Das japanische Modelabel Comme des Garçons gilt als eines der innovativsten, radikalsten und gleichzeitig geheimnisvollsten. Geschätzt wird es nicht nur von Modemenschen, sondern auch im Kunstkontext. "Wie Buben" würde der Name der Marke übersetzt lauten, die 1973 als Firma von Rei Kawakubo in Tokio gegründet wurde.

Gleichzeitig gilt die Japanerin als eine der unnahbarsten Designerinnen der Modebranche. Sie tritt nie in der Öffentlichkeit auf und gewährt nur in Ausnahmefällen Interviews. Fragen werden darin meist sehr knapp oder gar nicht beantwortet. Kawakubo versucht, durch ihre Kleider mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Während der Anproben: "Orlando"-Darstellerin Kate Lindsey in einem Kostüm für Olga Neuwirths Oper.
Foto: APA / AFP / François Guillot, Dustin Dis

Der Autor, seit Jahren mit dem Label in Kontakt, führte mit Rei Kawakubo eines der wenigen E-Mail-Interviews. Der Anlass: die Kostüme, die die Modedesignerin auf Initiative der Komponistin Olga Neuwirth für die Oper Orlando entwarf, die am 8. Dezember in der Wiener Staatsoper Premiere hat.

Konsequente Haltung

"Ich lehne sämtliche Konservatismen ab, da diese nichts Neues bringen", diese Aussage gilt als eine der Grundthesen von Kawakubo. Seit Beginn verhandelt sie Themen wie Asymmetrie, Dekonstruktion, Androgynität oder die Farbe Schwarz und experimentiert mit ungewöhnlichen Passformen und neuen Materialien.

Diese konsequente Haltung zieht sich bis heute durch ihre Arbeit, sie stellt die Firma immer wieder vor neue kreative Herausforderungen. Die Modeschauen von Comme des Garçons in Paris sind im Vergleich zu denen anderer Designer nur einer exklusiven Klientel vorbehalten, darunter Stars aus Kunst, Musik und Film, manche wechselten auch die Seite: 1989 modelte Schauspieler John Malkovich für das Label.

Mit Cindy Sherman arbeitete Kawakubo 1993 an einer Fotokampagne. Ein Jahr später lancierte die Firma ihr erstes Parfum mit einem spektakulären Event an der Bar des Swimmingpools im Pariser Hôtel Ritz, bei dem auch Madonna anwesend war.

Das Metropolitan Museum New York richtete 2017 die Ausstellung "Rei Kawakubo / Comme des Garçons – Art on the In-Between" aus.
Foto: APA / AFP / François Guillot, Dustin Dis

Die Erfolgsgeschichte zwischen Kult und Kommerz wird seither fortgeführt und von Kawakubos Ehemann Adrian Joffe, Sprecher und Manager der Firma, nach außen getragen. Heute führt die Marke Comme des Garçons zahlreiche Linien, unter anderem bietet sie auch Kinder-T-Shirts für Zweijährige an.

Dem jüngeren Publikum ist die Marke oft nur mehr unter ihren Initialen CDG bekannt. Die individuelle Charaktere ansprechende Parfumkollektion besteht aus über 40 Düften, in ihnen mischen sich ungewöhnliche Gerüche wie Beton, Kupfer, Weihrauch, Zimt oder jene von Putzereien. Kawakubo über ihre Strategie: "Ich habe immer schon versucht, Dinge zu realisieren, die es vorher nicht gab, und dies stellt den grundlegenden und einzigartigen Wert von Comme des Garçons seit der Gründung dar."

Von Anfang an förderte sie jüngere Designtalente wie Junya Watanabe, Tao Kurihara oder Kei Ninomiya. Letztere entwerfen eigene Kollektionen für Comme des Garçons. Stets um Diversität bemüht, revolutioniert Kawakubo nicht nur Kleidung: Sie gestaltet auch das Interieur ihrer Läden, bereits in den 1980er-Jahren entwarf sie eine Möbelkollektion.

Gemeinsamkeiten

Was Olga Neuwirth und Rei Kawakubo verbindet, ist das Bestreben, in ihrem jeweiligen Feld Konventionen aufzubrechen sowie ihr künstlerisches Genre neu zu denken. Beide haben eine Affinität zu Punk, den Kawakubo kleidungstechnisch regelmäßig auf den Prüfstand stellt: "Ich habe mich schon immer für den rebellischen Geist von Punk interessiert und für alle, die vorgefertigte Haltungen verwerfen und sich gegen das konservative Establishment richten", so die Designerin im Interview.

