Die Fernsehzuschauer bekamen mehrere Bilder vorgesetzt.

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"Bei der einen Wiederholung hat's so ausgesehen, bei der anderen so", sagt der damalige ORF-Kommentator Robert Seeger.

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Schicklgruber bleibt dabei: "Der Ball war nicht drinnen."

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1999 wollte er dies auch Linienrichter Ivo Kusovac vermitteln. Vergeblich.

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Schiedsrichter Radoman sah nichts, sein Linienrichter war sich nicht sicher.

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Das Schiri-Trio bekam nach Spielende Polizeischutz und ein Pfeifkonzert.

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Sturm-Trainer Ivica Osim vor dem Hinspiel in Parma.

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Ivica Vastic rettete Sturm in die Verlängerung.

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Sturm-Spieler Markus Schopp (Hintergrund) im Zweikampf mit Paolo Vanoli.

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Nach dem dritten Platz in der Champions-League-Gruppe spielte Sturm Graz 1999 im Uefa-Cup weiter. Dort wartete im Sechzehntelfinale mit Titelverteidiger Parma ein harter Brocken mit Weltstars wie Lilian Thuram, Mario Stanic, Hernan Crespo und Fabio Cannavaro. Das Hinspiel gewannen die Italiener mit 2:1 (Video). Das denkwürdige Rückspiel fand am 9. Dezember 1999 in Graz statt.

Hannes Reinmayr (Spieler): In Parma spielten wir auf einer Sandwüste. Jan-Pieter Martens hat noch die Latte getroffen. Schon da haben wir ein gutes Spiel gemacht, aber nicht die Tore. Das 1:2 war eine gute Ausgangslage. Wir haben uns insgeheim etwas ausgerechnet, gewusst, dass sie uns sicher unterschätzen.

Robert Seeger (TV-Kommentator): Sturm ging als Außenseiter ins Rückspiel. Parma hatte damals eine renommierte Mannschaft und war wesentlich stärker als heute. In Parma spricht man heute eher über den Schinken als über Fußball.

Josef Schicklgruber (Tormann): Durch das Auswärtstor hatten wir Hoffnung, das Spiel daheim zu drehen. Wir hatten ja eine gute Mannschaft, haben daheim jeden Gegner dominiert.

Miroslav Radoman (Schiedsrichter): Ich habe Sturm Graz bereits davor gekannt, hatte viele Freunde in Wien und Graz. Und ich kannte natürlich Trainer Ivica Osim. Wir haben uns vor dem Spiel über seinen früheren Klub Partizan Belgrad unterhalten. Für mich war das Spiel die Chance, zur EM 2000 zu kommen.

Anpfiff in Graz. In der fünften Minute der frühe Schock: Stanic trifft zum 0:1.

Seeger (live): Jetzt wird’s sehr schwer werden. Jetzt macht Parma sicherlich den Riegel zu.

Ludwig Krentl (Stadionsprecher): Ich hab mir gedacht: Die Burschen drehen das schon noch.

Reinmayr: Parma dachte, es ist durch, und hat zwei Gänge zurückgeschaltet. Das war ein Fehler.

Reinmayr war nicht in der Startelf.

Krentl: Der Hannes war ein begnadeter Fußballer. Nur hat das Quäntchen Einstellung gefehlt. Seine technische Finesse hätte für Barcelona gereicht.

Reinmayr wird in der 57. Minute eingewechselt. In der 66. Minute schießt er nach schönem Doppelpass mit Ivica Vastic das 1:1.

Seeger: Plötzlich schöpft man Hoffnung. Man hat gesehen, Sturm kann mithalten, Parma zurückdrängen und in Schwierigkeiten bringen.

Hannes Kartnig (Klubpräsident): Wir haben das Spiel beherrscht und waren klar besser.

Radoman: Die Parma-Spieler haben immer gemeckert, aber ich hatte das Spiel unter Kontrolle.

Sturm auch – und wird in der 87. Minute belohnt: Vastic trifft nach schöner Kombination zum 2:1 – Verlängerung! Und Sturm nimmt den Schwung in diese mit. Nach einem Gestocher kommt Reinmayr in Minute 94 an der Strafraumgrenze zum Ball.

