Juli 2019: eine vom Hochwasser beschädigte Straße in Rußbach am Pass Gschütt im Salzburger Lammertal.

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Wetterextreme werden mit dem Klimawandel häufiger. Umso wichtiger wird ihre möglichst exakte Vorhersage. In Europa oder Nordamerika, wo lange Datenzeitreihen aus vergleichsweise dichten Messnetzen in die Modelle einfließen, ist man dafür gut gewappnet. In anderen Weltgegenden, wo etwa nicht einmal aktuelle Pegelstände vorliegen, gestalten sich gute Prognosen dagegen schwieriger.

Google plant einen Service, der trotz dieses Mankos gute Hochwasserprognosen aus aller Welt zugänglich machen will. Ein Schlüssel dazu ist künstliche Intelligenz (KI). Lernende Algorithmen sollen trainiert werden, Hochwassergefahr anhand aktueller meteorologischer Prognosen zu erkennen. Die Grundlagenforschung dahinter erfolgt nicht nur im Silicon Valley, sondern zumindest zum Teil auch am Institut für Machine Learning der Johannes Kepler Universität (JKU).

In der Wiener Außenstelle der Linzer Universität sitzen Frederik Kratzert und Daniel Klotz vor ihren Bildschirmen. Die beiden Doktoranden entwickeln gemeinsam mit den JKU-Informatikern Günter Klambauer und Sepp Hochreiter in einer von Google finanzierten Forschungsarbeit einen Algorithmus, der die künftige Abflussmenge von Flüssen vorhersagen soll, ohne dabei auf die klassischen hydrologischen Modelle zurückzugreifen. Die Erkenntnisse wurden zuletzt im Fachjournal "Hydrology and Earth System Sciences" vorgestellt.

Mangelnde Genauigkeit

Diese bisher gängigen Modelle packen die wichtigsten Komponenten des Wasserabflusses – von der Speicherung als Schnee bis zur Versickerung im Boden – in mathematische Gleichungen. Für Kratzert sind diese Berechnungen zwangsläufig eher einfach gehalten.

"Zum einen sind noch gar nicht alle Prozesse vollständig verstanden. Zum anderen sind die Daten in einer hohen Genauigkeit gar nicht vorhanden", erklärt der Forscher, der sich vor seinem Doktorat im Bereich Machine-Learning bereits an der Wiener Boku mit Hydrologie beschäftigt hat. "Diese Methoden funktionieren dort gut, wo es Abflussmessungen gibt, um ein Modell speziell für einen Fluss kalibrieren zu können." Und das sei selbst in Österreich nicht bei allen Fließgewässern der Fall.

Neuronale Netze als Basis

Die Alternative, an der Kratzert arbeitet, funktioniert nach ganz anderen Prinzipien. Nicht lange Zeitreihen von Messdaten und hydrologische Gleichungen geben hier die Basis, sondern Satellitendaten und neuronale Netze. "Wir trainieren die künstliche Intelligenz anhand vieler Flüsse zusammen, sodass sie ein ganz allgemeines Verständnis der zugrunde liegenden Zusammenhänge gewinnt", erläutert Kratzert.

Zu den Trainingsdaten gehören neben meteorologischen Daten wie Niederschlag, Temperatur, Luftfeuchte und Sonneneinstrahlung auch Kennwerte zu Klima, Böden, Vegetation und Topografie einer Region.

Die Werte sind von meteorologischen Diensten beziehbar oder können aus Satellitendaten extrahiert werden und sind also vergleichsweise einfach zugänglich. Das Trainingsziel ist, den Abfluss an bestimmten Punkten im Flussnetz bestimmen zu können, der dann in Pegelstände übersetzt werden kann. Ein Datensatz an Pegelmesswerten ist zwar für das Training der KI weiterhin erforderlich, aber nicht mehr für ihre Anwendung zur Erstellung von Hochwasserprognosen.

Schnee erkennen

Die Forscher konnten auch Einblicke gewinnen, wie das KI-Modell letztendlich aus den Daten Schlüsse zieht. "Ohne dass ihm das als eigene Information mitgegeben wurde, hat das System aus den zugrunde liegenden Daten ein Konzept von Schnee entwickelt", gibt Günter Klambauer ein Beispiel.

"Es hat gelernt, dass bei bestimmten Temperaturen Niederschlag als Schnee akkumuliert wird und nicht unmittelbar zum Abfluss in den Flüssen beiträgt. Wir haben eine Stelle, ein Neuron im neuronalen Netz, gefunden, dessen Wert anstieg, wenn Schnee eine Rolle spielt."

Kratzert verweist darauf, dass ein KI-Modell, das mit Satellitendaten aus Nordamerika trainiert wurde, "signifikant bessere" Ergebnisse brachte als das aktuelle nationale Wassermodell der USA. Bis aber ein weltweites hydrologisches Modell auf KI-Basis vorliegt, werde es noch länger dauern. Google hat derzeit "Flood Forecast"-Pilotprojekte in Indien und Bangladesch laufen.

Einfache Übertragung läuft nicht

Die KI-Komponenten der JKU-Forscher sollen darin Eingang finden. Allerdings: Einfach das bereits trainierte neuronale Netz auf diese Weltregionen zu übertragen, ist nicht möglich. Das Modell könne nicht auf Daten eines anderen Satellitenprodukts angewendet werden.

Damit die tatsächliche Ausbreitung von Hochwasser vorhergesagt werden kann, ist noch ein weiterer Schritt notwendig, der allerdings nicht mehr Aufgabe der JKU-Forscher ist. Im Google-Projekt werden die Abflussdaten mit detaillierten 3D-Landschaftsmodellen kombiniert.

Mit Fluid-Dynamics-Gleichungen kann errechnet werden, wie sich das Wasser in der Topografie verteilt. Heraus kommt schließlich eine – in die Zukunft gerechnete – Überflutungskarte einer Region. (Alois Pumhösel, 10.12.2019)