Auch maltesische Demonstrantinnen und Demonstranten fordern volle Aufklärung des Mordes.

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Die Auseinandersetzungen rund um das Thema Rechtsstaatlichkeit in der EU werden wohl nicht so schnell abflauen. Eher im Gegenteil: Die neue Kommission von Präsidentin Ursula von der Leyen ist noch keine Woche im Amt, und schon sieht sie sich mit Forderungen nach Eröffnung eines sogenannten Artikel-7-Verfahrens gegen Malta konfrontiert.

Hintergrund sind die jüngsten Entwicklungen bei der Untersuchung des Mordes an der Journalistin Daphne Caruana Galizia, die im Oktober 2017 durch eine Autobombe getötet wurde. Die Ermittlungen haben Vorwürfe wegen Korruption und Wirtschaftskriminalität in Malta, dem kleinsten Mitgliedsstaat der EU, erneut auf die Tagesordnung gebracht.

"Die Reaktion Ursula von der Leyens auf die massiven Probleme in Malta greift viel zu kurz", sagte Sven Giegold, EU-Abgeordneter der deutschen Grünen, am Donnerstag auf einer telefonischen Pressekonferenz vor Journalisten aus mehreren Ländern, darunter des STANDARD. Giegold war Mitglied einer Delegation des EU-Parlaments, die diese Woche in Malta war, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen.

"Kultur der Straflosigkeit"

Bei der Untersuchung des Mordes und bei den politischen Konsequenzen habe die Delegation Fortschritte festgestellt, so Giegold in Anspielung auf den Rücktritt von Tourismusminister Konrad Mizzi und Keith Schembri, des früheren Stabschefs der Regierung. "Bei der Überwindung der Kultur der Straflosigkeit hinsichtlich Korruption und Finanzkriminalität sehe ich diesen Fortschritt aber nicht", erklärte er und verwies unter anderem auf die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Verkauf von Pässen an zahlungskräftige Interessenten aus Nicht-EU-Ländern.

Ein Problem sei zudem, dass in Malta bei Korruptions- oder Geldwäschefällen oft überhaupt keine Ermittlungen aufgenommen würden. Giegold sieht nach einem Gespräch mit dem maltesischen Premier Joseph Muscat auch keinen überzeugenden Grund, warum dieser seinen Rücktritt erst für Jänner angekündigt hat und nicht sofort sein Amt räumt. Ein Vorwurf, der durch die jüngsten Aussagen des Geschäftsmanns Yorgen Fenech wohl neue Nahrung bekommen wird: Fenech, der beschuldigt wird, Drahtzieher des Attentats auf die Enthüllungsjournalistin Caruana Galizia zu sein, hat am Donnerstag vor Gericht enge Beziehungen zur Regierung eingeräumt. Er habe regelmäßige Hinweise zum Stand der Ermittlungen erhalten – und zwar von Muscats Büroleiter Schembri.

Keine strukturelle Bedrohung

Ursula von der Leyen hatte zuvor den Mord scharf verurteilt und auch erklärt, dass die EU-Kommission mit den maltesischen Behörden bei der Reform des Justizsystems zusammenarbeiten werde. Für Giegold reicht das aber nicht aus, er fordert Vorbereitungen für ein Artikel-7-Verfahren gegen Malta: "Wenn von der Leyen in dieser Situation kein Rechtsstaatsverfahren einleitet, wann dann?"

Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags laufen bisher lediglich gegen Ungarn und Polen – aus Sorge um Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung in beiden Ländern. Sie können theoretisch bis zum Entzug der Stimmrechte im Rat führen. Auf dem Weg dorthin ist allerdings jeweils Einstimmigkeit aller übrigen Mitgliedsstaaten nötig, was eine sehr hohe Hürde darstellt.

Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission und verantwortlich für Rechtsstaatlichkeit und Transparenz, hält sich in der Angelegenheit ebenfalls noch zurück. Man verfolge die Situation in Malta zwar genau, sehe derzeit aber keine systematische und strukturelle Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit, erklärte sie in Brüssel. Die Einleitung des mehrstufigen Artikel-7-Verfahrens stehe zurzeit also nicht im Raum. Jourová vertraue auf die derzeit laufenden unabhängigen Ermittlungen in Malta. Die Kommission warnte auch die maltesische Regierung davor, sich in die Ermittlungen einzuschalten. (Gerald Schubert, Manuela Honsig-Erlenburg aus Brüssel, 5.12.2019)