Weihnachtsbücher 2019

2019 ist eines der spannendsten Fischbücher für Nichtjapaner erschienen, eines der wenigen Kochbücher, die sich der italienischen Regionalküche abseits von Venedig und Sizilien widmen, und einen der interessantesten Sammelbände für historisch interessierte Esser und Köche gibt's endlich als Taschenbuch. Hier meine allvorweihnachtliche Kochbuch-Bestenliste. Wie immer gilt: Die Bücher sind nicht unbedingt 2019 erschienen, ich habe sie bloß in dem Jahr gelesen oder viel benutzt.

The Whole Fish Cookbook (Josh Niland)

Foto: Tobias Müller

Selten hat ein Buch so viele Vorschusslorbeeren bekommen wie "The Whole Fish" von Josh Niland. Sowohl der Kollege Corti als auch der große Luki Mraz haben es mir unabhängig voneinander empfohlen, und die Lobgesänge auf dem Cover stammen unter anderem von Rene Redzepi ("inspirier read"), Rick Stein ("a revelation"), oder Nigella Lawsin ("Josh is a genius").

Niland ist Chefkoch des St. Peter, einem Fischrestaurant in Sydney, und betreibt außerdem die Fish Butchery, einen Fischladen, in dem er dem Fisch genau die gleiche Sorgfältigkeit und Liebe zum Detail widmen will, wie das in schicken, modernen Fleischereien mit Säugetieren passiert. Im Restaurant (und im Buch) verkocht Niland wirklich jedes Teil bis hin zu Knochenmark und Schwanzflosse, den Innereien ist gleich ein eigenes Kapitel gewidmet.

Er empfiehlt, Fisch nach dem Fang niemals mehr mit Wasser in Berührung zu bringen und also nicht zu waschen, damit er länger hält und sein Geschmack nicht leidet. Er räumt mit dem Fisch-muss-frisch-sein-Mythos auf und lässt seine Fische in bester japanischer Tradition mitunter mehrere Wochen trocken reifen. Und er beschäftigt sich ausgiebig mit so essentiellen Fragen wie "wie wird die Fischhaut richtig knusprig?".

Vieles, was Niland da leidenschaftlich beschreibt, ist in fischverliebten Kulturen wie China und Japan Standard, und es ist ziemlich schön, dass das jetzt alles auch auf Englisch zu lesen ist. Einige der Rezepte sind eher für professionelle Köche geeignet (Fischaugen-Chips aus dem Thermomix, anyone?), Hobbyköche können sich aber über eine Fülle an Informationen und Tipps freuen – vom Zerlegen des Fisches bis hin zu Techniken fürs Pochieren oder das Knusprigkriegen der Fischhaut.

Die Fotos sind spektakulär, Nilands Fischsuppe umwerfend schön und ziemlich sicher auch so gut, und es macht jedenfalls mächtig Lust, bald wieder eine Scholle zu grillen oder Sardinen zu frittieren.

Whole Fish Cookbook


Naples at Table (Arthur Schwartz)

Foto: Tobias Müller

Bevor ich eine Gegend erstmals besuche, kaufe ich mir meist ein Kochbuch. Als ich vor knapp zwei Jahren das erste Mal nach Neapel gekommen bin, habe ich mir ein wenig schwergetan. Denn während man ganze Bibliotheken mit selbsternannten italienischen Kochbüchern füllen kann, wird die Auswahl erstaunlich dünn, wenn es um regionale Küchen (abseits von Venedig oder Rom) geht.

Das Erste, das ich ge- und für gut befunden habe, war Andrew Schwartz’ etwas seltsam benamstes "Naples at Table" . In dem Buch steckt weit mehr, als das dämliche Pizza-Cover vermuten lassen würde: Die Einleitung ist eine kurze Version der höchst komplizierten Geschichte der Stadt, besser geschrieben als in den meisten Reiseführern, und im Buch verteilt finden sich immer wieder kleine Exkurse, die übers rein Kulinarische hinausgehen – etwa ein eigenes kleines Kapitel zu Pulcinella, dem so wichtigen Kasperl Neapels oder San Gennaro, dem allgegenwärtigen zweiten Schutzpatron der Stadt (nach dem noch alllgegenwärtigeren Diego Maradona).

