Fürstenfeld ein Fleckchen ab und machte es zur Begegnungsinsel.

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Barsuglias fotorealistische Pflanzenstudien sind gut bekannt, er malt aber auch abstrakt: "Double-Check".

Credit: Alfredo Barsuglia

In Alfredo Barsuglias gegenwärtig laufender Schau im Wiener Kunstforum steht ein Mistkübel der städtischen Müllabfuhr. Barsuglia hat ihn nicht heimlich abmontiert, sondern von der MA 48 nigelnagelneu ausgeborgt. Damit er in die von Barsuglia nachgebaute authentische Wiener Straßenszene passt, hat der Künstler ihn zerkratzt, beschmiert und mit Stickern beklebt. Nein, nein, winkt Barsuglia die Sorge ab, dass die MA 48 damit keine Freude haben wird. Man könne das alles mit Wasser wieder abwaschen.

Manche Besucher der Schau befinden den derart verunstalteten Kübel für so echt, das sie Müll einwerfen. Das freut Barsuglia zwar nicht unbedingt: Es kommt aber eigentlich gemäß dem Titel der Ausstellung "Take on me" ("Nimm es mit mir auf") einem Kompliment gleich.

"Take on me" heißt Alfredo Barsuglias derzeit im Tresor des Kunstforum Wien zu sehende Schau, für die er detailverliebt eine Wiener Straßenszene erschaffen hat.
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Denn der Künstler fordert die Realität mit seiner eigenen Version von ihr heraus. Wochenlang hat er kleine Metallteile in Wasser gelegt, damit sie rosten. Einen Sicherungskasten hat er aus Sperrholz nachgebaut. "Ich bin ein halbes Jahr durch Wiens Straßen gelaufen und habe beobachtet, was alles in Fassaden steckt, um es möglichst originalgetreu nachzubilden: Schrauben, Dübel, Kritzeleien ... Man würde nicht glauben, wie viel da los ist!"

Hohe Auszeichnung

Wer die Welt in einem Keller nachbaut, muss umso genauer sein, damit man sie ihm glaubt, sagt er. Barsuglia erhält heute den 39. Otto-Mauer-Preis. Der zählt zu den wichtigsten heimischen Auszeichnungen für Künstler unter 40 Jahren. Franz West oder Brigitte Kowanz haben ihn bisher bekommen. Wichtiger als die 11.000 Euro Preisgeld ist für Barsuglia deshalb das damit verbundene Renommee. Von der Jury wurde besonders hervorgehoben, dass der 1980 in Graz geborene und in Wien lebende Künstler sich in seinen "vielgestaltigen" Arbeiten "medien- und gattungsübergreifend" mit "künstlerisch und gesellschaftspolitisch höchst relevanten Themen" wie "Ökonomie, Ökologie, Umgang mit Natur, Funktion von Kunst" auseinandersetzt.

"Ich mache Sachen, die Erwartungshaltungen brechen, hole Menschen dort ab, wo sie sind, und halte ihnen im besten Fall einen Spiegel vor", sagt Barsuglia dazu. Oft fordern seine Arbeiten auch zum Mitmachen heraus. Für "Social Pool" etwa hat er 2014 in der kalifornischen Mojave-Wüste ein Schwimmbecken platziert. Es war nicht einfach zu erreichen, und man musste zu Fuß hinpilgern. Das sollte allerdings zeigen, wie viel wir für Luxus auf uns nehmen und welchen Stellenwert er in unserer Gesellschaft hat. Schon 2008 hat Barsuglia – ebenfalls in der Mojave – ein Beauty-Ressort halb im Sand versenkt. Es soll einst Rätsel zur Schönheitsindustrie des frühen 21. Jahrhunderts aufgeben.

Gratis übernachten

Für "Hotel Publik" stellte Barsuglia 2013 indes in der Innsbrucker Innenstadt eine kleine Hütte auf, in der Interessierte tatsächlich gratis übernachten konnten. Offen war sie für alle, die nur ausprobieren wollten, wie es ist, zwischen Fußgängern und Verkehr zu schlafen, genauso wie für Obdachlose. Oft haftet Barsuglias Arbeiten ein solches absurdes oder irritierendes Moment an. Was optisch und sinnlich einprägsam daherkommt, hat einen starken konzeptuellen Hintergrund. Beim Bau größerer Räume hat Barsuglia Hilfe, aber immer legt er selbst Hand an, weil er dadurch weiß und ständig dazulernt, was technisch möglich ist.

Für "Mariainsel" trennte er in Fürstenfeld 2018 ein kleines Stück vom Ufer der Feistritz durch einen Wassergraben ab und erschuf so ein Eiland als Freiraum für Begegnungen. "Im öffentlichen Raum ist alles reglementiert, überall wird mit Cafés und Einkaufszentren Geld rausgeholt, und Bänke haben Armlehnen, damit sich keiner mehr hinlegen kann. Diese Insel ist ein Ort, der nicht solchen Wertkategorien gehorcht. Nicht die Insel an sich, sondern was darin mitschwingt, ist das Kunstwerk."

Reflektierte Gegenwart

Der Trickser Barsuglia will mit seinen Werken Reflexionen über die Gegenwart anstoßen. Das hat einerseits zur Folge, dass sich vieles, was er macht, schlecht an die Wand hängen und damit auch schlecht verkaufen lässt. Andererseits verändern Arbeiten oft einige Jahre später ihre Dringlichkeit oder "funktionieren nicht mehr". Das macht ihm jedoch nichts. "Ich glaube, dass es mit Kunst wie bei gutem Essen ist. Man isst es, genießt es und erinnert sich daran. Ich muss das Essen nicht bei mir zu Hause stehen haben, für den Moment allerdings war es gut und wichtig."

Als Barsuglia vor 20 Jahren in Wien an der Akademie und der Angewandten Malerei studierte, war die Kunstausbildung noch strikt nach Sparten getrennt. Trotzdem machte er bereits damals auch Installationen und Performances. Er habe gespürt, dass er auf diese Art mehr Möglichkeiten hatte, etwas auszudrücken. Bei vielen Künstlern sei es so, dass, wenn man ein Bild von ihnen kenne, man alle ihre Bilder kennen würde, sagt Barsuglia. Das will er nicht. Er lässt sich für jede Ausstellung auf den jeweiligen Ort und auf neue Ideen ein.

Ab Freitag zeigt er zusammen mit der Gruppe Gelitin im Kulturforum Montafon die Ausstellung "Daily Golem". Gerade war er in Bregenz, wo er bei "Drawing into the void" drei Tage lang die Wände des Bildraums mit dort vorgefundenen Utensilien bearbeitete. Es ist das erste Mal, dass er so etwas macht. So will er sich in einem Markt, der auf Namen und die Wiedererkennbarkeit von Kunstwerken ausgerichtet ist, freispielen. Diese Freiheit findet er großartig. (Michael Wurmitzer, 4.12.2019)