Kawakubo bricht mit traditionellen Auffassungen von Mode und dem binären System von Mann und Frau. Dichotomien interessieren sie nicht, sondern die Möglichkeit, "über Zeit, Raum und Gender hinwegzudenken".

Die scheue Designerin Rei Kawakubo lässt sich nur selten wie hier von Paolo Roversi fotografieren.
Foto: Paolo Roversi / Comme des Garçons

Dies thematisiert die Oper Orlando nach der Romanvorlage von Virginia Woolf aus dem Jahr 1928: Deren über mehrere Jahrhunderte lebende Hauptfigur wird als Mann geboren, verwandelt sich schließlich aber in eine Frau. Möglichkeiten eines Identitätstransfers bzw. eine Befreiung von Vorstellungen über Hetero- oder Homonormativität finden in den Kollektionen von Comme des Garçons kontinuierlich statt.

Während der Arbeit an Orlando habe sich "ein evolutionärer Prozess" eingestellt, so Kawakubo. Die Dramaturgie dieser Kooperation übertrug die Designerin auf den Prozess des Marketings. Sie entwickelte eine Aufführung in drei Akten und erklärte die Männerkollektion für das Frühjahr 2020 zum ersten Akt, die Damenkollektion zum zweiten, der dritte Akt ist den Kostümen der Oper gewidmet.

Während der Proben zu "Orlando"
Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Während der Proben zu "Orlando"
Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die ersten beiden Akte zeigte Kawakubo während der Pariser Modeschauen im Juni und September 2019. In der Herrenkollektion zelebrierte sie das von ihr oftmals angewandte Cross-Dressing, bei den Damen spielte sie mit architektonischen Formen. In beiden Fällen umgeht sie die Restriktionen von Körper und Physiognomie.

Historische Elemente, die sich auf die unterschiedlichen Stilepochen von Orlando beziehen, stellen für die Designerin keine Referenzen dar. Sie dienen lediglich als "metaphorischer Leitfaden", um Kleidung weiterdenken zu können.

Kawakubos Modeschauen gelten als dramaturgische Ereignisse, die das Thema ihrer jeweiligen Kollektion verhandeln und als in sich geschlossene Performances in einem Kunstkontext gesehen werden können. In jüngster Zeit lassen die ungewöhnlichen Haarteile, die seit Jahren in Zusammenarbeit mit dem Pariser Stylisten Julien d’Ys entstehen, die Körper der Models verschwinden, um die Aufmerksamkeit auf die Radikalität der Kleidung zu richten.

Zudem weigert sich Rei Kawakubo im Gegensatz zu anderen Modedesignern, sich am Ende der Schauen dem Publikum zu zeigen. Im Showroom wiederum sitzt sie in einem durch Glas abgetrennten Büro, behält aber den Überblick, um sich in seltenen Fällen ins Gemenge zu mischen.

Die Comme-des-Garçons-Männerkollektion für das Frühjahr 2020 erklärte Kawakubo zum ersten Akt ihres dreiteiligen "Orlando-Projekts", die Damenkollektion zu Akt zwei.
Foto: APA / AFP / François Guillot, Dustin Dis

Seit 1989 in Wien erhältlich

In Wien ist die Marke seit 1989 in der Wiener Modegalerie emis erhältlich. Ende der 1980er-Jahre galt es im konservativen und von der Vergangenheit geplagten Österreich noch als Herausforderung, sich der visuellen Radikalität dieser Mode zu stellen und von den üppigen Schulterpolstern und zu groß geschnittenen Sakkos dieser Jahre Abschied zu nehmen.

Im internationalen Kontext gehörte Kawakubo zu jener Zeit bereits zu einer modischen Avantgarde, die eine nachfolgende Generation an Designern beeinflusste. Karl Lagerfeld bezeichnete sie als eine der bedeutendsten Designgrößen des 20. Jahrhunderts. 2017 widmete ihr das Metropolitan Museum of Art in New York eine Ausstellung, nach Yves Saint Laurent die zweite Retrospektive eines lebenden Designers.

Kawakubo umgeht jegliche Auffassungen von Mode, da ihre Arbeit keinerlei Definitionen über das, was Kleidung sein kann, darf oder muss, unterliegt. Sie strebt danach, einen "qualvollen Weg zu gehen, um etwas Neues zustande zu bringen. Es gibt keinen vordefinierten Ansatz. Subtexte wie Praktikabilität, Marketing oder Branding werden erst im Nachhinein austariert."

Ihre Arbeit kann als Gesamtkunstwerk verstanden werden: Kawakubo behält bis heute alle Schritte vom Entwurf bis zur Produktion im Auge. Zufrieden ist sie jedoch nie, denn: "I always feel that I could have done a bit better." (Walter Seidl, RONDO, 6.12.2019)