Im Allianz-Stadion gewann Inter Mailand gegen Rapid mit 1:0. Danach sollen sich vier italienische Fans nationalsozialistisch wiederbetätigt haben, glauben Polizei und Staatsanwaltschaft.

Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

Wien – Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Die als "Curva Nord" bekannten fanatischen Anhänger des italienischen Football Club Internazionale Milano, auf Deutsch als "Inter Mailand" bekannt, haben eher einen zweifelhaften Ruf. Rassistische Zwischenfälle und gewalttätige Auseinandersetzung mit anderen Fans und der Polizei sind keine Seltenheit. Nur: Ob die vier Italiener, die sich wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung vor einem Geschworenengericht unter Vorsitz von Georg Olschak verantworten müssen, überhaupt Hardcore-Fans sind, weiß niemand. Dafür stellt sich im Prozessverlauf heraus, dass die Polizei sehr seltsame Protokollierungspraktiken hat.

Es geht um den 14. Februar 2019, im Sechzehntelfinale der Europa League traf der SK Rapid daheim auf Inter Mailand. Nach dem Spiel sollen vier bis sechs in der Masse der Auswärtsfans wartende Italiener nicht nur "Sieg Heil" geschrien, sondern auch den "Hitlergruß" gezeigt haben, wirft die Staatsanwältin den zwischen 31 und 35 Jahre alten Angeklagten vor.

Nicht mehr existierender Tatort

Vorsitzender Olschak beweist bereits nach dem Anklagevortrag, für wen sein fußballerisches Herz schlägt. "Der Tatort ist falsch, das Gerhard-Hanappi-Stadion gibt es nicht mehr", macht er die Staatsanwältin auf einen Lapsus aufmerksam. Bei der Befragung von Erstangeklagtem Benjamin B. offenbart Olschak dann seine Expertise: "Sie Sind Inter-Fan?", will er von B. wissen. "Ja", lässt der übersetzen. "Dann geht es Ihnen besser als mir derzeit als Rapid-Fan. Und es ging Ihnen auch am 14. Februar besser, Inter hat nämlich gewonnen." Der Erstangeklagte kann das schwer leugnen.

"Einige Biere" hätten er und seine damals aus Norditalien mitgereisten Freunde getrunken. Als die Gästefans nach dem Spiel – wie üblich – von der Polizei beim Allianz-Stadion zurückgehalten wurden, um ein Zusammentreffen mit Rapid-Anhängern zu verhindern, habe man Inter-Lieder gesungen, erinnert sich der wie die anderen Angeklagten Unbescholtene.

Bierabhängige Gestik

"Welche?", will der Vorsitzende wissen. "Soll ich das jetzt Vorsingen?", ist B. verwirrt. "Nur die Worte." Der Erstangeklagte bringt ein paar Beispiele, vermag aber nicht zu beurteilen, ob man italienische Textpassagen phonetisch mit "Sieg Heil" verwechseln könnte, was Olschak bei skandierten Schlachtrufen durchaus für möglich hängt. "Gibt es auch Lieder, bei denen man die Hand hebt?", interessiert sich der Vorsitzende weiter. "Alle", lautet die knappe Antwort. "Auch nur die rechte Hand?" – "Darauf achte ich nie. Je nachdem, in welcher ich das Bier halte", gesteht B. zum Gaudium der Anwesenden.

Die vier Angeklagten machen ihre Aussagen aber nicht provokant, sie schildern einfach, wie sich die meisten angeheiterten Fußballfans nach einem Auswärtssieg ihrer Mannschaft verhalten. Grölen, Singen und rhythmische Armbewegungen sind nichts Außergewöhnliches. Alle bekennen sich nicht schuldig und sagen, sie seien erst rund eineinhalb Stunden nach dem angeblichen Vorfall in der U-Bahn-Station Schwedenplatz von der Polizei aufgehalten worden.

