Die Theaterkarriere hat Karl Sibelius längst an den Nagel gehängt. An der Pinnwand in dem kleinen Büro erinnert ein Plakat der Rocky Horror Picture Show an längst vergangene Bühnentage. Sibelius brillierte damals am Linzer Landestheater in Rolle des Frank N. Furter. Nach einer Kurzintendanz in Trier gepaart mit dem Vorwurf einer Budgetüberschreitung sah sich der 49-Jährige gezwungen, sich beruflich neu zu orientieren. Heute unterrichtet der einstige Bühnenstar an der Pädagogischen Hochschule in Linz und hat die Ausbildung zum Psychotherapeuten gemacht.

Familiäres Netz

Eine neue Rolle, in der sich Karl Sibelius sichtbar wohlfühlt. Doch der Weg war in den letzten Jahren geprägt von Höhen und Tiefen. "Nachdem ich 2016 in Trier gehen musste und in unseren Bauernhof nach Helfenberg zurückkehrte, verfiel ich in eine veritable Depression, hatte sogar Selbstmordgedanken. Da habe ich dann ganz intensiv gespürt, wie wichtig es ist, eine stabile Familie als Auffangnetz zu haben."

Eine ganz normale "Traumfamilie" im Licht der Öffentlichkeit: Karl M. Sibelius mit den drei Kindern. Papi Rainer Bartel hat fotografiert.
Foto: Der Standard

In seinem Fall hat die Familie immer noch den Nimbus des Besonderen. Karl Sibelius lebt in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit drei Kindern. 2005 waren der ehemalige Schauspieler und sein Partner Rainer Bartel das erste Homo-Paar in Österreich, das ein Baby adoptierte. Über Jahre ist die Regenbogenfamilie dann ordentlich gewachsen: Ella ist heute 14, Jakob neun und der Nachzügler drei Jahre alt – die beiden Jüngeren sind Pflegekinder.

In der kleinen Mühlviertler Gemeinde Helfenberg wurde der Familie von Karl Sibelius und Rainer Bartel von Anbeginn viel Toleranz entgegengebracht. Ella ist altkatholisch getauft, der Taufpate ist der Dorfwirt. So weit, so normal.

Das Medieninteresse an dem nicht ganz alltäglichen Familienkonstrukt hat trotzdem nicht nachgelassen, im Gegenteil. Nach wie vor muss sich Sibelius erklären – genervt ist er davon nicht, beobachtet aber eine Entwicklung mit Sorge: "Vor ein paar Jahren hätte es diese Erklärungen nicht mehr gebraucht. Doch es hat sich in den letzten Jahren so viel verändert. Die Leute trauen sich plötzlich wieder verstärkt, ihrer Antipathie gegenüber allem, was anders ist, Ausdruck zu verleihen." Die Stimmung, das "Grundgefühl" habe sich verändert.

Ob es einen konkreten Moment gegeben habe, wo der Wunsch nach einer Familie reifte? "Eine interessante Frage. Vielleicht wollte ich unbewusst auch aus diesem Homo-Klischee und mich an die heteronormativen Sachen anpassen. Aber primär war es schon der Wunsch nach einer Familie. Und die eine Frage: Warum nicht wir auch? Ich lasse mir das weder von der Gesellschaft noch von der Politik verbieten." Es gebe dazu Langzeitstudien aus Amerika, die besagen, dass da "gar nichts Negatives daran ist." Man habe klar zeigen wollen: Auch Homosexuelle haben das Recht, eine Familie zu gründen. Hinzu sei sicher aber auch "der große Wunsch zu helfen" gekommen.

Kontakt mit Mama

Rein rechtlich sei es heute viel leichter geworden, als homosexuelles Paar ein Pflegekind aufnehmen zu können: "Die Stadt Wien sucht aktiv nach homosexuellen Paaren." Wenn man heute als schwules Paar ein Kind aufnehmen möchte, hätte man "die besten Chancen". Und mittlerweile würde auch niemand mehr einem Homosexuellen im Rahmen eines Adoptionsantrags raten, "zuerst zum Psychologen zu gehen".

Die beiden Väter haben auch nicht den Anspruch vieler Adoptiveltern, den Kontakt zur Herkunftsfamilie unterbinden zu wollen: "Es ist für uns ganz wichtig, dass die Kinder über ihre Herkunftsfamilie Bescheid wissen. Ella etwa weiß natürlich, dass sie adoptiert ist. Ihre leibliche Mutter lebt in Chicago. Und unsere Tochter ist mit ihr über Facebook in Kontakt." Nur ein persönliches Treffen habe Ella bis dato nicht gewollt.

Auch in ihrer Familie sei nicht alles nur eitel Sonnenschein, "wir haben genauso unsere Probleme wie alle anderen Familien. Ich bin kein besserer oder schlechterer Vater als andere. Wir sind keine Traumfamilie. Doch, halt – wir sind eine Traumfamilie! Aber wir haben auch unsere Nervenzusammenbrüche." Möglicherweise, sagt Sibelius, würden sein Partner und er intensiver über die Erziehung reflektieren: "Obwohl, das machen alle Adoptiveltern."

Auf jeden Fall würden sie von außen einen höheren Druck verspüren: "Offensichtlich müssen oder sollten wir als homosexuelles Paar perfekt sein. Der Maßstab wird höher angesetzt. Was aber total lächerlich ist. Mittlerweile ist mir das auch schon egal. Wenn der Kleine heute bei der Kassa schreit, weil er was Süßes will, sage ich ‚Nein‘ – ohne ein schlechtes Gewissen zu haben." Am besten fühle er sich, wenn er gar keine Reaktion von anderen spürt: "Da weiß ich, dass wir wirklich gute Eltern sind."

Mit Begeisterung erlebt er, wie viel freier die Jugendlichen heute leben: "Ich sehe das in Ellas Klasse. Die Kids lassen sich doch heute hinsichtlich der sexuellen Orientierung gar nicht mehr einordnen. Pansexuell nennen die das – heute liebe ich den, morgen den."

Gibt es im Hause Sibelius-Bartel eigentlich eine klassische Rollenverteilung? Sibelius: "Ich übernehme wohl den mütterlichen Teil. Und ich bin bei den Kindern der Papa, was das Synonym für Mama ist. Und Rainer ist der Papi – also der Vater." (Markus Rohrhofer, 10.12.2019)