Seit zwei Stunden ist weitgehend Ruhe. Die drei Neunjährigen lümmeln auf dem Sofa, jeder ein Smartphone in der Hand. Nur ab und zu wird die Stille durchbrochen: "Shit, ein Sturm!" oder "Okay, jetzt bin ich hin".

Sie spielen Fortnite: Battle Royale, ein kostenloses Onlinespiel, das seit zwei Jahren einen regelrechten Hype unter Kindern erlebt. Die friedliche Ruhe kippt nach zwei Stunden, als der Nachwuchs Schluss mit dem Zocken machen soll: "Bitte, Papa, nur noch eine halbe Stundäääää, bittääääää!"

Aus Sicht vieler Eltern brachten Smartphones, diese kleinen tragbaren Spielekonsolen, das Verderben ins Leben der Kinder. Ein Buch lesen? Sicher nicht. Etwas spielen, was nicht mit einem Display verbunden ist? Nö! Die Elfjährige, erzählt eine Mutter, hat sich neulich mit dem Handy aufs Klo verzogen. Eine Stunde lang. Eltern sind fast überrascht, wenn sich Kinder dann einmal miteinander unterhalten, statt in fröhlicher Eintracht auf ihre Displays zu glotzen. Was tun? Die Handys einziehen? Die Bildschirmzeit begrenzen? Einmal ganz dramatisch gefragt: Sind wir dabei, eine Gesellschaft der Spielsüchtigen zu erziehen?

Auf dem Foto haben sich Felix und Mathilda den Sitzsack geschnappt, um nach der Schule kurz abzutauchen in Tiktok und "Geometry Dash".
Foto: Frank Robert

Die Medienpädagogin Sonja Messner ist keine, die voreilig Alarm schlägt: "Es gibt überhaupt keinen Grund, sich Sorgen zu machen." Sie findet es sogar positiv, wenn Kinder sich treffen, um auf dem Handy oder der Playstation zu zocken. "Immerhin spielen sie etwas. Warum sollten Bauklötze denn so viel besser sein?" Und sie nimmt den Eltern ein wenig die Angst: "Wenn Kinder und Jugendliche übermäßig viel surfen und gamen, sind sie nicht automatisch süchtig."

Bis man von einer Sucht spricht, müssen schon mehr Kriterien erfüllt sein – und der Zeitfaktor sei dabei gar nicht so aussagekräftig. Das bestätigt auch der Psychotherapeut Dominik Batthyány von der Mediensucht-Beratungsstelle der Sigmund-Freud-Privatuniversität: "Das Handy ist nicht die Ursache einer Sucht. Eher ist das exzessive Spielen oder Surfen eine Problemlösungsstrategie. Und das Problem besteht schon, bevor man ein Smartphone dafür benutzt."

Warum ausgerechnet Jugendliche zu einem übermäßigen Digi-Konsum neigen, ist aus seiner Sicht ganz logisch: "Die Pubertät ist eine Krisenzeit. Ein Handy eignet sich hervorragend, um abzutauchen und sich zurückzuziehen." Deswegen sollten Eltern die Mediennutzung ihrer Teenagerkinder aufmerksam beobachten. Ist das Kind sehr ängstlich oder gereizt? Wirkt es traurig? "Erst wenn es sonst keine Hobbys gibt und der Nachwuchs wirklich nonstop am Smartphone hängt, ist das nicht normal", sagt Betthyány. Ein gesunder Ausgleich sei wichtig. Verliert das Kind plötzlich alle Interessen und Freunde, sollte man sich an eine Beratungsstelle wenden.

Verbote sind zwecklos

Die Medienpädagogin Sonja Messner trifft in ihren Workshops oft auf besorgte Eltern. Dann betont sie, dass Verbote nicht sinnvoll sind, um den Konsum einzuschränken. "Ich erlebe häufig, dass Eltern ein Handyverbot als Strafe einsetzen", sagt Messner. "Das zwingt die Kids ja quasi dazu, Dinge zu verheimlichen oder zu lügen." Außerdem seien die Kinder sehr trickreich, wenn es darum geht, ein Verbot zu umgehen.

