Weihnachten ist für die Frage nach dem Licht eigentlich ein ziemlich gutes Beispiel. Schon alleine weil es nicht nur im christlichen Advent um das Mehr an Licht just dann geht, wenn es immer dunkler wird: Das jüdische Channukah-Fest etwa findet (oh Zufall!) ziemlich genau zur gleichen Zeit statt.

Auch hier wird kontinuierlich mehr Licht angezündet, wenn es früher und früher dunkler wird. Vermutlich gibt und gab es das so oder ähnlich noch in 1.001 anderen Religionen aller Epochen.

Foto: Thomas Rottenberg

Natürlich gibt es dafür immer gute, nicht infrage zu stellende religiöse Gründe. Und zu behaupten, dass Menschen sich seit jeher im Dunkeln schlicht und einfach weder wohl noch sicher fühlen, greift zu kurz. Ganz bestimmt.

Aber im Grunde ist das ja auch egal. Und hat mit Laufen wenig bis gar nichts zu tun. Oder? Oder.

Denn Laufen, eigentlich jedwede Bewegung im Freien bei schlechter Sicht, ist natürlich ein Lichtthema. Das sagt auch die Unfallstatistik: Von den knapp über 4.000 Fußgängerunfällen im Straßenverkehr ereignen sich über 30 Prozent zwischen November und Jänner. Generell, also übers Jahr verteilt, passieren vier von zehn Fußgängerunfällen im Dunkeln. Obwohl da nur 20 Prozent der Fußgänger unterwegs sind.

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Der Grund dafür ist so banal, dass man ihn kaum zu benennen wagt: Im Dunkeln sinken Sichtbarkeit und Sehleistung. In der Dämmerung und im Dunkeln sieht der Mensch um bis zu 80 Prozent schlechter. Eine dunkel gekleidete Person ortet man daher erst, wenn sie nur noch 25 Meter entfernt ist. Das entspricht bei einem Fahrzeug, das mit 50 km/h unterwegs ist, in etwa dem Anhalteweg – also der Zeit zwischen dem Erkennen eines Hindernisses und dem Stillstand des Fahrzeugs.

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Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass Fahrzeuglenker bei schlechter Sicht eben nur so schnell unterwegs sein dürfen, dass sie ein plötzlich auftauchendes unbeleuchtetes Hindernis auf keinen Fall erfassen würden. "Fahren auf Sicht" nennt man das in der Fahrschule.

Nur möchte ich mich gerade dann, wenn es dunkel und düster ist, nicht darauf verlassen müssen: Im Herbst und im Winter leuchte ich zwar nicht wie ein Christbaum, achte aber doch darauf, helles, idealerweise auch reflektierendes Zeug zu tragen. Ja, auch in der Stadt: Einen hell gekleideten Menschen sieht man im Dunkeln meist schon aus 40 bis 50 Metern Entfernung. Einen Reflektor schon aus bis zu 150 Metern. Ein Unterschied, der mitunter zwischen Leben und Tod entscheiden kann.

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Falls Sie zu den langjährigen Leserinnen oder Lesern dieser Kolumne gehören und ihnen das alles irgendwie bekannt vorkommt: Ja, diese Geschichte schreibe ich alle Jahre wieder. Und jedes Jahr denke ich mir, dass es doch eigentlich überflüssig sein müsste, auf dermaßen banale Fakten hinzuweisen.

Aber dann laufe ich eben doch jedes Jahr wieder Menschen über den Weg, die außer Schwarz nur Grau tragen – und die ich sogar als Fußgänger oder Läufer erst sehe, wenn ich fast in sie hineinrenne.

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Nicht, dass ich da wirklich besser als andere wäre: Den Fehler, im Dunkeln Ton in Ton mit der schwarzen Luft loszulaufen, mache ich jedes Jahre wieder – und zwar genau ein Mal. Auch am Rennrad erwische ich mich jeden Herbst einmal im Wald im Zwielicht ohne Licht und Reflektoren. Ebenfalls: genau ein Mal – ab dann leuchte und strahle ich wie der schon erwähnte Christbaum. Auch wenn das natürlich keine Garantie gegen das Übersehenwerden ist, erhöht es meine Überlebenschancen doch signifikant.

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Sichtbar zu sein ist weder teuer noch eine Geheimwissenschaft: Mittlerweile sind in den meisten Laufschuhen, aber auch in und auf den meisten Lauf- und Radkleidungsstücken zumindest ein paar kleine Alibi-Reflektornähte "ab Werk" appliziert. Helle oder reflektierende Bänder oder Aufkleber gibt es um fast kein Geld in jedem Baumarkt, in Sportgeschäften oder als Giveaway von politischen Parteien über Verkehrslobbys bis hin zur ÖBB und anderen Mobilitätsanbietern. Und auch viele Funktionstextilherstelller haben mittlerweile eigene "Safety"-Outfits im Portfolio.

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Wobei es da gar nicht darum geht, dass man groß- bis ganzflächig reflektiert: Licht, das auf einen Reflektor (bei Kleidung sind das meist rund 50 Mikrometer dünne Glaskugeln auf einer hauchdünnen Trägermembran) trifft, wird genau in dem Winkel zurückgeworfen, in dem es auftrifft. Darum werden Reflektorfolien idealerweise an intensiv bewegten Stellen des Körpers angebracht. Die Bewegung erhöht die Chance, dass das Lichtsignal auch beim "Empfänger" ankommt, die Positionierung an den "Ecken" des Körpers "zeichnet" darüber hinaus auch eine Silhouette, die das Objekt im Idealfall zu erkennen gibt: ein Fahrrad. Ein Kind mit Schultasche. Ein Läufer ...

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Mit Weihnachten hat das natürlich wirklich wenig bis gar nichts zu tun.

Oder vielleicht ja doch: Als ich für die Bilder dieser Kolumne vergangene Woche zwischen sechs und sieben Uhr morgens ein paar Weihnachtsmärkte in Wien ablief, traf ich etliche "dunkle" Läuferinnen und Läufer.

Einige, Wien ist ja auch nur ein Dorf, kenne ich. Man grüßt einander. "Du schaust ja aus wie ein Christbaum", grinste einer. Ich nickte: "Mit Gründen." Er lachte: "Hast eh recht. Und weißt du was? Das bringt mich auf eine Idee für Weihnachtsgeschenke. Für Läufer im Freundeskreis – und auch für mich selbst." (Tom Rottenberg, 11.12.2019)

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