Zeitgenössisches Bauen im Grazer Weltkulturerbe: Siegerprojekt Tegetthoffbrücke von Wolfgang Tschapeller, ...

Foto: Wolfgang Tschapeller

... Wohnhausanlage Pfauengarten von Pichler & Traupmann, ...

Foto: Andreas Ledl

... Universitätsbibliothek von Atelier Thomas Pucher,...

Foto: Harry Schiffer

... Joanneum-Erweiterung von Nieto Sobejano, ...

Foto: Roland Halbe

... Wohnhaus Ballhausgasse von HOG Hope of Glory ...

Foto: Harry Schiffer

... und Kunsthaus Graz von Peter Cook und Colin Fournier.

Foto: Harry Schiffer

Damit hätte am Anfang niemand gerechnet, und nun ist es ein einstimmiger Juryentschluss geworden. Der Entwurf des Wiener Architekten Wolfgang Tschapeller, Anonymuszahl 1109, sieht vor, die alte Tegetthoffbrücke abzureißen und stattdessen eine dreidimensionale Stadtraumskulptur mit einer Straßenbahnstrecke und mehreren abgetreppten, ineinander verzahnten Ebenen zu errichten. Von den eckigen Sitzstufen, so der Plan, werde man über die Brüstungen und Geländer hinweg einen ungetrübten Blick auf die darunter durchfließende Mur haben. Zwei expressionistische Pylone, die wie eckige Stimmgabeln in den Himmel ragen, bilden ein abstraktes, irgendwie dekonstruiertes Portal. Na ob das mit dem Unesco-Weltkulturerbe verträglich ist?

Das Weltkulturerbe wächst

Und wie! Seit nunmehr 20 Jahren ist die Grazer Altstadt als Weltkulturerbe gelistet. Die Kernzone umfasst im Wesentlichen den innerstädtischen Bereich zwischen Schlossberg, Stadtpark, Opernring, Joanneumring und dem Kaibereich in den angrenzenden Bezirken Gries und Lend. 2010 wird das Weltkulturerbe um das prunkvolle, aus der Neuzeit und dem Barock stammende Schloss Eggenberg erweitert und erstreckt sich auf diese Weise über nunmehr 90 Hektar Fläche. Hinzu kommen 240 Hektar Pufferzone. Jedoch: Anders als beispielsweise im Wiener Weltkulturerbe wird man zeitgenössische architektonische Impulse innerhalb dieses vermeintlich sakrosankten Ringes nicht lange suchen müssen, denn davon gibt es eine erkleckliche Menge.

Im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2003 wird das von Peter Cook und Colin Fournier geplante Kunsthaus Graz eröffnet. Zeitgleich dazu stellt Vito Acconci die Murinsel fertig. Es folgen weitere Projekte wie etwa die Humanic-Filiale von Szyszkowitz Kowalski (2007), die neue und leider bis heute nicht fertiggestellte Dachlandschaft von Kastner & Öhler der spanischen Architekten Nieto Sobejano (2010), die im Jahr darauf mit einem unterirdischen Emmentaler das Landesmuseum Joanneum erweitern, das Sport- und Wellnessbad Auster von fasch&fuchs (2011), die Aufstockung des Kulturkomplexes Thalia von sam architects (2013), das verspiegelte Stadthaus von Hope of Glory (2013) sowie die Wohnhausanlage am Pfauengarten von Pichler & Traupmann (2018), um nur einige zu nennen.

Dichte an Neuem

Fragt sich nur: Wie ist diese enorm hohe Dichte an Neuem mitten im Alten überhaupt möglich? "Um die hohe Planungskultur und das harmonische Nebeneinander aus Weltkulturerbe und selbstbewusster, zeitgenössischer Architektur zu verstehen, muss man einen Blick in die jüngere Geschichte werfen", sagt Gertraud Strempf-Ledl. Begonnen habe alles Anfang der Siebzigerjahre, so die Leiterin des Internationalen Städteforums Graz (ISG) und Vorsitzende der Altstadt-Sachverständigenkommission (ASVK), als das Barockpalais Khuenburg kurz vor dem Abriss stand, als unter dem Renaissancehof des Landhauses eine Tiefgarage geplant war, als neben dem Schloss Eggenberg eine vier- bis sechsspurige Stadtautobahn gebaut werden sollte.

"Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht", so Strempf-Ledl. "107.000 Menschen, knapp die Hälfte der Stadtbevölkerung, sind damals auf die Barrikaden gestiegen und haben die Petition Rettet die Grazer Altstadt unterzeichnet. 1973 schließlich mündete der Bürgerprotest in den Sturz des amtierenden Bürgermeisters Gustav Scherbaum, der aufgrund seines Festhaltens am Autobahnprojekt die Gemeinderatswahl verlor." Als institutionalisierte Verfestigung und Instrumentalisierung des erzielten Bottom-up-Erfolges wurde kurz darauf das Altstadterhaltungsgesetz (GAEG) verabschiedet und die ASVK ins Leben gerufen, die Auftraggebern und ihren planenden Architektinnen in Sachen Denkmalschutz und Weltkulturerbe beratend und empfehlend zur Seite steht. Damit ist das Unesco-Weltkulturerbe nun nicht mehr alleinige Bundessache, sondern auch auf lokaler Ebene verankert.

Beinhartes Ampelsystem

Zudem hat Graz, anders als etwa Wien, seit 2005 einen Management-Plan, der die Schnittstelle zwischen Weltkulturerbe, Denkmalschutz und zeitgenössischem Bauen minutiös regelt – und zwar nicht in irgendwelchen individuell interpretierbaren Worthülsen, sondern mit einem beinharten Ampelsystem. "Wir haben die Kern- und Pufferzone analysiert und inventarisiert und darin unterschiedliche Grade an Schutzwürdigkeit festgestellt", sagt Bertram Werle, Stadtbaudirektor von Graz. "Mit genau dieser Klarheit haben wir die Analyse in den Management-Plan einfließen lassen."

Rot eingefärbte Zonen im Stadtplan bedeuten demnach: Bausubstanz intakt und von hoher Wichtigkeit, Finger weg für Eigentümer, Architekten und Investorinnen! Gelbe Parzellen bedeuten: Substanz wertvoll, aber einzelne Verbesserungen auf hohem Niveau sind möglich und willkommen. Und schließlich grünes Licht für all jene Ensembles, Bauwerke und Fassaden, wo in den letzten Jahren und Jahrzehnten Fehler gemacht und wichtige Entwicklungen verabsäumt wurden. Hier sind Investitionen und bauliche Verbesserungen auch im größeren Ausmaß wünschenswert.

Die Seele der Stadt

"Das außergewöhnliche Ampelsystem scheint zu funktionieren", meint selbst Christian Brugger, Landeskonservator Steiermark im Österreichischen Bundesdenkmalamt (BDA). "Meiner Beobachtung nach herrscht in Graz bei den Architektinnen, Bauherren und Objekteigentümern eine spürbar höhere Sensibilität im Umgang mit Denkmalschutz als in vielen anderen Städten. Mir ist in letzter Zeit kein einziger Fall bekannt, wo wir in der Innenstadt auf gravierende Probleme mit dem Denkmalschutz gestoßen sind."

Und auch Brückenbauer Wolfgang Tschapeller zeigt sich wie viele andere Architekturschaffende überaus zufrieden: "Mich fasziniert, wie in Graz das alte und neue Bauen nahtlos und harmonisch ineinanderfließt. Ich denke, das liegt in der Seele dieser Stadt begründet, die aufgrund ihrer Identität offenbar keinen Widerspruch darin sieht, einen historischen Roman zu lesen und im selben Moment in einem Sachbuch über die Zukunft unserer Gesellschaft zu schmökern. In der Mitte des Weltkulturerbes ist eine ganze Menge von Dingen möglich."

Fazit: Graz spricht Klartext. Und zwar mit intelligenten, unmissverständlichen Werkzeugen. Bitte einstudieren und übernehmen. (Wojciech Czaja, 11.12.2019)