Woody Allen ist ausgerechnet mit "Manhattan" unzufrieden: "Ich wollte ihn nicht herausbringen."

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Sind Woody-Allen-Komödien unzeitgemäß? Im Fall von A Rainy Day in New York drängt sich der Verdacht nicht allein deswegen auf, weil der Film wie eine seiner beiden Hauptfiguren, Gatsby (Timothée Chalamet), die Vergangenheit den modernen Zeiten vorzuziehen scheint. Irritierend wirkt vielmehr der Blick auf seine Freundin Ashleigh (Elle Fanning), die naive Nachwuchsreporterin, die beim Ausflug nach New York die müden Herzen mehrerer Männer zum Rasen bringt. Alle diese Männer, etwa ein kriselnder Regisseur (Liev Schreiber), arbeiten im Filmgeschäft.

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Man könnte somit glauben, Woody Allen habe mit dem Film bereits auf verquere Art auf die MeToo-Debatte Bezug genommen. Doch es verhält sich eher umgekehrt, denn der Film wurde selbst vom Umschlagmoment der Bewegung erfasst, als seine Adoptivtochter Dylan Farrow ihre Anschuldigungen in einem Kommentar in der Los Angeles Times erneuerte. Der Film wurde vom Studio Amazon fallengelassen und kommt nun verspätet in Europa ins Kino. Wir trafen den Regisseur in Paris.

STANDARD: Timothée Chalamet, Star Ihres Films, und Schauspielerinnen wie Greta Gerwig haben erklärt, dass sie nicht mehr unter Ihrer Regie spielen wollen. Wie reagieren Sie darauf?

Allen: Das sind alles frei Menschen, die sagen können, was sie wollen. Sie müssen sich die Situation genau ansehen und sie dann bewerten. Und zwar realistisch.

STANDARD: Das haben sie ja offenbar gemacht. Wie gehen Sie damit um? Fühlen Sie sich als Opfer eines moralischen Kreuzzugs?

Allen: Nein, überhaupt nicht. Ich schätze mich glücklich, dass ich weiter Filme drehen kann. Ich hab gerade erst wieder einen mit Christoph Waltz in einer kleineren Rolle fertig gestellt, einem wundervollen Schauspieler.

STANDARD: Die Umstände betreffen Ihre Arbeit überhaupt nicht?

Allen: Nein, die Arbeit und das Schreiben waren immer hart. Ich sperre mich in einen Raum ein und denke über einen neuen Film nach. Das ist die härteste Phase. Ich muss mir einen Plot überlegen. Das war immer schon schwierig, heute nicht weniger als damals. Zugleich liebe ich diese Arbeit. Es muss gar nicht Film sein. Aber solange man mir dafür Geld gibt, mache ich weiter. Sonst schreibe ich eben fürs Theater oder ein Buch.

STANDARD: Mit der MeToo-Bewegung hat man auch begonnen, einen Ihrer Klassiker, "Manhattan", kontrovers zu diskutieren. Man stößt sich in der Darstellung der Affäre eines 42-jährigen Mannes mit einer 17-jährigen Frau.

Allen: Auch das ist ganz deren Sache. Als ich Manhattan drehte, mochte ich ihn übrigens selbst nicht besonders. Ich wollte ihn nicht einmal herausbringen. Ich war kein großer Fan, konnte den Enthusiasmus der Leute nicht teilen. Doch er traf bei den Menschen einen Nerv, erzeugte positive Resonanz, was mich natürlich freute. Ich hab United Artists allerdings gesagt, dass ich über den Film unglücklich bin und hatte ihnen davor sogar angeboten, einen anderen Film ganz umsonst zu drehen. Sie meinten, ich sei verrückt.

STANDARD: Warum waren Sie so unzufrieden?

Allen: Er hätte besser werden können. Er hätte die Beziehung hartnäckiger erforschen können. Es gab bestimmte Witze, dich ich nicht so mochte. Ich habe ihn nicht gehasst, aber ich dachte, ich habe nicht genug gegeben. So ging es mir bei einigen meiner Filme. Ich mochte wenige, Match Point, Midnight in Paris. Oder The Purple Rose of Cairo, Bullets Over Broadway – die begannen mit einer großartigen Idee, und sie hat funktioniert. Das war oft nicht so. Sogar mit Hannah and her Sisters war ich unzufrieden.

STANDARD: In A Rainy Day in New York erzählen sich von einer blonden Studentin, die nach New York kommt und dort in ein Haifischbecken fällt. Alle Männer begehren sie. Sehen Sie so die Filmwelt?

