Immer mehr protektionistische Maßnahmen stören den globalen Warenaustausch.

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Die Welthandelsorganisation wird 25 Jahre alt. Doch anlässlich des Jubiläums am 1. Jänner 2020 dürfte den wenigsten WTO-Mitarbeitern zum Feiern zumute sein. Ob überhaupt Festivitäten stattfinden, könne "noch nicht bestätigt werden", heißt es aus der Zentrale in Genf. Die mäßige Laune bei der WTO hat einen Grund: Die Jubilarin schlittert in eine existenzielle Krise. Am zehnten Dezember wird die Berufungsinstanz des WTO-Handelsgerichts praktisch ihre Arbeit einstellen müssen. Das Aus droht dank der hartnäckigen Blockade von Richterernennungen durch ein einziges WTO-Mitglied: den USA unter Präsident Donald Trump. Einmal mehr demonstriert Trump, dass er es mit seinem Angriff auf das regelbasierte Welthandelssystem ernst meint.

Warnung vor Lähmung

Der Generaldirektor der WTO, der Brasilianer Roberto Azevêdo, warnt schon seit Monaten vor einer "Lähmung" der höchsten Instanz und somit des gesamten Streitschlichtungssystems für Handelskonflikte. "Wenn wir kein voll funktionsfähiges Streitschlichtungssystem haben, wird unsere Arbeit in mehrfacher Hinsicht gefährdet", sagt er. Schlimmer noch: Immer neue Dispute, Strafzölle und andere protektionistische Maßnahmen haben das gesamte System des globalen Warenaustausches bereits in eine tiefe Krise gerissen. Ohne WTO-Streitbeilegung droht dem System nun endgültig der Einzug des Rechts des Stärkeren. Zwar stellten sich andere WTO-Schwergewichte wie die EU und China gegen die US-Blockade, Peking brandmarkte die US-Politik sogar als "illegal". Doch die USA ziehen ihre Strategie des "No" unbeirrt durch – das bestätigte der Vorsitzende des übergeordneten Streitbeilegungsgremiums (DSB), der Neuseeländer David Walker, noch am Dienstag (3. Dezember).

Milliardenkonflikte

Bisher brachten die WTO-Mitglieder fast 600 Fälle vor das Streitschlichtungssystem. Darunter die Milliardenkonflikte um die Flugzeugbauer Airbus und Boeing, die zwischen den USA und der EU für besonders viel Zündstoff sorgten. Aber auch Zwiste über Autoteile, Papier, Bananen oder tiefgefrorene Pommes frites beschäftigten die Handelsexperten. "Das Streitschlichtungssystem bildet das Herzstück der WTO", erkannte schon der erste WTO-Generaldirektor, Peter Sutherland. Doch die USA, immer noch das mächtigste der 164 WTO-Mitglieder, wollen mit dem System in seiner jetzigen Form nichts mehr zu tun haben. Zumal die Trump-Administration auf das Berufungsgericht zielt, in dem normalerweise sieben Richter sitzen. Nachdem Washingtons Emissäre in Genf seit 2017 vier anstehende Nachnominierungen blockierten, umfasst das Gericht heute nur noch die Mindestanzahl von drei Mitgliedern. Nächste Woche Dienstag laufen weitere zwei Verträge aus. Dann sitzt nur noch eine Richterin am Tisch, die Chinesin Hong Zhao – die Berufungsinstanz kann dann nicht mehr arbeiten.

Hohe Saläre

Was treibt die USA an? Zuletzt brandmarkte der US-Botschafter bei der WTO, Dennis Shea, die üppige Bezahlung der Berufungsrichter. Insgesamt, so rechnete der US-Botschafter vor, könnten die Richter mehr als 270.000 Euro pro Jahr einstreichen. "Obwohl es sich bei den Positionen um Teilzeitbeschäftigungen handelt", schimpfte der US-Gesandte. Die hohen Saläre verführten die Richter dazu, die Fälle in die Länge zu ziehen oder zu verschleppen. Vor allem wirft die US-Administration den Richtern vor, ihre Kompetenzen zu überschreiten und in die nationale Gesetzgebung einzugreifen. "Letztlich will sich die Trump-Regierung keinem Urteil aus dem WTO-System beugen", analysiert ein WTO-Mitarbeiter. "Diese Haltung passt in die konfrontative US-Handelsstrategie."

Immerhin könnten laut WTO-Diplomaten die ausscheidenden Richter noch einige anhängige Verfahren der Berufungsinstanz abarbeiten. Neue Überprüfungen darf die Instanz aber nicht mehr anpacken – dank der US-Blockade. Somit müssen sich die anderen Handelsmächte auf neue Verfahren zur Streitschlichtung einigen, falls sie das Recht des Stärkeren vermeiden wollen. (Jan Dirk Herbermann aus Genf, 6.12.2019)