Sorgte 2003 für goldige Erregung: Der "Arc de Triomphe" der Künstlergruppe Gelatin (heute: Gelitin).

MdM

Die österreichische Künstlerin Florentina Pakosta hielt dem männlich dominierten Kunstbetrieb in den 1970er-Jahren mit überdimensional gezeichneten Männerköpfen eine Art Spiegel vor. Folgerichtig starrt einem ihr "Herrscher" aus eben dieser Serie jetzt im Museum der Moderne, dem MdM, auf dem Salzburger Mönchsberg in einem Ausstellungskapitel über "Nischenplätze" entgegen.

Es geht um unterrepräsentierte weibliche Positionen in der Sammlung, die sich selbst zwangsläufig als hauptsächlich "männlich, weiß, österreich" charakterisieren muss. Ein Alleinstellungsmerkmal ist das nicht: Es trifft auch auf andere österreichische Museumssammlungen zu, die für sich beanspruchen, die wichtigsten Entwicklungslinien österreichischer Kunst vor und nach 1945 bis in die Gegenwart nachzuzeichnen, und die damit trotz inzwischen eingesetzter Trendwende nach wie vor zu einem sehr großen Teil die Kunst von Männern meinen.

Geschlechterverhältnisse

Aber: Groß umstürzlerische Absichten stecken hinter dem Salzburger Blick auf die eigenen Leerstellen und Lücken nicht. Aktionistisch am Kanon rütteln, gar ein Jahr lang nur Kunst von Frauen ausstellen oder ankaufen, wie das zuletzt internationale Museen angekündigt haben? Alles nur "Marketing-Gags", winkt MdM-Chef Thorsten Sadowsky ab.

Ihm geht es in "Die Spitze des Eisbergs" eher um eine "Evaluierung" – und da kommt man eben auch an den Geschlechterverhältnissen nicht vorbei. Es sind aber auch andere Selbsterkenntnisse willkommen, wenn bisher nie oder selten Gezeigtes aus den insgesamt fast 55.000 Werke umfassenden Sammlungen (die hauseigene, die Fotosammlung des Bundes und die Sammlung Generali Foundation) zutage gefördert wir, um zugleich zu erörtern, was Museumsarbeit heutzutage eigentlich bedeutet.

Pimmel-Posse

Ein ambitioniertes Unterfangen aus Anlass des 15-jährigen Gründungsjubiläums des Museumsstandorts Mönchsberg. Zwölf Kuratorinnen und Kuratoren waren daran beteiligt. Sie werfen Fragen auf: Wie und nach welchen Kriterien entstehen Sammlungen? Wie werden sie erforscht? Welche Geschichten lassen sich mit ihnen erzählen? Und: Besteht die Identität eines Museums auch aus der Summe der Skandale, die es provoziert hat?

Jedenfalls wird diesen reichlich Platz eingeräumt: Zur gesamt-österreichischen Empörung artete 2003 die Salzburger Pimmel-Posse um den Arc de Triomphe der Künstlergruppe Gelatin (heute: Gelitin) aus. Wie es zunächst zur Einhausung, schließlich zum Abbau der Skulptur auf dem Max-Reinhardt-Platz kam, kann man in Dokumenten nachlesen, von der Arbeit selbst blieb in Salzburg nur ein Gipsmodell erhalten.

Geblieben ist außerdem die Frage, wie Kunst in die jeweilige gesellschaftliche Verfasstheit ihrer Zeit einzuschlagen vermag. Die Aufregung um die 1982 von Friedensreich Hundertwasser an der Fassade des Rupertinums angebrachten "Zungenbärte" wirkt gegen den Arc de Triomphe rückblickend jedenfalls wie ein Weichspülprogramm.

Unterschiedliche Perspektiven

Dafür, dass sich im Museum in gewisser Weise die Welt spiegelt, stehen in der Schau unter anderem Arbeiten von Andrea Fraser und Michael Kienzer. Um Einblick in die umfangreiche Skulpturensammlung zu geben, hat man eine Depotsituation nachempfunden. Akte von Egon Schiele oder Johannes Itten führen vor, aus welch unterschiedlichen Perspektiven man die Darstellung entblößter Körper betrachten kann. Und spezielle Aufmerksamkeit verdient fraglos auch die Entwicklungsgeschichte der vom MdM seit 2014 verwalteten Sammlung Generali Foundation mit der bewussten Abkehr vom eurozentristischen Fokus und dem Aufbau einer Sammlung internationaler Videokunst.

Fazit aus dem Eisberg-Massiv? Am Ende bleiben Museen doch stets auch der Spiegel dessen, was sie sich zu präsentieren entscheiden. Pakostas "Herrscher" etwa, seit Anfang der 1990er Jahre im Sammlungsbestand, wird erstmals auf dem Mönchsberg ausgestellt. Das gilt aber auch auch für ein Kleinod aus dem Frühwerk Arnulf Rainers: Die Blätter aus der 1954 entstandenen "Proportionen"-Mappe geben einen sehenswerten Einblick in seine Beschäftigung mit höchst abstrakten Farb- und Formfindungen. (Ivona Jelčić, 11.12.2019)