Die Rezeptsammlung ist erfreulich umfassend und folgt weniger dem imaginierten Geschmack eines amerikanischen Publikums als dem, was in Neapel tatsächlich tagtäglich gekocht wird: Es finden sich hier Rezepte für all die Arme-Leute-Klassiker wie Pasta e Patate (Kartoffeln), Pasta e Ceci (Kichererbsen) oder Pasta e Fagioli (Bohnen), mehrere Versionen für Genovese oder den berühmten Kanincheneintopf Ischias sowie einige aufwendige altmodische Rezepte aus jener Zeit, als die Neapolitaner angeblich den Franzosen das Kochen beigebracht haben.

Ich habe in den vergangenen Jahren zahlreiche nachgekocht und war fast immer zufrieden. Bloß das Pizzateig-Rezept war ein Reinfall – kein Wunder allerdings, käme doch kein Neapolitaner jemals auf die Idee, das zu Hause zu machen. Das Buch ist vergriffen, aber antiquarisch günstig zu haben.

Naples at Table


Food of the Italian South (Kathie Parla)

Foto: Tobias Müller

Ich bin das erste Mal auf Katie Parla durch ihren Blog aufmerksam geworden: Ich habe ihn erst nach einiger Zeit in Neapel entdeckt, mich dann durchgeklickt und höchst erfreut festgestellt, dass wir offenbar einen sehr ähnlichen Geschmack haben. Ich kann ihren Restaurant-Empfehlungen uneingeschränkt zustimmen, und auch ihre Warnungen sind grundvernünftig. Ich habe sie angeschrieben, und wir haben uns ein wenig über überschätzte und verkannte Pizzerien ausgetauscht. Als dann kurz darauf ihr erstes Buch über Süditalien erschienen ist, "Food of the Italian South", habe ich freudig zugeschlagen.

Kathie schert sich noch weniger als "Naples at Table" um Italien-Klischees, ganz im Gegenteil finden sich in dem Buch kaum Klassiker, sondern stattdessen Rezepte, die anderswo eher selten beschrieben werden, von Kutteln mit Kräutern bis hin zu Minestra Maritata, der berühmten süditalischen Schweinssuppe, die es hier demnächst einmal geben soll. Das Buch enthält deutlich weniger Kulturgeschichte als "Naples at Table", dafür jede Menge kleine Geschichten und Informationen über Zutaten oder regionale Spezialitäten. Und weil es doch deutlich neuer ist, sieht es deutlich besser aus – im Gegensatz zu Schwartz’ Buch gibt es hier professionelle (Food-)Fotografie.

PS: Nicht, dass es mich überrascht hätte, aber auch das Pizzateig-Rezept aus diesem Buch ist wenig brauchbar. Glücklicherweise gibt es hier ein hervorragendes. Amerikaner machen nämlich, im Gegensatz zu (Süd-)Italienern, tatsächlich zu Hause selber Pizza.

Food of the Italian South


Food – the History of Taste (Edited by Paul Freedman)

Foto: Tobias Müller

Jedes Mal, wenn ich in Berlin bin, so zwei, dreimal im Jahr, gehe ich ins schöne "Do You Read Me" und kaufe einen Sack Bücher und Magazine. (Ich mache das schon so lange, dass ich das Fressmagazin-Regal immer größer und größer und schließlich wieder kleiner und kleiner werden gesehen habe). Meine diesmal beste Entdeckung war "Food – the History of Taste", ein Sammelband mit Aufsätzen verschiedener Wissenschaftler, herausgegeben und kuratiert von Paul Friedmann. Das Buch ist erstmals bereits 2007 erschienen und nun heuer endlich als Taschenbuch herausgekommen.