Reinmayr: Es war eigentlich ein Roller. Der Tormann hat sich angeschüttet, hat über den Ball gehaut. Ich weiß auch nicht mehr, wie er das gemacht hat. Aber wurscht, Hauptsache drinnen.

3:1. Sturm stünde im Achtelfinale.

Krentl: Die Stimmung im Europacup war immer geil. Der Hannes hatte noch eine Riesenchance.

Im Gegenzug flankt Stanic von rechts. 106:57 Minuten sind gespielt.

Schicklgruber: Die Flanke ist abgerissen. Ich musste rückwärtslaufen, das ist immer schwer. Ich hatte aber viel Selbstvertrauen und dachte: Den Ball klaub ich mir runter wie nix. Ich habe die Linie gesehen, gemerkt, dass ich ziemlich weit hinten im Tor drinnen stand. Aber ich hab mir keine Gedanken darüber gemacht, dass der Ball mit vollem Umfang hinter der Linie sein könnte. Meine Hände sind ja einen Meter lang. Ich dachte, das Spiel geht normal weiter.

Die entscheidende Szene dauerte nicht einmal eine Sekunde, die Diskussionen danach dauern bis heute.
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Reinmayr: Wir wollten wieder angreifen. Der Pepi schießt ja weit aus. Parma war weit aufgerückt.

Seeger (live): Stanic … Schicklgruber. Ziemlich knapp vor der Torlinie hat er diesen Ball gefangen. So knapp, dass sogar reklamiert wurde beim Schiedsrichter-Assistenten! Was sagt er jetzt?

Krentl: Ich sagte noch zu meinem Kollegen: Pass auf, der gibt Tor.

Schicklgruber: Stanic hat Linienrichter Ivo Kusovac irgendwas auf Jugoslawisch gesagt. Dann hat der mit der Fahne gewachelt.

Radoman: Ich ließ das Spiel weiterlaufen. Dann hat mich Ivo zu sich gerufen, bevor Stanic mit ihm gesprochen hat. Ich bin zu ihm hin, er hat mir gesagt: "Ich glaube, es war ein Tor." Ich habe Ivo gefragt: "Bist du sicher oder nicht? Wenn nicht, setzen wir das Spiel fort." Er hat mich dann gebeten, ihm eine Minute zu geben, um konzentriert nachzudenken.

Mehrere Spieler umzingeln das Schiri-Gespann. Die Fans pfeifen.

Kartnig: Ich war wie gelähmt. Am Mund, an Füßen, an Händen, überall, auch an den Augen. Ich hätte einen Notarzt gebraucht.

Radoman schickt die Spieler weg und widmet sich Kusovac.

Radoman: Ich habe ihm eine Minute gegeben. Dann eine zweite. Plötzlich sagt er: "Kein Tor." Aber er ist sich nicht sicher.

Seeger (live): Also was ist jetzt? Er kann nur sagen Ja oder Nein. Aber der Assistent ist sich nicht sicher. Um Gottes willen! So eine Entscheidung darf doch nicht den Uefa-Cup beeinflussen.

Bange Minuten in Graz.
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Seeger: Bei der einen Wiederholung hat’s so ausgesehen, bei der anderen so. Langsam kommt dir der Gedanke: Na ja, das hat der Pepi verbockt. Aber du kannst es nicht so extrem ausdrücken. Du willst nicht, dass so was passiert. Das darf nicht sein. Du suchst andere Erklärungen.

Reinmayr: Der Linienrichter hat aus Reflex die Fahne gehoben und sich dann nicht mehr getraut, das zurückzunehmen. Der Schiri hat hundert Mal gefragt, ob er das Tor geben soll. Der Linienrichter hat einmal Ja, einmal Nein gesagt. Wenn ich mir nicht sicher bin, kann ich das Tor nicht geben.

Radoman: Ivo war leider nicht konzentriert genug, ihm fehlte die Erfahrung. Aufgrund der politischen Lage hatte ich kein fixes Gespann und bekam in jedem Spiel einen neuen Assistenten.

Schicklgruber: Der Linienrichter hat gewachelt, obwohl er auf der Höhe des Sechzehners stand. Von dort konnte er das gar nicht sehen.

