Der Normandie-Vierer in Paris.

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Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran." An diese Zeilen aus einem Song der Gruppe Fehlfarben erinnerten die Politikerstatements nach dem Pariser Normandie-Gipfel: Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sprach von "progrès", also Fortschritt, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel davon, "die Zeit des Stillstands überwunden" zu haben. Der russische Präsident Wladimir Putin zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis, sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj meinte immerhin, in den Verhandlungen ein Unentschieden herausgeholt zu haben.

Selbst in Kiew, wo im Vorfeld massiv gegen Verhandlungen mit Russland protestiert wurde, herrschte Zufriedenheit. Nachts um drei räumten die Organisatoren der Bewegung "Keine Kapitulation" das Zeltlager vor der Präsidialverwaltung. Ihre Begründung: Die Staatschefs beim Normandie-Gipfel in Paris hätten nichts verabredet, folglich habe auch ihr eigener Präsident Wolodymyr Selenskyj keine roten Linien überschritten. Die große Furcht speziell der nationalistischen Kräfte in der Ukraine war, dass der politische Newcomer Selenskyj sich in Paris vom jahrzehntelang amtierenden Wladimir Putin über den Verhandlungstisch ziehen lasse und auf der Suche nach einem Kompromiss nationale Interessen der Ukraine missachte.

Kleine Fortschritte

Dass in Paris nichts verabredet wurde, stimmt nicht. Doch die Fortschritte sind so klein, wie die Verhandlungen zäh waren. Konkret beschlossen wurden ein vollständiger Gefangenenaustausch und eine weitere Truppenentflechtung an drei Stellen entlang der Konfrontationslinie. Eine gesamte Entmilitarisierung der Pufferzone zu vereinbaren ist nicht gelungen. Die beiden Punkte sollen aber spätestens ab dem Jahreswechsel eine stabile Waffenruhe im Donbass gewährleisten.

Zweifel an der Haltbarkeit der Feuerpause hat sogar Selenskyj: "Zwanzigmal schon haben alle Seiten eine Feuerpause vereinbart, und zwanzigmal wurde sie gebrochen", sagte der ukrainische Präsident. Er versprach zwar, dass die Einhaltung der Waffenruhe "ernsthaft" überwacht werden soll, doch zugleich räumte er ein, nicht zu wissen, wie die Lage vollständig zu kontrollieren sei.

Das Festschreiben der Steinmeier-Formel, die einen Teil der Umsetzung des Minsker Abkommens in zeitliche Rahmen setzt, wird vor allem in Russland als Verhandlungserfolg gefeiert. "Selenskyj hat noch nicht verstanden, welches Spiel er spielt", sagte der russische konservative Politologe Alexej Tschesnakow, der Putin als "starken Verhandlungsführer" lobte. Die ukrainische Führung habe erstmals ihre Verpflichtung zur Einhaltung des Minsker Abkommens bestätigt. Versuche Selenskyjs, Teile des Abkommens umzuschreiben, seien gescheitert, so die Moskauer Lesart.

Streit um Reihenfolge

Der Streit über den Modus der Wahlen im Donbass-Gebiet als Teil einer friedlichen Regelung bleibt indes weiter bestehen. Selenskyj besteht darauf, Wahlen erst nach dem Abzug aller ausländischen Truppen unter Gesetzgebung der Ukraine und Kontrolle der OSZE abzuhalten. Putin wiederum will erst in der Region abstimmen lassen, ehe er der Ukraine die Kontrolle über die Grenzen gewährt. Ein heikler Gegensatz: Denn es geht darum, wer den Abstimmungsvorgang in den Separatistengebieten kontrolliert, wovon letztlich auch das Ergebnis abhängen dürfte.

Wie etwaige Wahlen im Donbass im Herbst 2020 organisiert werden sollen, ist unter diesen Umständen noch unklar. Doch zumindest Macron verbreitete Optimismus: In vier Monaten werde es einen weiteren Gipfel geben, wo diese Frage geklärt werden soll, kündigte er an. (André Ballin, 10.12.2019)