"Keine brandschatzenden Ultras"

Verteidiger Manfred Arthofer, der auch als Anwalt bei der Selbsthilfeorganisation Rechtshilfe Rapid tätig ist, stellt klar: Seine Mandanten seien "keine kinderfressenden, brandschatzenden Ultras", sondern normale Fans, die sich auf einen Wien-Besuch gefreut hätten. Schon in seinen Eröffnungsworten an die Laienrichter erhebt Arthofer aber schwere Vorwürfe gegen die Polizei: "Das ist kein rechtsstaatliches Handeln", nimmt er auf die Protokolle des zuständigen Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Wien Bezug.

Denn tatsächlich seien praktisch alle acht Aussagen der damals einschreitenden Polizistinnen und Polizisten wortident. Damit nicht genug: Laut Inhalt eines Protokolls habe die Zeugenaussage eines Beamten von 10 Uhr bis 10 Uhr gedauert. Wobei das Deckblatt des Protokolls bereits um 9.45 Uhr ausgedruckt worden ist.

Protokolle waren bereits unterschriftsreif

Die als Zeugen erschienenen Polizisten bestätigen, dass die Niederschriften schon fertig ausgedruckt waren, als sie vom LVT befragt wurden. Einer erinnert sich, dass der Kollege vom Staatsschutz ihm erklärt habe: "Du bist einer der Letzten, du wirst eh nicht viel was anderes sagen."

Wie sich vor Gericht heraus stellt, divergieren die Erinnerungen der Polizisten aber ganz erheblich. Der erste Zeuge sagt, die italienischen Fans seien vor dem Stadion in ihrer Muttersprache von der Polizei informiert worden, dass sie noch etwas warten müssten. Darauf seien italienische Lieder gesungen worden, eine kleine Gruppe habe dabei mehrmals "Sieg Heil" geschrien und den rechten Arm ausgestreckt.

Ein anderer wiederum will nur eine Person gesehen haben, die den faschistischen "Saluto Romano" zeigte, aber nichts gehört haben. Wieder ein anderer berichtet, eine unbekannte Zeugin habe die Polizisten aufgefordert, die "Sieg Heil"-Rufe zu unterbinden. Der nächste hat keinen "Hitlergruß" gesehen, sondern eine geballte Faust. "Das wäre jetzt aber ganz falsch, das wäre 'Hoch die internationale Solidarität'", merkt der Vorsitzende an.

Widersprüchliche Angaben der Polizei

Zwei Beamte berichten, die Gruppe habe betrunken gewirkt, sei untereinander eingehakt gewesen und habe laut geschrien. "Moment, wie kann man sich gleichzeitig einhängen und den Hitlergruß zeigen?", fragt eine Geschworene misstrauisch. Seltsam kommt den Berufs- und Laienrichtern auch vor, dass nur die kleine Gruppe laut gewesen sein und deshalb die Aufmerksamkeit der Beamten auf sich gezogen haben soll. Einer der exekutiven Zeugen behauptet, es seien nur 800 italienische Anhänger vor Ort gewesen, obwohl selbst in der offiziellen Presseaussendung der Polizei vom Spieltag von "etwa 1.600 Auswärtsfans" zu lesen war.

Warum genau die vier Angeklagten eineinhalb Stunden später am Schwedenplatz identifiziert werden konnten, bleibt ebenso unklar. Keiner der Beschuldigten kann vor Gericht von irgendeinem der Zeugen eindeutig wiedererkannt werden.

"Einer hat geglaubt, etwas gehört zu haben"

Für Verteidiger Arthofer ist der Fall klar: Seine Mandanten seien unschuldig und hätten mit dem Nationalsozialismus oder dem Faschismus nichts am Hut. "Es war ein Wunschdenken der Polizei. Einer hat geglaubt, dass er was gehört hat, und alle anderen Beamten haben sich dann angeschlossen", ist er überzeugt.

Die Geschworenen sehen das ebenso und sprechen die Touristen nach kurzer Beratung einstimmig frei. Da die Staatsanwältin keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. "Grazie" und "Auf Wiedersehen", sagen die Angeklagten noch zu den Geschworenen, ehe Olschak die Verhandlung mit "Finito" schließt. (Michael Möseneder, 9.12.2019)