Radoman: Nach drei, vier Minuten hat er gesagt, es war ein Tor.

Nach 108:36 Minuten gibt Radoman das 2:3 für Parma, das jetzt dank Auswärtstorregel weiter ist.

Kartnig: Das war reine Gefühlssache von dem. Vielleicht hat ihm Parma vorm Spiel ein bissl Schinken geschenkt.

Seeger: Die Welt brach zusammen. Wir waren im Gedanken ja schon im Achtelfinale. Und dann passiert so was, eine Allerheiligenflanke. Mir hat der Pepi leidgetan. Er hat ja jahrelang viel geleistet.

Reinmayr: Die Luft war danach draußen. Das war einfach ein Wahnsinn, Betrug am Verein. Der größere Klub wurde bevorzugt. Parma war Europacupsieger. Was da möglich gewesen wäre!

In der 121. Minute trifft Crespo zum 3:3-Endstand. Sturm ist draußen. Das Schiri-Trio bekommt Polizeischutz und ein Pfeifkonzert.

Radoman: Die Lage war nicht sicher, aber unter Kontrolle. Ich verstand die Reaktion der Fans.

Kartnig: Ich war die nächsten vier Nächte komplett fertig, habe nichts getrunken und gegessen, vier Kilo abgenommen.

Seeger: Für mich war’s am nächsten Tag vorbei. Übrig geblieben ist der Pepi, der Schicklgruber halt.

Schicklgruber: Mich musste niemand in der Kabine trösten. Ich war ja nicht schuld.

Radoman: Laut Schiedsrichter-Beobachter war das Tor korrekt, aber der Entscheidungsprozess furchtbar. Ich habe danach noch vier Stunden mit Ivo diskutiert. Er war verwirrt und wusste noch immer nicht, ob’s ein Tor war.

Mitte Dezember desselben Jahres fand die TU Graz anhand der TV-Bilder heraus, dass der Ball zur Gänze im Tor war.

Gernot Ambros

Radoman: Als Ivo gesagt hat "Ich glaube, es war Tor", hätte ich ihm sagen müssen: "Wenn du nur glaubst, bist du dir nicht sicher, also kein Tor." Das Spiel hat mich die EM-Teilnahme gekostet. Ein paar Jahre später habe ich meine Karriere beendet.

Kartnig: Ich kann bis heute nicht sagen, ob's ein Tor war oder nicht. Aber es ist alles vergeben und vergessen.

Reinmayr: Es war nie im Leben ein Tor. Es hat blöd ausgesehen, aber der Ball war nicht mit vollem Umfang hinter der Linie. Mich ärgert das noch heute. Die Leute interessiert nicht, dass ich zwei Tore gemacht habe, können sich nur noch an Pepis Tor erinnern. Wenn das nicht passiert, bin ich der Held. So ist er der tragische.

Schicklgruber: Ich bleibe dabei. Der Ball war nicht drinnen.

Die Spielzusammenfassung.
doomjoly

Spieldaten

Uefa-Cup/Drittrunden-Rückspiel am 9. Dezember 1999:

Sturm Graz – AC Parma 3:3 n. V. (0:1)
Arnold Schwarzenegger-Stadion, 13.433, Miroslav Radoman (YUG).

1. Spiel: 1:2.

Parma mit dem Gesamtscore von 5:4 im Achtelfinale

Tore:
0:1 (5.) Stanic
1:1 (66.) Reinmayr
2:1 (87.) Vastic
3:1 (94.) Reinmayr
3:2 (108.) Schicklgruber (Eigentor)
3:3 (121.) Crespo

Sturm: Schicklgruber – Neukirchner (64. Angibeaud) – Feldhofer (57. Reinmayr), Strafner (61. Foda) – Schopp, Mählich, G. Korsos, Prilasnig, Minavand – Vastic, Kocijan

Parma: Guardalben (76. Micillo) – Thuram, Torrisi, Cannavaro – Serena, Boghossian, Walem, Dino Baggio (71. Breda), Vanoli – Stanic, Di Vaio (46. Crespo)

Gelbe Karten: Mählich, Strafner, Feldhofer, Vastic bzw. Dino Baggio, Breda, Cannavaro, Thuram