Ob wir melken oder schlachten, die industrielle Viehzucht ist schlecht für den Planeten, darüber sind sich zahlreiche Umweltstudien einig. Unsere Art, tierische Nahrungsmittel zu produzieren, ist mitverantwortlich für die Klimakrise und Ursache für mannigfaltige Umweltschäden. Um dieses Problem zu lösen, müssen wir früher oder später unseren Fleisch- und Milchkonsum reduzieren oder auf alternative Nahrungsmittel umsteigen.

Die Suche nach nachhaltigen, gesunden Alternativen zu den tierischen Lebensmitteln verläuft momentan auf zwei Pfaden: Auf der einen Seite tüfteln Wissenschafter und Start-ups an pflanzlichen Alternativen. Wer jetzt an Sojamilch und Tofulaibchen denkt, liegt falsch. In den letzten Jahren hat sich die Branche extrem weiterentwickelt. In ihren Laboren isolieren die Essenstüftler Proteine aus Lupinen, Erbsen oder Mungobohnen. Sie suchen nach Stoffen, welche Geschmack, Konsistenz und Aussehen des Originals möglichst nachahmen. Sie fermentieren, zentrifugieren und texturieren, bis die ursprünglich pflanzlichen Rohstoffe nicht wiederzuerkennen sind. Aber das Endprodukt bleibt trotzdem pflanzlich und ein Imitat.

Andere hingegen wollen Fleisch, Fisch und Milch möglichst genau nachbauen – oder besser gesagt züchten. Denn die biologischen Prozesse, die sonst in Tieren ablaufen, sollen diesen möglichst ähnlich im Reagenzglas vonstattengehen. Damit die nachgebauten Lebensmittel wirklich so schmecken wie die echten, tierischen Produkte, müssen sie sich molekular möglichst wenig von ihrem Original unterscheiden, so die Argumentation. Die Forschung steckt momentan aber noch in den Kinderschuhen. Von leistbaren Laborburgern, geschweige denn deren Zulassung sind wir noch Jahre entfernt.

Illustration: Fatih Aydogdu

Massentauglich ab 2030

Der Trend ist trotzdem nicht aufzuhalten: Laut einer Studie der internationalen Unternehmensberatung A. T. Kearney werden im Jahr 2040 bis zu 60 Prozent der Fleischprodukte nicht mehr von Tieren stammen. Nichts weniger als das "Ende der Fleischproduktion, wie wir sie kennen", prophezeit Carsten Gerhardt, Partner und Landwirtschaftsexperte von A. T. Kearney, in einer Studie zum Thema Kunstfleisch. Bei einem Preis von 40 Dollar pro Kilo Kunststeak könnte Laborfleisch massentauglich werden", meint Gerhardt. Diese Schwelle könnte, laut Experten, bereits 2030 erreicht sein. Im Jahr 2013, als das niederländische Start-up Mosa Meat den ersten Burger aus im Labor kultiviertem Fleisch vorgestellt hat, kostete das Laberl noch 250.000 Euro. In zwei Jahren soll der Burger, laut eigenen Prognosen, um neun Euro erhältlich sein.

Auch dem Markt für künstliche Milch prognostizieren Analysten ein rasantes Wachstum. In den kommenden zehn Jahren soll sich der Markt für Milchalternativen auf 34 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln.

Auch in den Investments spiegeln sich die Erwartungen an die Branche wider – die teilweise auch Existenzängste sein könnten. Tyson Foods, der größte Fleischproduzent der USA, hat ebenso in die pflanzliche Konkurrenz investiert wie der deutsche Geflügelverarbeiter PHW in die vegane Eialternative Just Egg.

Auch Bill Gates, Leonardo DiCaprio und die Gründer von Twitter und Google sowie der Investor Richard Branson haben in Fake-Fleisch-Unternehmen investiert. Letzterer hofft, dass bereits in 30 Jahren kein Tier geschlachtet werden muss, um die Nachfrage nach Fleisch zu decken.

Insgesamt flossen bis 2018 rund 950 Millionen US Dollar in Start-ups, die sich den Fleischalternativen verschrieben haben, wobei Investoren dem Pflanzenfleisch noch den Vorrang geben. Nur 50 Millionen US-Dollar flossen in die noch vergleichsweise junge Idee, Fleisch durch Zellvermehrung und -strukturierung herzustellen.

Sogar die Fastfoodketten McDonald’s und Burger King konnten sich für das Kunstfleisch begeistern und bieten die Kreationen von Beyond Meat und Impossible Foods in immer mehr ihrer Filialen an.

In Österreich dominieren übrigens weiterhin die traditionelle Varianten: Laut AMA macht der Anteil an Milchersatzprodukten nur zwei Prozent des Marktes aus, bei Fleisch ist es sogar nur ein Prozent.

