Robert Redford wurde in Marrakesch für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

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Der Mann im schlabberigen roten Hemd balanciert seine Baseballmütze lässig am Knie. Es stimmt also, auch mit 83 Jahren kann man noch den Charme eines Sonnyboys versprühen. Zumindest dann, wenn man Robert Redford heißt. Lebenserfahrungen formuliert er zu knappen Maximen, in ihrer Prägnanz eines Konfuzius würdig. "Ich glaube an Risiken", sagt er zum Beispiel. "Denn es ist immer ein Risiko, keines einzugehen. Das ist der einzige Weg, um voranzukommen."

Dass er diesen Mut nie verloren hat, davon zeugt sein Leben: vom Schauspieler zum Regisseur, vom Regisseur zum Produzenten und Gründer des Sundance-Festivals, das zu einem Symbol des Independent-Films wurde. Auf dem Filmfestival in Marrakesch wurde der Star am Samstag mit einem Preis für sein Lebenswerk geehrt. Am Abend davor lief "Butch Cassidy and the Sundance Kid" am Djemaa el fna, dem berühmten Tummelplatz der Gaukler. Das Kino konkurriert dort mit Lauten und Trommeln, Henna-Tattoo-Anbietern und Schlangenbeschwörern.

trigon -film

Redford hat sich den Spätwestern von George Roy Hill selbst ausgesucht. In der Master-Class erzählte er, dass eigentlich er die Rolle des Butch spielen sollte. Doch die Rolle des cooleren Outlaws habe den Newcomer damals mehr angesprochen. Paul Newman sagte nicht Nein.

Redford sollte mit seinem Einsatz für Unabhängigkeit auch ein Beispiel für Marrakesch sein. Zwei Jahre lang hat das Festival unter der künstlerischen Leitung des Deutschen Christoph Terhechte neue Wege beschritten, 2020 zieht er weiter nach Leipzig. Terhechte, davor Leiter der Forum-Sektion der Berlinale, hat vor allem arabischen und afrikanischen Kino mehr Platz eingeräumt. Ob sein Weg der Öffnung weitergeht, ist ungewiss, Nachfolger gibt es noch keinen.

Lokalgrößen und Stars

Auf dem unter der Patronanz des Königs stehenden Festival huldigt man seit jeher auch dem Glamour. Die Gegensätze sind groß: Stars wie Harvey Keitel oder Marion Cotillard posieren am roten Teppich, während die Bevölkerung bei freiem Eintritt ins Kino gelockt wird. Bei den Screenings im Cinéma Le Colisée in der Neustadt ist die Stimmung jedoch lebhaft und diskussionsfreudig. Terhechtes Konzept, mit Lokalgrößen zu punkten, findet Anklang.

Im marokkanischen Kino selbst sind die Impulse einer neuen Generation unübersehbar. Gleich zwei Filme landeten 2019 in Cannes, "Adam", der von einem Akt der Solidarität zwischen Frauen erzählt, und "Le miracle du saint inconnu", der in Marrakesch im Wettbewerb lief. Alaa Eddine Aljem verwebt in seiner Burleske die Geschichte eines mürrischen Diebs mit jener einer rückständigen Dorfgemeinschaft, die sich an das Glücksversprechen eines Schutzheiligen klammert. Der Tonfall des in der Steinwüste gedrehten Films ist lakonisch, die Handlung dreht hübsche Pirouetten um schwermütige Figuren, die meist nicht weit genug denken und deshalb auch auf der Stelle treten. Jim Jarmusch könnte ein Vorbild sein.

"Filme wie 'Le miracle du saint inconnu' zeigen, wie das neue arabische Kino selbstbewusst ein neues Selbstbild kreiert", bestätigt Rémi Bonhomme, Leiter der Semaine de la Critique in Cannes. In Marrakesch organisiert er die Atlas Ateliers, ein idyllisch im Garten eines Country-Clubs gelegenes Branchenevent, in dem 28 kommende Filmprojekte aus Afrika und der arabischen Welt präsentiert werden, darunter aus so unbekannten Filmländern wie Tansania. Am Ende der Tagung wurden Förderpreise (insgesamt 66.000 Dollar) vergeben, einer der Finanziers ist Netflix, das viel in regionalen Content investiert.

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Von der Entwicklung würden laut Bonhomme beide Seiten profitieren: Der Konzern fügt sich als weiterer Player in eine gut vernetzte Produktionslandschaft, die sich vom europäischen Markt emanzipieren will. Er erlebe gerade eine große Dynamik, so Bonhomme. "Das arabische Kino entdeckt Genrearbeiten, das ist ein neuer Weg, sich mit postrevolutionären Realitäten zu befassen."

Nicht umsonst war Mati Diops im Senegal angesiedeltes Drama "Atlantique" (seit Freitag auf Netflix) auch in Marrakesch in aller Munde. Diops poetische Verquickung von Sozialdrama mit Horrormotiven steht für eine Lust an hybriden Erzählformen. Es gibt noch weitere Beispiele wie "Tlamess" vom Tunesier Ala Eddine Slim, eine hypnotische Parabel auf den Ausbruch zweier Menschen aus festen sozialen Gefügen, die immer fantastischere Züge annimmt. Er erhielt den Regiepreis.

Eine andere Geschichte von Selbstermächtigung erzählt der Dokumentarfilm "Talking About Trees" von Suhaib Gasmelbari. Er begleitet Suliman und drei weitere nimmermüde Vertreter einer älteren sudanesischen Filmemachergeneration dabei, wie sie ein Freiluftkino wiederzubeleben versucht. Ein schönes Beispiel dafür, wie das afrikanische Kino sich seiner Traditionen vergewissert und sie zugleich neu entdeckt. (Dominik Kamalzadeh, 10.12.2019)