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Mit kleinwüchsigen Tieren wie dem katzengroßen Indohyus hat alles begonnen. Er sieht weder wie ein Wal noch wie ein Paarhufer aus, war aber mit beiden Gruppen eng verwandt.
Illustration: AP Photo/NEOUCOM

Die Urheimat der Wale liegt auf dem indischen Subkontinent. Dort, im heutigen Indien und Pakistan, wurden die ältesten Fossilien einer Tiergruppe gefunden, die von denselben Ahnen abstammte wie die heutigen Paarhufer, dann allerdings einen völlig anderen Weg beschritt. Und anfangs tatsächlich noch "schritt": Diese Tiere hatten sich zwar bereits bis zu einem gewissen Grad an ein Leben im Wasser angepasst, verfügten aber immer noch über Beine, die sie über Land tragen konnten.

Amphibische Weltenbummler

Und schon in dieser frühen Phase, vor etwa 50 bis 40 Millionen Jahren, zogen sie in die Welt hinaus. Fossilien sogenannter Archaeoceti und Protocetidae (also "Alt-" und "Vorwale") wurden auf allen Kontinenten ausgegraben – der bislang jüngste Fund, der auf einem Treffen der Society of Vertebrate Paleontology vorgestellt wurde, stammt aus Peru.

Das Tier, das die Bezeichnung Peregocetus pacificus erhielt und vor etwa 42,6 Millionen Jahren lebte, hat ein fast vollständiges Skelett hinterlassen: Kiefer, Zähne, Wirbel, Schulterblätter und Hüftknochen sind ebenso erhalten geblieben wie viele Teile der vorderen und hinteren Gliedmaßen, darunter auch eine Kniescheibe und Fingerglieder. Letztere sind besonders interessant, weil sie Anzeichen dafür aufweisen, dass Peregocetus immer noch kleine Hufe hatte.

Peregocetus dürfte ähnlich wie heutige Otter oder Robben gelebt haben.
Illustration: APA/AFP/ALBERTO GENNARI/OLIVIER LAMBERT

Seit der Erstbeschreibung im April hat ein Team um Olivier Lambert vom Königlich-Belgischen Institut für Naturwissenschaften die Fossilien von Peregocetus weiter untersucht und ist sich mittlerweile sicher, dass das Tier einem amphibischen Lebensstil nachging. Es lief auf Füßen mit langen Zehen, die noch Reste von Hufen aufwiesen, obwohl sich zwischen den Zehen vermutlich bereits Schwimmhäute spannten. So konnte es wahlweise laufen oder sich mit kräftigen Schwimmstößen seiner Hinterbeine durchs Wasser bewegen.

Die Flexibilität in Sachen Fortbewegung verhalf diesen Ur-Walen dazu, weite Strecken übers Meer zurückzulegen und neue Küsten zu besiedeln. Weniger als zehn Millionen Jahre nach ihrer Entstehung in Südasien hatten sie sich damit in der Äquatorregion praktisch um den ganzen Erdball ausgebreitet – und stießen von dort Richtung Norden und Süden vor.

Mal im Wasser, mal an Land

Insgesamt dürften die Ur-Wale eine recht vielfältige Gruppe gewesen sein: Gliedmaßen, Schwanz, Ohren und die Position der Augen – bei manchen seitlich, bei anderen oben am Schädel – sprechen dafür, dass die einzelnen Arten in ganz unterschiedlichem Ausmaß an das Leben im Wasser angepasst waren. Schon einige Millionen Jahre vor Peregocetus lebte mit Ambulocetus beispielsweise eine Spezies, die nach heutigem Wissensstand ganzzeitig im Wasser blieb. Ihre Beine waren für längeres Laufen wohl bereits zu schwach.

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Von der Spezies Maiacetus ("Mutterwal") wurde das Fossil eines trächtigen Weibchens gefunden. Die Position des Fötus deutet an, dass die Babys dieser Art mit dem Kopf voran geboren wurden – was dafür spricht, dass die Geburt an Land erfolgte.
Illustration: REUTERS/John Klausmeyer/University of Michigan Museums of Natural History

Ein verbindendes Merkmal dürfte aber die Ernährungsweise gewesen sein. Heute sind die Jäger-Beute-Verhältnisse bei den Säugetieren recht übersichtlich gestaltet: Raubtiere aus der Ordnung Carnivora gehen auf die Jagd, die zur Beute prädestinierten Huftiere laufen vor ihnen davon. In der Ära der amphibischen Wale steckte die Ordnung der Raubtiere aber noch in den Kinderschuhen, da erledigten die Huftiere – inklusive der wandelnden Wale – den Job des Jägers gleich mit.

Erst in jüngerer Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Wale kein vollkommen eigenständiger Zweig der Säugetiere, sondern Teil eines größeren Ganzen sind. Als ihre engsten Verwandten wurden durch molekularbiologische Untersuchungen die Flusspferde identifiziert. Was Paläontologen durchaus Kopfzerbrechen bereitet, denn die ältesten Flusspferdfossilien sind einige Dutzend Millionen Jahre jünger als die Ur-Wale, da klafft eine gewaltige Lücke im Fossilienbefund.

Promis aus der Verwandtschaft

Allerdings hat es seitdem einige Umschichtungen im Stammbaum der Säugetiere gegeben, die auf weitere Verwandtschaften hinweisen. So soll beispielsweise der Andrewsarchus, der Forschern lange Zeit Rätsel aufgab, ebenfalls zu dieser Gruppe gehören. Er erlangte durch den Ruf Prominenz, das größte fleischfressende Landsäugetier aller Zeiten gewesen zu sein. Sicher lässt sich das nicht sagen, weil man seinen Körperbau nicht kennt und bislang nur einen einzigen Schädel gefunden hat. Der ist mit gut 83 Zentimeter Länge jedoch gewaltig.

Ein weiteres prominentes Beispiel sind die Entelodonten, die vor allem in Nordamerika lange an der Spitze der Nahrungspyramide standen. Besser bekannt sind sie unter ihrem Spitznamen "Killerschweine" – doch mittlerweile werden sie nicht mehr in die Verwandtschaft der Schweine, sondern in die von Walen und Flusspferden gestellt. Anders als die Ur-Wale lebten und jagten diese Tiere ausschließlich an Land.

Heute liegt der einstige Lebensraum von Peregocetus mitten in einer Wüste.
Foto: C. de Muizon

Ehe die heutigen Raubtiere die Jägernische übernahmen, wimmelte es weltweit also vor fleischfressenden Huftieren mit auffallend großen Kiefern: vom Killerschwein in der Steppe bis zum Ur-Wal, der wie ein Krokodil im Wasser lauerte. Bis zur Entwicklung der Bartenwale, die heute das Bild vom sanften Meeresriesen prägen, sollten noch einmal etwa zehn Millionen Jahre vergehen. Bis dahin wäre man Walen genauso ungern begegnet wie dem Rest der großmäuligen Verwandtschaft. (jdo, 25. 12. 2019)