Die Texte darin spannen einen Bogen von der Steinzeit bis (fast) ins Heute: Ich habe etwas über archäologische Erkenntnisse zum Geschmack von Neandertalern gelernt (je stinkiger, desto besser), über Esskultur im persischen Reich, darüber, wie ein Exil-Bagdader das mehrgängige Menü nach Europa gebracht hat, über die Geschichte der chinesischen Küche und dass in China Wissen um gutes Essen, im Gegensatz zu Europa, immer schon zur Grundbildung des Gentlemans gehört hat, oder über die Geschichte des europäischen Restaurants und die (gar nicht so lange) des amerikanischen Steakhauses.

Wie das bei Sammelbänden so ist, schwankt die Qualität der Beiträge ein wenig, alles in allem ist mir aber schon sehr lange nicht mehr eine so gute, so faszinierende, so lesbare intelligente Beschäftigung mit Essen untergekommen. Ich habe es von vorn bis hinten wie einen Roman gelesen (nur in dem Kapitel über mittelalterliche Kochbücher habe ich, glaube ich, dann doch ein paar Seiten überblättert.) Wer das nicht will, kann sich dem Buch aber natürlich auch einfach wie einem Lexikon nähern. Eine schwere Empfehlung für alle Menschen mit nur ein bisschen Interesse an kulinarischer Geschichte.

Food – The History of Taste


Ambrosia

Foto: Tobias Müller

Hinter Ambrosia steckt Adam Goldberg, der einst sehr früh bei Google dabei war, auch sonst als Programmierer genug Geld verdient hat und das seither bevorzugt in Essen und Trinken investiert. Der Blog "A Life Worth Eating" und das Kaffeemagazin Drift sind ebenfalls ihm zu verdanken.

Für Ambrosia hat sich Goldberg Bonjwing Lee geschnappt, der einst als Ulterior Epicure einen der interessanteren Fine Dining Blogs geschrieben hat. Genauso wie Drift widmet sich jede Ausgabe des Hefts ausschließlich einer Stadt und beleuchtet ihre Kulinarikszene – von berühmten Köchen bis zu den Produzenten. Das Ganze leidet zwar mitunter ein wenig unter der Kinfolk-Ästhetik und mitunter bemühter Ernsthaftigkeit – abgesehen davon ist es aber immer wieder eine Freude, Ambrosia zu lesen oder zumindest durchzublättern.

Die meisten Beteiligten haben eine Ahnung von dem, was sie das schreiben, und ich glaube, es gibt derzeit wenige kompetentere Fine-Dining-Führer für eine Stadt. Vielleicht am allerbesten: Es ist komplett werbefrei. (Ich habe keine Ahnung, wie sich das rechnet, aber den Verdacht, dass es sich schlicht nicht rechnen muss). Die aktuelle Ausgabe ist übrigens London gewidmet. Besonders schön: Die Fergus-Henderson-Würdigung und das Porträt von Brat, einem Restaurant, das seit dem Artikel hoch oben auf meiner "To eat"-Liste steht.

https://ambrosiamag.com

Häuptling eigener Herd (Vincent Klink, Wiglaf Droste)

"Häuptling eigener Herd" habe ich erst entdeckt, als es bereits viel zu spät war. Die Zeitschrift, die sich im Impressum so charmant vorgenommen hatte, "so vierteljährlich wie möglich" zu erscheinen, gibt es bereits seit 2013 nicht mehr. Bis dahin aber hat der deutsche Koch Vincent Klink sich hier mit seinen essaffinen Freunden ausgetobt und einige wirklich charmante, intelligente, lustige Hefte gemacht, wie es das auf Deutsch und für den deutschen Markt wohl kaum vorher und sehr wenig nachher gegeben hat.

Stolze 56 Ausgaben sind erschienen, so unterschiedlichen Themen wie "Wurst" oder "Märchen" gewidmet. Ich habe mich zum Beispiel mit den Pilzen wunderbar unterhalten. Die Hefte sind nicht mehr ganz leicht zu bekommen (https://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-927350-17-5). Für alle, die wie ich zu spät draufgekommen sind, trotzdem aber noch einen Blick reinwerfen wollen: Die wunderbare Buchhandlung 777 gleich hinter dem Stephansdom in Wien hat noch eine auf Lager. Wer den Besitzer nett fragt, wird gut beraten. (Tobias Müller, 15.12.2019)