Allen: Ich hab sie eher als Figur gesehen, die nach New York kommt, und alle verlieben sich in sie.

STANDARD: Sie haben sie durch die romantische Brille betrachtet?

Allen: Der Regisseur ist von ihr inspiriert und will mit ihr nach Frankreich ziehen. Dem Autor geht es ähnlich, sie rettet ihm den Tag. Der Schauspieler will mit ihr ins Bett. Sie lieben sie spirituell und emotionell – sie ist der große Hit. Nur nicht bei Gatsby.

STANDARD: Es gibt eine komische Standardsituation, da läuft sie mit einem Trenchcoat davon – darunter hat sie nichts an.

Allen: Sie ist hin und hergerissen darüber, ob sie mit dem Star ins Bett gehen soll. In der heutigen Welt würde sie das tun. Er ist zu charismatisch, um zu widerstehen. Sie denkt wahrscheinlich, sie könnte noch ihren Enkeln davon erzählen. Aber insgesamt geht es nicht bloß um Sex, die anderen beiden sehen sie mehr als Inspiration. Als jemanden, der einen frischen, unverdorbenen Blick aufs Leben hat.

STANDARD: Aber lässt sich das heute mit einem solchen vermeintlich unschuldigen Blick noch erzählen?

Allen: Männer flirten mit Frauen. So war es immer, so wird es immer sein. Frauen werden das auch wollen, es wird ihnen weiterhin gefallen. Männer sind sexuell aggressiver. Sie finden Frauen schön, finden schnell etwas, was sie erregt. Es mag ihr Intellekt sein, es mag nur das Aussehen sein oder auch das, was sie repräsentiert. Wenn man auf einer Party eine Frau sieht, dann ist es zuerst das Äußere, worauf man achtet. Dann geht man zu ihr, spricht sie an, und dann kann sie sich immer noch als Reinfall entpuppen.

STANDARD: Ihr Hauptcharakter heißt Gatsby, hat Züge von Salinger und zieht Frauen vor, die forsch zurück reden. Warum diese literarischen Anbindungen?

Allen: Weil sie zwei wichtige New Yorker Autoren sind. Ich liebe Fitzgerald und Salinger, sie decken zwei unterschiedliche Zeitalter ab. Ich wollte ein nostalgisches New York heraufbeschwören. Gatsby ist eine Figur, die lieber in der Vergangenheit leben würde. Er liebt alte Musik und wie die Stadt einmal gewesen ist. Salinger gehört in eine ähnliche Kategorie, er hat auch über jenes Manhattan geschrieben, in dem Gatsby lebte: die Upper East Side.

STANDARD: Nostalgie scheint Ihnen wichtig. Das sieht man auch daran, wie malerisch Vittorio Storaro New York ins Bild rückt.

Allen: Ich habe die Tendenz, Städte romantisch zu filmen. Das New York von Spike Lee ist natürlich anders. Ich sehe es idealisiert. Mit den Farben und dem Licht, das ich auswähle, kann der Stadt selbst ein Regentag nichts anhaben. Das würden viele anders sehen. Sie würden darüber fluchen, dass sie keine Taxis bekommen. (Dominik Kamalzadeh, 5.12.2019)

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Woody Allen und seine Beziehung zu Amazon

A Rainy Day in New York war die erste Arbeit, die Woody Allen im Rahmen eines aufsehenerregenden Vertrags über vier Film für Amazon drehte. Nachdem Allen im Zuge der MeToo-Bewegung 2017 von seiner Adoptivtochter Dylan Farrow erneut beschuldigt wurde, sie sexuell belästigt zu haben, zog sich Amazon aus dem Vertrag zurück und brachte den Film nicht mehr heraus. Allen verklagte das Unternehmen auf 68 Millionen Dollar, erst Anfang November kam es zu einer außergerichtlichen Einigung. Zum Zeitpunkt des Interviews durfte Allen nicht über Amazon sprechen.

In dem Fall, der sich 1992 ereignet haben soll, wurden die Ermittlungen gegen Allen fallengelassen. Es steht Aussage gegen Aussage. Anders als früher wird Allen allerdings in den USA nun dafür sozial geächtet. Auch seine älteren Filme werden neu diskutiert, schwerer für den Regisseur dürfte jedoch der Umstand wiegen, dass Schauspieler wie Timothée Chalamet oder Rebecca Hall ankündigt haben, nicht mehr mit ihm drehen zu wollen. (kam)