Sauberes Fleisch

Während sich Impossible Foods, Beyond Meat und unzählige weitere Unternehmen einen Kampf um das ausgefeilteste Pflanzenfleisch liefern, wird in den In-vitro-Laboren bereits an der nächsten Fleischrevolution geforscht. "Clean Meat" aus dem Labor soll Fleisch nicht imitieren, sondern sein, sich also nicht mehr vom Original unterscheiden. Nur dass es eben ohne Tierleid, Amazonas-Soja und mit minimalen CO2-Emissionen hergestellt wird.

Beyond Burger im Test der Standard-Redaktion.
DER STANDARD

Manchen dürfte die Produktion von Clean Meat aber doch etwas zu clean sein. Momentan wird das Laborfleisch in mühsamer Einzelfertigung produziert, wobei kleine, in einer Nährlösung gewachsene Fleischklümpchen von Laboranten in Plastikhandschuhen in Form gepresst werden. Auch nicht gerade appetitlich: Die Nährlösung besteht momentan noch aus Kälberserum, das aus den Föten geschlachteter schwangerer Kühe gewonnen wird. Das ist nicht gerade vegan. Die Labor-Patties haben es sogar ins Disgusting Food Museum in Los Angeles geschafft. Erste Versuche mit rein pflanzlichen Nährlösungen sollen aber bereits gelungen sein.

Bis zum ersten Laborsteak dürfte es aber noch etwas dauern. Einzelne, im Labor gewachsene Fleischfetzen lassen sich noch relativ einfach zu Faschiertem zusammensetzen. Deutlich schwieriger ist es, die großen, begehrten Fleischstücke zu züchten, die aus trainiertem Muskelfleisch bestehen. Der israelischen Firma Aleph Farms ist es immerhin gelungen, für 50 US-Dollar einen sehr dünnen Steakprototyp zu züchten.

Illustration: Fatih Aydogdu

Flossenloser Fischgenusss

Fische sind das letzte Wildtier, das wir Menschen noch in großer Zahl jagen, um unseren Hunger zu stillen. Rund eine Milliarde Menschen sind auf Fisch und Meeresprodukte angewiesen, um ihren Proteinbedarf zu decken. Doch diese wichtige Nahrungsquelle versiegt. Etwa 85 Prozent der weltweiten Fischbestände sind überfischt, dezimiert, vollständig genutzt oder erholen sich von der Ausbeutung.

Schon jetzt stammt mehr als die Hälfte der von uns verzehrten Fische aus Zuchtbetrieben – in China sind es sogar 80 Prozent. Fischfarmen sind allerdings sehr umweltbelastend. Sie produzieren eine Gülle, die Algen in den Ozeanen befruchtet und den für andere Arten verfügbaren Sauerstoff reduziert.

Der Fisch aus dem Labor könnte die Lösung all dieser Probleme sein. Als "eine kostengünstige und gesündere appetitliche Alternative zu konventionell gefangenen und kommerziell genutzten Meerestieren" wird das Produkt angepriesen. Das Start-up Finless Foods (Flossenloses Essen) hat sich zur Aufgabe gemacht, Fischfleisch und andere Meeresfrüchte im Labor wachsen zu lassen. Am Anfang steht ein einziger toter Fisch. Aus seinem Körper werden zunächst Ausgangszellen isoliert. Anschließend werden biochemische Prozesse des Wachstums simuliert. Die gewachsene Zellmasse wird zum Schluss in Form gepresst.

Im Inkubator lassen die Forscher nur jene Teile des Fisches wachsen, die die Menschen gerne essen, es gibt also keine Fischabfälle. Ähnlich wie künstliches Fleisch ist der Laborfisch allerdings noch zu teuer.

Kein Käse: Nachgebaute Milchprodukte

Soja, Mandeln, Hafer, Reis – aus ziemlich vielen Pflanzen lässt sich Milch herstellen. Aber halt! Zumindest in der EU darf sie dann nicht so genannt werden. "Milch" darf ausschließlich das heißen, was aus den Eutern von Säugetieren rinnt. Deshalb werden pflanzliche Produkte mit dem Zusatz "-Drink" versehen.

Nach echter Kuhmilch schmecken die Pflanzendrinks aber ohnehin nur mit viel Fantasie. Je stärker man ein Milchersatzprodukt verarbeitet, desto weiter entfernt es sich geschmacklich von seinen tierischen Vorbildern. Im Gegensatz zu echter Milch können Pflanzensäfte etwa nicht zu Käse gerinnen – und Lab ist sowieso tabu. Also helfen sich die veganen Käsereien mit Verdickungsmitteln und Fetten. Das Resultat schmeckt, sachte ausgedrückt, bescheiden.

Was fehlt, ist das Casein. Es macht den Käse käsig, aber erwärmt leider auch den Planeten: Denn Rinder zu halten schadet dem Klima enorm. Das scheint uns egal zu sein: Dieses Jahr wird die Menschheit erstmals mehr als 20 Millionen Tonnen Käse essen.

"Käse ist der Grund Nummer eins, warum Vegetarier nicht zu Veganern werden", sagte Matt Gibson dem NZ Herald. Der Neuseeländer will die Produktion des guten Caseins von Rindereutern in Labore verlegen und veganen Käse genießbarer machen.

