Man könnte fast von einer vorweihnachtlichen Tradition sprechen. Jedenfalls treffen Ex-Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und die frühere Global-2000-Chefin Leonore Gewessler im Dezember mittlerweile mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufeinander.

Im Vorjahr hatte sich das türkise Eventteam für die Weihnachtszeit etwas ganz Besonderes ausgedacht: Im parteieigenen Adventkalender war Apfelstrudelbacken mit der Frau, der Sebastian Kurz vertraut, zur Verlosung angesagt. Und weil den Umweltschützern Aktionismus ebenfalls nicht ganz fremd ist, hat sich auch Gewessler für das Treffen mit der Ministerin beworben – und gewonnen.

Sitzt der von ihr Kritisierten jetzt direkt gegenüber: Leonore Gewessler, einst Global-2000-Chefin, heute Grüne.
Foto: Andy Urban

Das war zu jener Zeit, als das umstrittene Standort-Entwicklungsgesetz eine Beschleunigung von Umweltverträglichkeitsprüfungen bringen sollte. Bei den Umwelt-NGOs schrillten die Alarmglocken, man ersuchte Köstinger "dringend um einen gemeinsamen Krisengipfel", um die "umweltschutzfeindlichen Vorhaben" abzuwenden, wie Gewessler damals in einer Aussendung formulierte. Dazu ist es nie gekommen. Umso größer war der Gesprächsbedarf Gewesslers beim trauten Backworkshop. Sicherheitshalber prangte auf ihrer Schürze: "Beim Klimaschutz nicht strudeln."

Seitenwechsel

Mittlerweile wurde das Standortgesetz beschlossen – und wird nun von anderer Seite bekämpft: Weil nicht gesichert sei, dass innerhalb der Zwölfmonatsfrist alle Umweltauswirkungen berücksichtigt werden können, hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet. Auch die 42-jährige Gewessler hat inzwischen die Seite gewechselt: Als Nummer zwei kandidierte sie hinter Werner Kogler auf der Grünen-Liste für die Nationalratswahl. Jetzt sitzt sie der 41-jährigen Köstinger seit Mitte November nicht nur in der türkis-grünen Steuerungsgruppe gegenüber. Auch in der Untergruppe "Klima- und Umweltschutz" treffen sie sich als Leiterinnen beinahe täglich, um jene Themen zu besprechen, die nach Koglers Definition wohl eher als "Brocken" durchgehen. Aktueller Arbeitsauftrag der Chefs an Gewessler und Köstinger: für nähere Auskünfte bereitstehen, neue Instruktionen für die weitere Vorgehensweise abholen.

Das Rüstzeug für die Verhandlungen haben sich die beiden auf ganz unterschiedliche Weise geholt: hier die steirische Arzttochter Gewessler, die Politikwissenschaften studiert, später Büroleiterin des ehemaligen grünen Bezirksvorstehers von Wien-Neubau wird, sechs Jahre Aufbauarbeit für eine Öko-Stiftung in Brüssel leistet – und fast ebenso lange an der Spitze von Global 2000 steht. Dort die Kärntner Bauerntochter Köstinger, sozialisiert im Bauernbund, enge Vertraute und Allzweckwaffe von ÖVP-Chef Kurz mit einer steilen Politkarriere: mehrere Jahre Abgeordnete im Europaparlament, Vizepräsidentin des Ökosozialen Forums, später ÖVP-Generalsekretärin, heute Vizeparteichefin. Das Intermezzo als Nationalratspräsidentin währte nur kurz – nach rund einem Monat folgte der Wechsel ins Umweltressort.

Hat schon viele Rollen übernommen, auch die der Umweltministerin: Elisabeth Köstinger, Vertraute des ÖVP-Chefs.
Foto: Corn

Im Winterpalais in der Wiener Himmelpfortgasse machen die beiden Umweltpolitik derzeit also zur "Chefinnensache", ganz so, wie es die frühere NGO-Chefin einst gefordert hatte. Bloß gilt mittlerweile als gesetzt, dass die neue Ministerin im Fall einer Einigung Gewessler heißen wird. Und misst man diese an ihren früheren Forderungen, dürfte beim Umweltkapitel einer künftigen türkis-grünen Regierung kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Um nur einige Bereiche zu nennen: Die Wahrscheinlichkeit, dass beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs den Worten Taten folgen, ist jedenfalls gestiegen. Aber ob Bauernbund-Vizepräsidentin Köstinger bei der Neugestaltung der Agrarförderung die Zielrichtung "lokaler und kleinteiliger" mittragen kann?

Wenn die Grünen einen ambitionierteren Energie- und Klimaplan vorlegen wollen, mit dem Österreich seine Klimaziele für 2030 erreicht, bleibt ihnen wohl nur Nachverhandeln. Jenes Vorhaben, das Köstinger erarbeitet hat, reichte der EU-Kommission nicht. Auch die geringfügigen Änderungen durch Übergangsministerin Maria Patek änderten nichts an der Kritik der Experten. Doch die Zeit drängt – bis Mitte Dezember muss der Plan den Ministerrat passieren. Das, was bisher vorliegt, hat Gewessler im Parlament vor kurzem als "traurigen Höhepunkt" der beim Klimaschutz verschlafenen Jahrzehnte bezeichnet. Köstingers Befund war naturgemäß ein anderer. Doch auch sie erklärte, es werde "zusätzliche Maßnahmen und eine entsprechende Finanzierung" brauchen – von der nächsten Regierung.

Apropos Nachbessern – wie das gehen könnte, hat ein weiteres Arbeitsgruppenmitglied bereits skizziert: Karl Steininger, den die Grünen als unabhängigen Experten zugezogen haben. Der Grazer Klimaökonom hat gemeinsam mit einer Reihe anderer Wissenschafter einen Klima-Referenzplan vorgelegt – samt unterschiedlichen Umsetzungsszenarien, je nachdem, wer politisch am Ruder ist.

Schwedenbomben

Der heikle Bereich CO2-Steuern wird hingegen großteils woanders verhandelt – in der Gruppe "Wirtschaft und Finanzen", geleitet von ÖVP-Wirtschaftsbundchef Harald Mahrer und dem von den Grünen nominierten Finanzmarktexperten Josef Meichenitsch. Allerdings sind die beiden Verhandlerteams bei diesem Thema kommunizierende Gefäße: Ohne kluge CO2-Bepreisung könnte das Geld für effektiven Umweltschutz fehlen. Für Gewessler handelt es sich hierbei um "eine zentrale Frage", es brauche ein "Umsteuern", endlich "Kostenwahrheit" – und da müsse eben einiges zusammengepackt werden.

In der Umwelt-AG stellt man sich auf einige weitere Treffen ein. Sollte der Gesprächsbedarf dann immer noch nicht gestillt sein, böte die ÖVP Gewessler Gelegenheit, zu ihren aktionistischen Wurzeln zurückzukehren: Diesmal verbirgt sich ein Schwedenbomben-Workshop mit Köstinger im türkisen Adventkalender. (Peter Mayr, Karin Riss, 6.12.2019)