SPÖ-Bürgermeister Andreas Kollross: "Du darfst die Leut’ eben nicht zehn Jahre zum Plakatpicken schicken, ehe sie was zum Reden haben."

Foto: Regine Hendrich

Andreas Kollross nannte keine Namen, doch jeder wusste, wer gemeint war. An jenem Abend, als Rebellen in der SPÖ Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zu stürzen versuchten, setzte der Bürgermeister von Trumau in Niederösterreich einen Tweet ab: "Manchmal muss man zur Kenntnis nehmen, dass es nicht mehr geht. Aus. Schluss. Vorbei."

Das Wort des 48-Jährigen hat mehr Gewicht, als es einem simplen Dorfkaiser gebührt. Denn Kollross ist neben seinem Gemeindejob nicht nur Abgeordneter und Vizeklubchef im Nationalrat, sondern darf sich auch einer in der SPÖ selten gewordenen Eigenschaft rühmen: Er hat Erfolg.

Roter Tupfer im türkisen Niederösterreich

Auf der politischen Landkarte ist Trumau als Farbtupfer rasch zu finden. Der 4100-Einwohner-Ort im Speckgürtel südlich von Wien erlebte bei der Nationalratswahl zwar ebenfalls einen SPÖ-Einbruch, blieb aber eines der letzten roten Einsprengsel im sonst komplett türkis gefärbten Land. Bei der Gemeinderatswahl 2015 erreichte Kollross mit einem Plus von neun Prozent eine Dreiviertelmehrheit, von 1700 SPÖ-Stimmen waren 1000 Vorzugsstimmen für den Bürgermeister. "Ich war sozusagen die stärkste Partei", witzelt er.

Was die SPÖ in Trumau lernen kann? "Das ist ein bissl viel der Ehre", schickt Kollross – kräftige Stimme, wuchtiger Körper – in branchenunüblicher Bescheidenheit voraus: Obwohl die Spinn- und die Webfabrik längst geschlossen sind, biete die Tradition des Industriestandorts der SPÖ trotz aller Erosion des Lagerdenkens zumindest bei nationalen Wahlen bis heute einen Startvorteil.

Hier wird die Partei nicht versteckt

Allerdings dürfe man die Partei halt auch nicht verstecken, fügt der Ortschef an, das reiche vom Arbeitersportklub über den roten Pensionistenverein bis zu der von den Kinderfreunden ausgerichteten Nikolofeier: "Wir versuchen das kulturelle und soziale Leben zu gestalten, um nicht zu sagen: zu lenken." Aber turnt das klassische Parteimilieu jüngere Menschen nicht ab? "Kommt darauf an, wie man es macht. Du darfst die Leut’ eben nicht zehn Jahre zum Plakatpicken schicken, ehe sie was zum Reden haben."

Ansonsten beginne erfolgreiche Politik beim Banalen. "Grüßen ist eines der wesentlichen Dinge", sagt Kollross, "du musst auch dann freundlich sein, wenn keine Wahl ansteht." Seine Sprechstunde hat der Bürgermeister auf den Abend gelegt, damit Berufstätige ohne Anmeldung vorbeikommen können. Bei der Jiu-Jitsu-Gürtelprüfung an der Volksschule fehlt er ebenso wenig wie beim Kulturausflug in die Wiener Albertina, jede Geburt, jedes Begräbnis, jeder runde Geburtstag ab dem 70. ist Pflicht. Vertretung sei nur in Ausnahmen erlaubt: "Entweder ich komme zu allen oder keinem. Sonst ist rasch jemand beleidigt."

In der Realität ankommen

Weil einen dabei täglich die Bedürfnisse der Leute erreichten, "kommst du als Bürgermeister in der Realität an", sagt Kollross – und sieht auf diesem Terrain die Wurzel des Übels in der SPÖ. Er bezweifle, dass die Parteispitze in ihrem Umfeld mit den tatsächlichen Problemen der Bürger in Berührung kommt: "In der Bundespolitik reden wir ein Stück weit an den Lebensrealitäten vorbei."

Als Beispiel nennt er den Kampf gegen den Zwölfstundentag. Die SPÖ habe offenbar etwas verschlafen, wenn ihr Arbeitnehmer vorhalten: "Solange ihr in der Regierung gesessen seid, ist euch nicht aufgefallen, dass wir mitunter längst schon zwölf Stunden am Tag gehackelt haben!" Oder: Er selbst habe sich die Mühe gemacht, in der eigenen Gemeinde sämtliche Ein-Personen-Unternehmen ausfindig zu machen, um sich auszutauschen, Hilfe anzubieten. In der Bundespolitik aber, urteilt Kollross, "haben wir für diese Leute keine Antwort".

Auf die Leute am Land vergessen

Vernachlässigt habe die SPÖ überdies die Landgebiete, wo immer noch zwei Drittel der Österreicher leben. Weil Trumau sogar in den Ferien umfassende Kinderbetreuung bietet, ziehe der Ort viele junge Familien an, dennoch sei auch hier die Ausdünnung spürbar. Die Bank hat zugesperrt, der öffentliche Verkehr bleibt ein Trauerspiel, "und wir haben ein Jahr gebraucht, um einen praktischen Arzt zu uns zu bringen", sagt Kollross. "Die SPÖ muss dringend ihre alte Regierungspolitik korrigieren."

Zu alldem geselle sich Wankelmut. Die nötige Erbschaftssteuer etwa habe die Bundesspitze über Jahre einmal mehr, einmal weniger, aber nie mit der gebotenen Konsequenz verfochten. "Obwohl ich hier keine Häuser um eine Million Euro sehe, wähne ich mich manchmal als Bürgermeister von Velden statt Trumau, so viele Leute fühlen sich betroffen", erzählt Kollross. "Es ist uns nicht gelungen, diese Idee zu erklären."

Krankt die SPÖ also doch "nur" an den Themen und nicht an der Frau an der Spitze? Zu Rendi-Wagners Zukunft will Kollross derzeit nichts mehr sagen, außer: "Darüber werden wohl die Landesparteichefs entscheiden."

Eines will er dann aber schon noch loswerden: Nie dürfe eine sozialdemokratische Parteispitze mit Mitarbeitern so umgehen, wie das mit den per unpersönlicher Mail bekanntgegebenen Kündigungen geschehen sei. Wann immer die SPÖ künftig etwas an der Arbeitsmarktpolitik kritisiert, werden ihr die Gegner diese Episode vorhalten, glaubt Kollross: "Das war ein Sündenfall." (Gerald John, 9.12.2019)