Sein Start-up New Culture versucht sich zunächst an Mozzarella, einer der weltweit beliebtesten Käsesorten. Laut Gibson soll der Laborkäse die gleiche Konsistenz haben, ähnlich schmecken und laktosefrei sein.

Mikroben beizubringen und Milcheiweiß zu produzieren, das probieren weltweit nicht nur viele Start-ups. Auch die Biohackingszene ist auf den Geschmack gekommen. Das Projekt Real Vegan Cheese erforscht den perfekten Laborkäse und will das fertige Rezept öffentlich zur Verfügung stellen.

Illustration: Fatih Aydogdu

Lösung für das Hennenei-Problem

1,5 Billionen (ja, Billionen) Eier verspeist die Welt jedes Jahr – Tendenz stark steigend. Und auch wenn Eier einen vergleichsweise geringen CO2-Fußabdruck haben, geht es den meisten Hühnern nicht besonders gut.

Eier durch nichttierische Alternativen zu ersetzen ist aber gar nicht so einfach. Supermärkte räumen veganen Würsteln, Laberln und Pflanzendrinks immer mehr Platz in den Regalen ein. Für Eier gibt es noch kaum Ersatz. Eier sind auch Tausendsassa: Sie halten als Bindemittel Mehl zusammen, lockern Teige auf, spenden Feuchtigkeit und sorgen für guten Geschmack. Die Messlatte für ein künstliches Ei liegt also hoch.

Just Egg will zumindest für manche Anwendungen eine Lösung gefunden haben. Die blassgelbe Flüssigkeit aus der Plastikflasche sieht aus wie Ei, hat eine ähnliche Konsistenz und soll wie Ei schmecken – zumindest als Eierspeise. Hauptbestandteil ist das isolierte Eiweiß von Mungobohnen, dazu kommen Verdickungs- und Konservierungsmittel. Im Vergleich zu Eiern soll Just Egg einen um 40 Prozent kleineren CO2-Fußabdruck hinterlassen. Großer Nachteil: Ein Kuchen lässt sich damit (noch) nicht backen.

Das Start-up aus San Francisco steckt seine Ziele jedenfalls hoch. In fünf Jahren will Just Egg zehn Prozent der weltweit verbrauchten Eier ersetzen.

Clara Foods geht noch einen Schritt weiter. Ähnlich wie bei Fleisch, Milch und Leder verfolgt das Unternehmen den Ansatz, nicht nur geschmacklich und optisch dem Original zu entsprechen, sondern auch molekular. Dazu kultiviert Clara Foods Bakterien, die bestimmte Stoffe aus dem Hühnerei-Eiweiß nachbauen sollen. Momentan ist das Endprodukt aber nicht das Gelbe vom Ei: Clara Foods gelingt momentan nur Eiklar.

Illustration: Fatih Aydogdu

Tschüss Kunstleder, hallo Laborleder!

Leder ist stabil, langlebig, atmungsaktiv und oft schön anzusehen. Leider wird es aus Tieren hergestellt, die mit ihren Treibhausgasemissionen den Klimawandel ankurbeln. Und die Tatsache, dass man den Fernsehabend oder die Autofahrt auf einem toten Tier verbringt, geht immer mehr Menschen unter die Haut.

Aber Moment! Es gibt doch Kunstleder? Stimmt, mit dem Kunststoff Polyurethan beschichtetes Gewebe sieht auf den ersten Blick wie echtes Leder aus – aber eben nur auf den ersten Blick. Was Geruch, Haptik und Langlebigkeit angeht, kann das Plastik mit den Tierhäuten nicht mithalten.

Modern Meadow will einen Weg gefunden haben, ein Material herzustellen, das sich wie Leder anfühlt, aber gut zu Rindern ist. "Create, don’t destroy" lautet der Slogan des Start-ups. Im Gegensatz zu bereits existierenden Kunstleder soll das Leder von Modern Meadow biologisch der Tierhaut sehr ähnlich sein. Dazu hat das Unternehmen eine DNA in Hefezellen eingesetzt und sie anschließend mit Wasser und Nährstoffen gefüttert. Die Mikroben produzieren das Eiweiß Kollagen, das man auch in Menschen- und Tierhaut findet.

Das Laborleder soll nicht Tiere und das Klima, sondern auch die Umwelt schützen. Damit aus der Haut eines Bullen ein Stück Leder wird, sind bis zu 20 Liter Chemikalien notwendig, darunter Chrom und giftige Säuren. Zusätzlich verbraucht die Lederproduktion große Mengen Wasser, das in den Ländern, wo Leder hergestellt wird, oft knapp ist. Außerdem praktisch beim Laborleder: Im Gegensatz zu Tierhaut wächst es in Rollen, damit fällt kaum Verschnitt an. (Philip Pramer, Olivera Stajic, Illustrationen: Fatih Aydogdu, 10.12.2019)