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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban setze seine Vorstellungen einer "illiberalen Demokratie" konsequent um, kritisieren die Europajournalisten.

Foto: Reuters, Bernadett Szabo

Paris – Die Pressefreiheit ist auch "in Europa in Gefahr". Diese eindringliche Warnung formulierten am Freitag die Teilnehmer des AEJ-Mediengipfels in Paris. In diesem Teil der Welt habe sich die Lage der Medienfreiheit in den vergangenen Jahren sogar am stärksten verschlechtert. Daher richtete die AEJ (Vereinigung der Europajournalisten) auch einen Appell an die EU.

Politiker und andere Vertreter der Europäischen Union wurden in einem Communiqué von mehr als 70 Journalisten aus rund 20 europäischen Ländern im Zuge des AEJ-Jahreskongresses in der vom Generalstreik beeinträchtigten französischen Hauptstadt aufgerufen, Maßnahmen zum Schutz der Pressefreiheit und des Pluralismus wirksam umzusetzen. Die AEJ regte auch an, einen eigenen EU-Kommissarsposten für Medienfragen und -freiheit zu schaffen.

Schwere Verstöße

Zudem müsse die EU zu Pluralismus beitragen, indem sie sich in ihren Mitgliedsländern für die Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Medien einsetze. Derartigen TV- und Rundfunksendern bräuchten die uneingeschränkte Möglichkeit, die Bürger in integrativer und pluralistischer Weise zu informieren. Zudem seien wirksame Schutzmechanismen gegen politische Eingriffe erforderlich.

In den vergangenen fünf Jahren wurden seitens der AEJ und anderer Organisationen, die sich für die Wahrung der Medienfreiheit engagieren, 256 schwere Verstöße gegen die Pressefreiheit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union festgestellt, listete das Communiqué auf.

Darunter seien auch 60 Fälle von Verstößen gegen die körperliche Unversehrtheit von Journalisten (inklusive 14 Morde an Journalisten in Frankreich, Polen, Dänemark, dem Vereinigten Königreich, Bulgarien, der Slowakei und Malta) gewesen. "Von diesen 256 Verstößen gegen die Pressefreiheit in der EU waren in 57 Prozent der Fälle die Behörden die direkte Quelle der Bedrohung."

Drohungen und Einschüchterungen

Besonders bedroht seien Proponenten des investigativen Journalismus. Zusätzlich zu Drohungen und Einschüchterungsversuche durch Politiker "sehen wir Eingriffe staatlicher Behörden und Angriffe krimineller Organisationen in Europa, die sich insbesondere gegen investigative Journalisten richten", hieß es in dem Communiqué. Neben "den bekannten Fällen von Daphne Caruana Galizia auf Malta und Ján Kuciak in der Slowakei" gebe es in mehreren Ländern häufige Angriffe und Morddrohungen von Mafia-Gruppen gegen Journalisten.

Aber selbst in Ländern ohne extreme kriminelle Auswüchse gegen die Medienszene habe sich die Situation für Journalisten in Europa verschlechtert. "Politiker nutzen soziale Netzwerke, um die manchmal kritische Vermittlung durch professionelle Journalisten zu umgehen, und zögern nicht, die Presse als direkten Gegner zu bezeichnen", wurde in dem Pariser AEJ-Appell festgestellt.

"Sie fordern ihre Anhänger auf, Nachrichtenorganisationen anzugreifen, die als feindselig gelten, und die Arbeit von Journalisten durch gerichtliche Belästigung zu behindern." Dieses Phänomen werde angesichts des gegenwärtigen Trends der Gesellschaften zur Polarisierung immer offensichtlicher, zumal die öffentliche Debatte zunehmend härter werde.

Prekäre Lage in Ungarn

In manchen EU-Ländern sei die Situation prekär, wie auch der in Paris vorgestellte Jahresbericht der ungarischen AEJ-Sektion zeigte. Die nationalkonservative Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban setze ihre Vorstellungen einer "illiberalen Demokratie" konsequent um: "Der Medienpluralismus wird permanent angegriffen, die öffentlich-rechtlichen Medien stehen vollständig unter der Aufsicht der Regierung, die privaten Medien befinden sich mit wenigen Ausnahmen in der Hand von regierungsfreundlichen Geschäftsleuten. Nur zwei landesweite kommerzielle Fernsehsender bleiben unberührt, lokale Radiosender mit einer Ausnahme stehen alle unter Aufsicht." Mehr oder weniger unabhängig könnten in Ungarn nur noch Online-Medien agieren. Doch werde selbst da immer wieder versucht, "die populärsten Vertreter durch Übernahmen zu schwächen".

Einschränkungen auch in Österreich

Aber auch in Österreich sei es in der jüngeren Vergangenheit zu "ungerechtfertigten Einschränkungen der Medien gekommen", wurde in einem Kongress-Protokoll festgehalten. Das belegt nicht zuletzt eine Analyse der AEJ-Partnerorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG). Diese hatte jüngst nach einer "Advocate Mission" einen kritischen Befund zur Entwicklung der Medienfreiheit in Österreich abgegeben.

"Die Politik der türkis-blauen Regierung hat gezeigt, dass das aktuelle Mediensystem politisch beeinflussbar ist", argumentierte ROG darin. Im ersten Jahr der Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sei Österreich im internationalen Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen um fünf Plätze auf Platz 16 abgerutscht. "Nahezu die Hälfte der Journalistinnen und Journalisten im Land sehen laut einer Umfrage die Medienfreiheit gefährdet. Anfeindungen und Einschüchterungsversuche gegenüber Journalistinnen und Journalisten, online wie offline, erreichten zudem unter der türkis-blauen Regierung ein neues Ausmaß."

Darüber hinaus würden Einschränkungen des journalistischen Zugangs zu Informationen über die Regierungsarbeit Anlass zur Sorge geben, wie Mitarbeiter von Organisationen wie ROG, ECPMF (European Centre for Press and Media Freedom), IPI (International Press Institute) sowie EFJ (European Federation of Journalists) bei Gesprächen mit Medien- und Parteienvertretern feststellten. "Wir beobachten eine Veränderung des politischen Klimas. Es kommt zu Einschüchterungsversuchen in einer politischen Kultur der redaktionellen Einmischung, etwa durch strategische Androhungen von Klagen oder die Verwendung eines medienfeindlichen Vokabulars."

Regierungskontrolle statt "Message Control"

Zudem traten die Medienorganisationen für "journalistische Regierungskontrolle" statt "Message Control" ein. Das Verhältnis von politischer PR und Politikberichterstattung dürfe nicht im Missverhältnis stehen. "Statt verstärkter PR-Maßnahmen seitens der Parteien fordern wir einen freien journalistischen Zugang zu Informationen über die Regierungs- und Parlamentsarbeit sowie eine offene, transparente Kommunikationspolitik, um den demokratischen Diskurs zu fördern." (APA, 6.12.2019)