Der wahre Kern einer Familie offenbart sich meist in Krisensituationen so richtig, bei Scheidungen, Beziehungsproblemen oder nach Todesfällen. Wir haben drei Experten, die Menschen beruflich in diesen Phasen begleiten, gefragt, welche Schlüsse sie aus ihren Erfahrungen ziehen. Und ob Liebe ein Garant für Zusammenhalt ist.

Astrid Just ist Familientherapeutin am Institut für Systemische Therapie in Wien. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.
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Gut in Krisen werden

Ständig neue Veränderungen meistern, das ist Familie, sagt die Psychotherapeutin Astrid Just und meint es lebenslänglich.

"Es geht in meiner Arbeit als systemische Therapeutin oft darum, welche Vorstellungen die Menschen von Familie haben, also meist um ein Idealbild davon, wie Zusammenleben zu sein hat. Dabei ist Familie so vielfältig, so dynamisch und wandelbar. In Wirklichkeit ist es ein ständiger Veränderungsprozess.

Zuerst findet sich ein Paar, dann kommen Kinder: für die Partnerschaft eine riesige Herausforderung! Zwischen Eltern und Kindern findet ab dem Abstillen ein Ablösungsprozess statt. In fremde Betreuung entlassen, Kindergarten, Schule, Pubertät: All das sind aus therapeutischer Sicht potenzielle Veränderungskrisen, und viele meiner Klienten und Klientinnen sind erstaunt, dass nicht nur sie allein in schwierigen Situationen sind, sondern es eigentlich bei allen so ist. Entscheidend ist nur, wie man mit diesen Problemen umgeht und in Krisen mit sich selbst und den anderen zurechtkommt.

Erschwerend ist, dass in Familien Verhaltensmuster weitergegeben werden, ohne dass es den Beteiligten bewusst ist. Wer als Kind von den Eltern angeschrien oder abgewertet wurde, macht es als Erwachsener mit den eigenen Kindern oft genauso. Vor allem in Stresssituationen, also genau dann, wenn es Probleme gibt, regieren die Emotionen. Da schreit man dann los.

Was ich sagen will: Auch der Erziehungsstil vererbt sich über Generationen. Im Rahmen einer Therapie können solche unbewussten Mechanismen erkannt werden. Idealerweise entwickeln Eltern Fähigkeiten, sich besser regulieren zu können. Das können Tricks sein: Wenn man wütend wird, aus dem Zimmer gehen, zum Beispiel, bis zehn zählen, durchatmen – das kann nützen, muss aber oft geübt werden.

Wenn Familien zu mir in Behandlung kommen, können sie durch den Streit und Enttäuschung die Sicht des anderen oft nicht mehr wahrnehmen. Meine Aufgabe als Coach ist es, einen Rahmen zu bieten, in dem jeder gehört wird. Familientherapie bedeutet, nicht nur Defizite zu sehen, sondern auch zu erkennen, was bereits gelingt. Krisen sind Chancen! Es lohnt sich deshalb auch bei Trennungen, sich begleiten zu lassen. Ob gemeinsam oder getrennt: Bindungen beschäftigen Menschen ein Leben lang. Am Ende ist Familie vor allem die Kunst, miteinander Veränderungen positiv zu bewältigen."

Helene Klaar ist als Anwältin für ihre Familienrechtsexpertise bekannt. Sie erhielt Wiens Frauenpreis für Verdienste um Frauen im Scheidungsfall, ist verheiratet und hat zwei Söhne.
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Die Familie ist keine Idylle

Mit Familien hat die Wiener Scheidungsanwältin Helene Klaar meist dann zu tun, wenn sie sich auflösen.

"Was ich in meinem Beruf über Familie gelernt habe? Eigentlich nichts. Weil ich ja immer nur mit gescheiterten Beziehungen beschäftigt bin, diese sind aber nicht der Regelfall. Doch ich habe ein paar strukturelle Dinge begriffen: zum Beispiel, dass sich Kinder aus ihrer Schwäche heraus am sogenannten Rudelhund orientieren. In Familien, in denen der Vater dominant auftritt, die Kinder also bemerkenswert unsolidarisch mit der Mutter sind. Im Gegenteil: Sie versuchen, sich mit dem Vater zu arrangieren.

Ich habe auch gelernt, dass es Erziehungsmodelle gibt, von denen ich nicht gedacht hätte, dass sie noch existieren. Dass Kinder – das sind Einzelfälle – dazu trainiert werden, sich besonders gut zu benehmen, nicht zu widersprechen, schön zu sitzen, brav zu essen. Ich habe die Familie nie für eine Idylle gehalten. Man sollte sie nicht idealisieren. Ich rate Paaren trotzdem zu heiraten. Lebensgefährten sind die letzten Rechtlosen in der Gesellschaft.

