Blick auf die Manot-Höhle in Israel. Im eingerahmten Bereich wurden die Zähne von Menschen gefunden, die teils Neandertaler-, teils Homo-sapiens-Merkmale aufwiesen.
Foto: Israel Hershkovitz/American Friends of Tel Aviv University

In den paar tausend Jahren, seit es historische Aufzeichnungen gibt, hat sich die Besiedlungsgeschichte Europas als wechselvoller Prozess von Wanderungen, Landnahme, friedlicher Vermischung, gewaltsamer Eroberung und Vertreibung sowie schleichendem Wandel der Bevölkerungsstruktur präsentiert. Ein ebenso faszinierender wie frustrierender Gedanke ist, dass das in den zehntausenden Jahren vor der Entwicklung schriftlicher Aufzeichnungen kaum anders ausgesehen haben dürfte – es wurde nur von niemandem dokumentiert, und archäologische Zeugnisse lassen die damaligen Ereignisse nur vage erahnen.

Im Dunkel der Vorgeschichte

Hinweise auf ein solches vergessenes Ereignis fanden israelische Forscher in der Manot-Höhle im Westen Galiläas. Die dortigen Funde führen sie auf das sogenannte Aurignacien zurück, die erste Kultur, die der von Südosten her eingewanderte Homo sapiens in Europa etabliert hatte. Hinterlassen hat diese Kultur Werkzeuge aus Knochen, aber auch Schmuck, Musikinstrumente und Höhlenmalereien. Ihr Anfänge gehen etwa 43.000 Jahre zurück, sie erstreckte sich über Teile West- und Osteuropas und hatte ihren Ursprung vermutlich im Herzen des Kontinents.

Vor 40.000 bis 38.000 Jahren scheinen Menschen aus dieser Kultur aber wieder den Weg zurückgegangen zu sein, den ihre Vorfahren einst genommen hatten, um die Levante zu besiedeln. Oder genauer gesagt: den Weg, den manche ihrer Vorfahren genommen hatten. Ein Teil dieser Menschen wies nämlich die Merkmale der ursprünglichen Bevölkerung Europas auf, der Neandertaler. Laut dem Team um Rachel Sarig von der Universität Tel Aviv könne es zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Menschen von Manot auf eine regionale Mischpopulation zurückgingen – es spreche aber einiges dafür, dass sie aus Nordwesten eingewandert sind.

Die Zähne sind etwa 38.000 Jahre alt.
Foto: Rachel Sarig

Als Beleg für ihre Vermutung dienen den Forschern sechs menschliche Zähne, die in der Höhle entdeckt wurden. Der Fund schreit zwar nach einer DNA-Analyse, für die im "Journal of Human Evolution" veröffentlichte Studie wurde aber die Morphologie herangezogen. Mittels Mikrotomografie und 3D-Analysen untersuchte das Team, dem auch Kollegen aus den USA und Österreich angehörten, Struktur und Form der Zähne, insbesondere die topografischen Merkmale der Zahnoberfläche.

Das Ergebnis: Zwei Exemplare zeigten die typische Morphologie von Homo-sapiens-Zähnen, einer die von Neandertalerzähnen und einer eine Merkmalsmischung aus beidem. Im Aurignacien hatte sich also Homo sapiens mit dem Neandertaler vermischt, und das lag noch nah genug in der Vergangenheit, dass das Neandertaler-Erbgut bei manchen Menschen durchschlug. Heute macht Neandertaler-DNA nur noch wenige Prozent unseres Genoms aus.

Womit die Archäologie mit ihren Methoden allerdings auch an ihre Grenzen gelangt ist. Warum diese Menschen Europa verlassen haben und zurück nach Südosten gegangen sein sollen, darüber kann man nur spekulieren. Ebenso unbekannt ist das weitere Schicksal dieser altsteinzeitlichen Kolonisten: Laut Sarig existierte die Kultur an der Levante etwa 2.000 bis 3.000 Jahre lang. Danach verschwand sie – leider ohne dass ein Chronist zur Stelle gewesen wäre, um uns zu überliefern, warum. (jdo, 1. 1. 2020)