Die beiden rüstigen Nichtrentner sind, was von The Who noch übrig ist.

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Eng kuscheln sie sich aneinander. Roger Daltrey hebt leicht das Kinn, Pete Townshends Antlitz wird von der Nase nach unten gezogen, alles wie immer denkt man sich, also super. Aber nicht.

Nicht einmal sollen sie gemeinsam im Studio gestanden sein. Die beiden rüstigen Nichtrentner sind, was von The Who noch übrig ist. The Who waren Revolutionäre aus der Arbeiterklasse und der Kunsthochschule, die in den 1960ern der Welt in den Arsch getreten haben wie wenige andere. Die Rolling Stones und die Beatles mögen mehr Publikum erreicht haben, spannender war oft dieser Vierer aus London, zu dem früher noch John Entwistle und Keith Moon gehört haben. Entwistle starb 2002, Moon bereits 1978.

Ein Zustand als Band

Deshalb ist das jetzt erschienene Album The Who insgesamt erst das zwölfte – das erste nach Endless Wire aus 2006, davor herrschte 24 Jahre Funkstille. Die verbliebenen Townshend und Daltrey, Gitarrist und Songwriter sowie Sänger, pflegen eine kreative Hassliebe. Dementsprechend verliefen die Aufnahmen.

Townshend hat geschrieben und komponiert und eingespielt und stellte den ganzen Kram dann Daltrey auf den Server. Der hat geschaut, gehört und dann gesungen. In der zweiten Reihe arbeiteten Townshends Bruder Simon und der Kleine von Ringo Starr mit, Zak Starr. Das sind The Who heute, mehr Zustand als Band.

The Who - Topic

Das versucht das Cover zu kaschieren. Das stammt vom britischen Künstler Peter Blake und ist eine referenzreiche Collage aus der Geschichte der Band. Symbole wie das Logo der Royal Air Force sind da zu sehen, Helden wie Chuck Berry, ein Flipper als Hinweis an den alten Who-Song Pinball Wizard. Zwei Dutzend solcher Hinweise sind rund um den Bandnamen gruppiert.

Revolutionsgeläut

Vieles hat sich im Laufe der jahre geändert, anderes ist gleichgeblieben. Rockin‘ In Rage heißt ein Song im Mittelteil, und da frohlockt man natürlich. Das klingt nach Revolutionsgeläut und Aufruhr, nach Arroganz und rotierenden Gitarristenarmen, kurz: nach The Who. Es ist eine der besseren Nummern, in denen Daltrey, 75, ein wenig nach dem Sänger von The Cult klingt, nach Ian Astbury. Damit kann man leben.

The Who - Topic

Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, die Band sei jetzt warm gespielt. Break The News ist ein hübscher Popsong, She Rocked My World ein düsteres Stück aus dem weitläufigen Schattenreich des Pete Townshend. Sie versöhnen einen mit ein paar Patzern davor, mit den Synthesizern und Songs, die klingen, als hätte sich da ein kleiner Elton John eingeschlichen.

Autorität des Alters

Dennoch ist The Who ein halbwegs souveränes Album gelungen. Zwei, drei Songs fallen durch, aber 13 Jahre unterm Deckel sind lang, da kocht einiges hoch, muss einiges raus. Daltrey Stimme ist in der Zeit älter und tiefer geworden, das verleiht ihr Autorität, wo früher die Renitenz schrillte.

Konterkariert wird das von einem stellenweise bemühten Bombast, der nie gut ist, außer man steht auf Queen oder Blähungen. Immerhin belassen sie keinen Song zur Gänze in so einem Zustand, und immerhin schreibt der getriebene Townshend Songs, die was zu melden haben.

"Anger is an energy", hat John Lydon einmal gesungen. Townshend verspürte das immer schon – und tut es immer noch. (Karl Fluch, 9.12.2019)

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