Szenen einer Familienaufstellung (im Bild: Anna Rieser, Christian Higer) auf dem Kärntner Jaunfeld: ein Modulieren Handke’scher Schlüsselthemen im Landestheater Linz.

Foto: Petra Moser

Peter Handkes Familienaufstellung Immer noch Sturm gehört zu den viel gespielten jüngeren Stücken des Autors. Nicht zuletzt seines historisch griffigen Themas wegen – der Partisanenkämpfe der Slowenen gegen die Nationalsozialisten. Dimiter Gotscheff bescherte dem Schauspiel bei den Salzburger Festspielen 2011 eine überaus geglückte Uraufführungsinszenierung – mit Iffland-Ring-Träger Jens Harzer als Ich-Erzähler.

Heuer, just am Tag der Bekanntgabe des Nobelpreises an Peter Handke im September, feierte die dramatische Erzählung am Stadttheater Klagenfurt Premiere. Und nun, am 6. Dezember, dem 77. Geburtstag des Autors, hob sich der Vorhang im Landestheater Linz.

Immer noch Sturm ist ein Traumspiel. Handke versammelt darin Familienmitglieder wie zu einer historisch-therapeutischen Séance auf freiem Feld, dem Kärntner Jaunfeld. Die Mutter, die Tante, drei Onkel und die Großeltern erstehen im Traum wieder auf und beginnen zu sprechen. Sie versichern sich ihrer Erinnerungen, beklagen den Verlauf der Geschichte und halten an frühen, schönen Momenten fest.

Fokus auf der Sprache

Regisseurin Stephanie Mohr tut, was die meisten Inszenatoren mit Handke anstellen: Sie richtet alle Aufmerksamkeit auf die Sprache, auf Sprechweisen, handverlesenes Vokabular, Rede und Gegenrede, Frage und Antwort, und übersät die von hohen Vorhangbahnen gesäumte Bühne der Linzer Kammerspiele mit einem Dutzend Lautsprecher- und Verstärkerboxen sowie Mikrofonständern (Bühne: Florian Parbs). Sieben SchauspielerInnen in historischen Kostümen (Nini von Selzam) platzieren und bewegen sich in dieser Stimmenlandschaft, lautmalerisch gestützt von der Geräuschkunst Wolfgang Schlögls, der im Orchestergraben am offenen Klavier hantiert.

Schläge, Klopfen, Jammertöne, in der Ferne abreißende Gesänge: Es sind Rhythmen, Melodien, Stimmvolumina, tonale Stimmungen, die das prosaische Immer noch Sturm modulieren. Illustrativ scheint man den Stücken Handkes nur schwer beizukommen, und dann auch nur mit einem hohen Abstraktionsgrad, wie bei dem die gesamte Aufführung andauernden, mittlerweile berühmten Schnipselregen Katrin Bracks in der Salzburger Uraufführung: Es regnete Zeit.

Auch in Linz gibt es kein Jaunfeld in natura. Aber eine Bank steht unauffällig in der Mitte der von Boxen verstellten Bühne, wo der Ich-Erzähler (Christian Higer) fünf Mal seine Traumanläufe nimmt. Die Figuren wehren sich gegen das Geträumtwerden, aber der Autor ist stärker. So gerne würden sie von einem anderen geträumt werden, aber es hilft nichts.

Den Gewaltakt des Schreibens bekennt der Autor ein, vollzieht ihn aber naturgemäß doch. Er legt seinen Traumverwandten, die sicherheitshalber zugleich auch ganz andere Menschen sein könnten, gedemütigten Patriotismus in den Mund: Als Zwangsein gedeutschte schwärmen sie von "unserem Volk" und unseren "slawischen Brüdern". Kaum ein Autor der jungen Generation würde derlei gebrandmarkte Begriffe zur Diskussion stellen wollen. Peter Handke, der sich schon immer und in vielem als Antithese zur Gegenwart positioniert hat, schon.

Kräftiger Applaus

Mohrs tadellose Inszenierung kann sich auf der Strecke von drei Stunden (inklusive Pause) einer gewissen Eintönigkeit nicht erwehren. Manchen Darstellern mangelt es darüber hinaus an Zwischentönen, an einer Leichtigkeit im Reden, die bei Handke und seinen "Apfelmenschen" und "Holzpantoffelklappergespenstern" allzeit vonnöten ist. Aber auch die Regisseurin zögert bei Variationen und weicht – auch zu Recht – vor allzu viel Verspieltheit zurück.

Peter Handke, dem Nobelpreisträger und Geburtstagskind, wurde dennoch kräftiger Applaus gespendet. (Margarete Affenzeller, 8.12.2019)