Ein Büroareal in Prag, ein Wohnviertel in Graz, ein Businesspark in Linz: Neue urbane Verdichtungen in europäischen Großstädten sehen sich erschreckend ähnlich. Gedrungene Türme (fast so breit wie hoch) mit versetzten Fenstern und lustig wandernden Balkonen. Ein Baustil ohne Stil greift um sich, eine Baukunst ohne Kunst sowie Typologien, die alles tun, um nicht typisch zu sein. Man könnte sie untereinander austauschen und niemandem würde es auffallen. Wie kann das sein? Was ist passiert in den letzten Jahren? Dabei ist ein eindeutiges Stadt-Land-Gefälle zu bemerken, und diesmal in umgekehrter Richtung. In nahezu allen Bundesländern (sogar im Burgenland) gedeiht Baukultur teils prächtig. Das zeigt der aktuelle Bauherrenpreis. Bis auf wenige urbane Typologien stehen die meisten prämierten Objekte in einem ländlichen Kontext, interpretieren Dorfkerne, alte Typologien oder bekannte Baustoffe (Holz) auf eine exzellente Art und Weise neu.

Ortsunabhängige Architektur

Während man sich am Land also redlich bemüht, das biedere Image abzustreifen, zählt in der Stadt eine möglichst neutrale, wenn nicht globale Architektur. Fassaden, Struktur und Proportion sind Ortsunabhängig geworden. Sie reflektieren weder Ort noch Geschichte und nehmen auf zukünftige Bewohnende nur wenig Bezug. Bei Baugruppen-Projekten ist dies naturgemäß anders. Sie beziehen sich auf bestimmte Gruppen mit genauen Vorstellungen und Möglichkeiten. Aber nicht überall können Baugruppenprojekte realisiert werden, noch braucht es den Massenwohnungsbau (oder Bürobau) ohne allzu konkretes Anforderungsprofil. Man könnte nun auf die Geschichte zurückgreifen, auf verschiedene Bauausstellungen, wo unter der jeweiligen Zeit auch neue Typologien erfunden und erprobt wurden. Aber das ist nicht Thema hier. Es geht um das Jetzt. Um Fragen aktueller Technologien und Bevölkerungsstrukturen sowie um Fragen nach theoretischen Konzepten als Rückgrat für eine heutige, aktuelle Architektur.

Ein Blick vom Hauptbahnhof in Wien auf die umliegenden Häuser zeigt eines: Monotonie.
Foto: Sabine Pollak

Das Ende der Ismen

Architekturtheorien, -stile und -ismen entstanden immer in Schüben und in zeitlichen Rhythmen. Über die Jahrhunderte hindurch wurden die Intervalle des Wechsels immer kleiner. Dies hatte mit neuen Geschwindigkeiten und einer gewissen Schnelllebigkeit zu tun, aber auch mit den technischen Möglichkeiten, die sich schneller entwickelten. Nach Jahrhunderten der Architekturtheorien, Stile, Stilbrüche und Akademien-Kämpfe ist es heute seltsam ruhig geworden in der Auseinandersetzung um Architektur. Alles geht und nichts ist unmöglich? Das kann gut sein, beim Großteil der Bauten, die unsere Städte bestimmen, ist eher das Gegenteil der Fall. Bloß nicht auffallen, was zählt ist geringster Widerstand und Kostengarantie.

Von postmodern bis dekonstruktiv

Meine Architekturausbildung begann in der Postmoderne (Grazer Schule) und setzte sich im Dekonstruktivismus fort. Was für eine Zeit! Zuerst wurde fröhlich zitiert und dann dekonstruiert, also alles in seine Bestandteile zerlegt. Das hatte einen gewissen reinigenden Effekt. Am Beginn konnte es schwülstig werden, man neigte zur Übertreibung, danach wurde nach dem Sinn gefragt, nichts als gegeben angenommen und nahezu dadaistisch collagiert. Dekonstruktivistische Architektur war als theoretisches Konzept höchst spannend, erwies sich im Reality-Check, wie zum Beispiel im Wohnen, jedoch als wenig brauchbar. Wenn die schräge Säule mitten durch den Wohnraum donnert wie in einem Projekt in der Wiener Vorgartenstraße ist das für Architekten lustig, für Bewohner überhaupt nicht. Dekonstruktivismus war als Spielwiese gut, solange es nicht ums Bauen ging.

Rein in die Höhle!

Ich frage mich, ob ein solches Programm, also ein neuer Ismus, unseren Planungen nicht gut tun würde, und sei es post-post-urban oder neo-dekonstruktiv. Wäre nicht alles besser als Austauschbarkeit? Ist Nachhaltigkeit der Stil des 21. Jahrhunderts? Worüber wollen wir zukünftig streiten auf den Akademien? Darüber, wer die lustigsten Balkone produziert? Der Schweizer Architekt Christian Kerez beschreibt seine Herangehensweise als konstruktive Prägnanz. 2016 verblüffte er im Schweizer Pavillion (ausgerechnet!) auf der Biennale in Venedig mit einem Raum-füllenden, Kartoffel-artig zerklüfteten Höhlengebilde. Während sich andere Pavillions mit Projektabbildungen abmühten, zog man sich hier die Schuhe aus und wollte nichts wie rein in die Höhle. Vielleicht ist eine solche konstruktive Prägnanz der Trigger, um Projekte aus ihrer Langweiligkeit und Allerwelts-Form herauszuholen. Eine Architektur, die uns dazu bringt, die Schuhe und Kleider abzustreifen und die Wand anzuhauchen, um zu sehen, ob sie etwas tut mit mir. Sie muss weder luxuriös noch überzogen sein, die Architektur, aber global und pseudo-neutral, das ist fatal. (Sabine Pollak, 11.12.2019)

Schweizer Pragmatik trifft auf sinnliche Höhlenarchitektur.
Foto: Sabine Pollak
Schuhe aus und nichts wie rein!
Foto: Sabine Pollak

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