Monika im Obdachlosenquartier Favorita. Zuteilungen sind immer nur für ein paar Tage.

Foto: Robert Newald

Wien – Seit Anfang November herrscht Chaos in Monikas Leben. Drei Dinge fehlen: ihr Lebensgefährte, ihre Wohnung und ihr Hund. Sie war im Spital, als ihr Freund sich das Leben nahm. Und weil die gemeinsame Wohnung auf ihn lief, konnte sie nicht dorthin zurück, sagt Monika. Von einem Tag auf den anderen wurde sie obdachlos.

45 Frauen können seit Anfang November im Quartier Favorita unterkommen.
Foto: Robert Newald

Erst kam sie bei Bekannten unter, sagt sie, Kaffeetasse vor sich auf dem Tisch, die schmale Hand liegt daneben. "Aber man will ja nicht stören", sagt Monika, "die haben Kinder." Das ist, glaubt man Experten, recht typisch für Frauen ohne Wohnung. Sie würden versuchen, möglichst lange den Schein von Normalität zu wahren, länger als die meisten Männer, sagt Gabriele Mechovsky. Sie hat das Tageszentrum Ester für obdachlose Frauen in Wien aufgebaut und arbeitet nun im Chancenhaus Obdach Favorita, das sich ebenfalls an Frauen richtet. Männer würden schneller Obdachloseneinrichtungen nutzen, sagt sie.

500 Frauen nutzen Winterangebote

Immer wieder liest man, dass die weibliche Obdachlosigkeit steigt. Gesicherte Zahlen dazu gibt es kaum, höchstens für einzelne Regionen. So stieg etwa in Salzburg der Anteil der betroffenen Frauen um fünf Prozent, während die Gesamtzahl sank. Die Zahl der Nutzerinnen des Winterpakets in Wien bleibt relativ konstant: um die 500, zeigen Daten des Fonds Soziales Wien.

Bei der oberösterreichischen Arge Sie beobachtet man einen Anstieg der Frauen, die Unterstützung brauchen. Lydia Wizany arbeitet seit 19 Jahren im Projekt: "Im Jahr 2001 hatten wir etwa 50 Frauen in der längerfristigen Begleitung oder Beratung, letztes Jahr waren es 190." Grund dafür sei, so Wizany, dass leistbarer sozialer Wohnraum fehle. "Selbst das einschlägige ambulante und stationäre – größtenteils auf Männer ausgerichtete – Hilfesystem reagiert nur sehr zögernd auf die spezifischen Problemlagen der weiblichen Klienten", schreibt die Arge in einem Bericht.

Häufiger von Delogierung betroffen

Doch die Dunkelziffer dürfte bei wohnungslosen Frauen höher ausfallen. Etwa ein Drittel des Angebots der Wiener Wohnungslosenhilfe wird von Frauen in Anspruch genommen. In der Delogierungsprävention der Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) aber liegt der Anteil der Frauen bei über der Hälfte. Viele Frauen fügen sich lieber ungesunden Abhängigkeitsbeziehungen, als auf der Straße zu schlafen, und landen damit in der sogenannten verdeckten Wohnungslosigkeit.

Nächtelang irrte Monika verwirrt durch die Gegend, erzählt sie und zeigt ihre Hände. Verfärbt von der Kälte sind sie, die Fingerspitzen sind rissig. Seit Anfang November war sie nicht mehr in der Wohnung, all ihre Sachen sind noch dort, "mein ganzes Leben", sagt sie.

Einkäufe gestohlen

Vom Novembergeld kaufte sie das Nötigste neu: Kosmetikprodukte, ein wenig Gewand, Hundefutter für Kira, ihren acht Jahre alten Pitbull-Labrador-Mischling. Das Meiste wurde auf der Straße gestohlen. Der Wollpullover, den sie trägt, ist eine Spende. Ein bisschen kurz ist er, sagt Monika und zupft am Ärmel, aber warm.

"Frauen bieten mehr Angriffsfläche"

Frauen sind, so sagt es Mechovsky, auf der Straße höherer Gefahr ausgesetzt, denn der öffentliche Raum ist männlich definiert. "Als Frau biete ich mehr Angriffsfläche", sagt Mechovsky, "ein verbaler Angriff ist da noch das Wenigste." Immer wieder würden Frauen mit Gewalterfahrung in die Einrichtung kommen. Generell aber gelte: "Niemand will, dass man mir ansieht, dass ich auf der Straße lebe", sagt Mechovsky. Oft sei es nur das viele Gepäck, das einen Hinweis auf die Problemlage gibt.

Heute sitzt Monika im Gemeinschaftsraum der Unterkunft Favorita, einem großen, hellen Raum, Holzstühle gruppieren sich um helle Tische. In ein paar Stunden wird sie ein warmes Abendessen bekommen, danach in ihr Bett gehen. Um die Ecke sind die Schlafzimmer, schlichte Räume mit drei, vier Stockbetten pro Raum, weiter hinten im Gang ein Bad. Es riecht nach Pressspan und Wandfarbe, erst seit ein paar Wochen ist die Notschlafstelle in Betrieb.

Ihre Hündin Kira aber ist im Tierquartier, Monika hat sie seit Tagen nicht mehr gesehen. Drei Hunde wären im Quartier zwar erlaubt, aber Monika befand, dass das nichts für Kira sei. "Sie hat schon so viel mitmachen müssen", sagt sie, hier seien zu viele Leute. Aber bald soll ein wenig Ruhe in das Chaos kommen. Monika wird in ein sogenanntes Chancenhaus ziehen, bis zu drei Monate kann sie dort wohnen. Wann genau sie dorthin kann, weiß sie jetzt noch nicht. Nur, dass Kira dort erlaubt sein wird. (Gabriele Scherndl, 27.12.2019)