Ob es Ehen für die Ewigkeit gibt? Ganz viele Ehen halten für immer. Aber wenn sie bestehen, dann kommen die Leute nicht zu mir. Entstehende Familien sehe ich fast nie. Manchmal schließe ich Eheverträge ab. Diese erscheinen mir jedoch nur sinnvoll, wenn zwei nicht mehr ganz junge Personen eine jeweils zweite Ehe schließen wollen.

Man muss sich nicht sofort scheiden lassen, wenn die Ehe nicht so verläuft wie im Film. Nirgendwo steht, dass Liebe die Grundlage der Ehe ist. Sie ist ein Vertrag, der etwa zur Treue und zum Beistand verpflichtet. Es geht nicht in erster Linie um romantische Gefühle, sonst wäre die Ehe nicht im ABGB geregelt. Eine Ehe ist natürlich leichter zu führen, wenn man einander sympathisch ist.

Wenn der Leidensdruck zu groß ist, ist es sicher besser, man lässt sich scheiden, als man stirbt an einem Magengeschwür. Viele meiner Klienten sind Frauen. Sie brauchen in der Ehekrise fast immer einen Anwalt, weil sie in der Regel so betroffen sind, dass sie nicht an finanzielle, zukunftsweisende Dinge denken. Eine Klientin hat einmal gesagt, das Schwerste ist, sich daran zu gewöhnen, dass dein Partner, der immer das Beste für dich wollte, dein Gegner ist. Da hat sie recht."

Michael Umfahrer ist Präsident der Österreichischen Notariatskammer. Er ist verheiratet und hat drei Kinder
Foto: Richard Tanzer

Den Streitfall vorher regeln

Mit rechtzeitigen Regelungen ersparen sich Familien viele Probleme, weiß der Notar Michael Umfahrer.

"Durch meine Arbeit als Notar weiß ich, wie wichtig es für Familien ist, schon im Vorhinein über mögliche Probleme nachzudenken. Zum Beispiel bei Partnerschaften: Mitten in einer Ehekrise ist es weitaus schwieriger, sich zu einigen, weil Emotionen alles überlagern. Eine Lösung zu finden, die aus der Sicht beider Partner gerecht wirkt, ist dann schwierig. Deshalb empfehle ich jedem, rechtzeitig – wenn man sich gut versteht – eine gemeinsame Regelung zu treffen, um sich später Konflikte zu ersparen. Gerade in unserer Zeit, in der Partnerschaften selten ewig halten, ist das vernünftig.

Ähnlich sehe ich das bei der Weitergabe von Familienunternehmen, die ich notariell begleite. Da rate ich zu einem längerfristigen Plan, mit dem die Zuständigkeiten und Kompetenzen der jüngeren Generation schrittweise gesteigert werden. Zugleich ist es sinnvoll, schriftlich festzuhalten, dass die ältere Generation nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen abgesichert ist. So kann man beiden Generationen einen Handlungsspielraum geben und dafür sorgen, dass sich niemand übervorteilt fühlt.

Als Notar sehe ich meine Aufgabe darin, die Wünsche der Familien, die zu mir kommen, in die rechtlich bestmögliche Form zu gießen. Meine juristische Perspektive ist auch hilfreich, um Lücken in den Überlegungen der Betroffenen aufzuspüren, die ihnen selbst gar nicht bewusst sind.

Da gibt es im Gespräch dann manchmal ein Aha-Erlebnis, wenn ich darauf hinweise, welche Optionen überhaupt zur Verfügung stehen. Etwa die verschiedenen Möglichkeiten für ein Paar, die Verlassenschaft zu regeln. Manche davon erfordern mehr wechselseitiges Vertrauen, andere weniger. Ein Testament ist ja jederzeit einseitig widerrufbar. Da muss man sich im Gespräch klar werden, ob man lieber die sicherere Variante eines Vertrages oder die flexiblere Variante wählt, die mehr Vertrauen voraussetzt.

Als Notar schlüpft man in solchen Situationen schnell einmal in die Rolle des Mediators, der zwischen emotionalen und sachlichen Zugängen vermitteln muss. Was ich dabei auch gelernt habe: Es gibt Fälle, in denen durch unerwartbare Umstände selbst die beste Regelung im Nachhinein versagt. Gerade das macht das menschliche Element dieser Tätigkeit aus. (Protokolle, aufgezeichnet von Karin Pollack, Oona Kroisleitner, Theo Anders, 20.12.2019).