Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien – Der Presserat sieht in zwei Artikel, erschienen im Februar in "Heute" ("Mordverdächtiger war zwei Monate in Anstalt") und auf heute.at ("Mutter erwürgt: Sohn war acht Wochen in Psychiatrie") einen schwerwiegenden Ethikverstoß. "Heute" berichtete, dass ein 28-Jähriger seine Mutter erwürgt haben soll und zuvor bereits acht Wochen in psychiatrischer Behandlung gewesen sei. Eine Mitarbeiterin des Justizministeriums wandte sich im Jahr 2018 an den Presserat, weil es im Zuge der Recherchen zu diesen Artikeln zu einer unlauteren Materialbeschaffung gekommen sein könnte. Ein "Heute"-Journalist soll sich als leitender Ermittler ausgegeben haben, um an Informationen und private Fotos zu gelangen.

Der Bruder des Tatverdächtigen habe dem Journalisten die Fotos zur Verfügung gestellt, weil er dachte, es handle sich um einen Kriminalbeamten. Der Presserat wurde darüber informiert, dass die Staatsanwaltschaft dazu bereits ermittle und hat wollte das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens abzuwarten. Mittlerweile wurde der betreffende Redakteur wegen Amtsanmaßung rechtskräftig verurteilt, so der Presserat.

Der Presserat hält fest, dass bei der Beschaffung von Informationen und Bildmaterial keine unlauteren Methoden angewandt werden dürfen (Punkt 8.1 des Ehrenkodex) und stuft das Verhalten des Redakteurs als Irreführung ein, die zu den unlauteren Methoden zählt (Punkt 8.2 des Ehrenkodex).

Bewusste Täuschung

"Die (falsche) Identität als "neuer leitender Ermittler der Polizei" wurde vom Redakteur bewusst vorgetäuscht, um dadurch Informationen und Bildmaterial vom Bruder des Tatverdächtigen zu erhalten. Nach Punkt 8.3 des Ehrenkodex dürfen verdeckte Recherchen zwar in Einzelfällen durchgeführt werden, um Informationen von besonderem öffentlichen Interesse zu beschaffen", schreibt der Presserat in einer Aussendung. Im konkreten Fall liege aber kein solches besonderes öffentliches Interesse vor. Die Informationen und das Bildmaterial seien für die Öffentlichkeit nicht relevant, die Aufnahmen des Tatverdächtigen mit seinem Bruder seien Privatfotos.

"Darüber hinaus hält der Senat fest, dass man sich selbst im Rahmen einer verdeckten Recherche, die aufgrund eines besonderen öffentlichen Interesses aus medienethischer Sicht zulässig erscheint, nicht als Polizeibeamter ausgeben darf", so der Presserat, im konkreten Fall sei eine verdeckte Recherche somit in keiner Weise gerechtfertigt. "Die Informationen und die Fotos wurden dem Bruder des Tatverdächtigen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen herausgelockt. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte er nach Ansicht des Senats weder Auskünfte erteilt noch private Fotos herausgegeben. Der Journalist täuschte dem Bruder des Tatverdächtigen somit unverfroren eine falsche Identität vor." Das "pietätlose Verhalten des Journalisten" sei auch eine Persönlichkeitsverletzung und ein "gravierender Eingriff in die Privatsphäre".

Der Senat fordert die beiden Medieninhaberinnen auf, die Entscheidung in den betroffenen Medien freiwillig zu veröffentlichen. "Heute" hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats bisher nicht anerkannt. Der Presserat erklärte Freitag in seiner Aussendung zum Verfahren: "Die Medieninhaberinnen der Tageszeitung 'Heute' und von 'heute.at' haben von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht."

"Heute"-Chefredakteur zum Verfahren

Update: "Heute"-Chefredakteur Christian Nusser erklärte auf Twitter, er hätte gerne zu den Vorwürfen Stellung genommen:

Der Geschäftsführer des Presserats, Alexander Warzilek, erklärte am Freitagabend auf Anfrage, der Medieninhaber des jeweiligen Titels werde selbstverständlich über Verfahren informiert., auch in diesem Verfahren. Der Presserat habe aber das Gerichtsverfahren abgewartet und erst danach in dieser Sache weiterverhandelt.

(red, 6.12.2019)