Schlauer ist es, das Gamen und Surfen zu erlauben, um ein wenig den Überblick zu behalten, was der Nachwuchs online so treibt: "Man kann ja auch Interesse an dem zeigen, was sie da so machen." Vielleicht kommen ja auch manche Eltern auf den Geschmack und bauen ihr eigenes Dorf bei Clash of Clans oder werden Schweinezüchter bei Hay Day (soll vorkommen!). Den Austausch, das Gemeinschaftsgefühl könnten Familien ja eigentlich auch im Umgang mit Smartphones erleben.

Eltern dürfen sich auch ein wenig entspannen, wenn ihr Teenager sich nurmehr hinter einem Bildschirm versteckt: "Ab zwölf Jahren entziehen sich viele Teenies immer mehr der Kontrolle der Eltern. Das ist ganz normal und führt im besten Fall zu einer gesunden Autonomie." In diesem Alter gibt es laut der Expertin kaum etwas, das die Kinder vom Internet fernhält. Für Eltern sei es wichtig zu wissen, dass sie nichts falschgemacht und ihr Kind auch nicht in virtuellen Welten verloren haben. Messner: "Um sie immer wieder einmal vom Handy wegzubringen, muss man ihnen trotzdem Alternativen bieten, die interessanter sind." Wenn das Kind auf Angebote wie Fußballspielen, Rodeln oder Trampolinhalle nur achselzuckend reagiert, sollten Eltern nicht beleidigt sein. "Gerade in dieser Phase darf man das Kind nicht im Stich lassen. Man muss ihm vermitteln, dass man immer als Ansprechperson zur Verfügung steht." Sonst könnte sich der Teenager noch mehr zurückziehen.

Der Psychotherapeut Batthyány warnt davor, dass ein Smartphone (im wahrsten Sinne) zu sehr in die Beziehung zwischen Eltern und Kind hineinfunkt. Wer sich über die ständig am Bildschirm klebenden Kids mokiert, der solle einmal besser sein eigenes Verhalten prüfen. Bereits auf dem Spielplatz sieht man mehr Eltern, die lieber ihre Facebook-Nachrichten checken, als den Sandkuchen ihres Fortpflanz zu bewundern. Kinder registrieren jedoch sehr gut, ob ihre Eltern abgelenkt und nicht wirklich aufmerksam sind. Messner: "Kinder bekommen auf diese Weise vermittelt: Das Handy ist wichtiger als ich." Eltern sollten deshalb in Gegenwart ihrer Kinder die Handynutzung stark einschränken. "Der Effekt dieser Vorbildwirkung ist extrem: Wenn Eltern ständig am Smartphone kleben, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder permanent darum betteln, auf 95 Prozent."

Ab wann das erste Smartphone?

Spätestens ab der zweiten Klasse Volksschule plagt viele Eltern die nächste Gewissensfrage: Braucht mein Kind nun ein Smartphone? Praktisch ist es ja, man kann anrufen und fragen, ob das Kind bereits auf dem Nachhauseweg ist, ein Spielnachmittag bei Freunden lässt sich spontan organisieren. Oder ist es nicht doch noch ein bisserl zu früh?

In Österreich besitzt bereits die Hälfte der Acht- bis Zehnjährigen ein Smartphone. Ein geeignetes Alter fürs erste Handy gibt es laut Messner nicht: "Jedes Kind ist anders. Jede Familie ist anders." Oft hängt diese Entscheidung auch davon ab, ob die anderen Kinder in der Klasse bereits eines besitzen. Wenn das Kind ein Schlampertatsch ist, kann man überlegen, ob ein Teil des Taschengeldes für das Smartphone oder die monatliche Handygebühr verwendet wird. Das hat laut Messner eine symbolische Wirkung: Das Handy hat einen Wert, ist nichts Selbstverständliches.

Vor allem aber sollten sich Eltern fragen, ob sie ihr Kind reif genug für ein Smartphone halten – und wofür das Gerät tatsächlich benutzt wird. Wer sich selbst nicht ganz sicher ist, findet unter saferinternet.at gute Hinweise. Die Expertin empfiehlt, mit dem Kind offen über die möglichen Gefahren zu sprechen: "Viele Kinder können die Sorgen der Eltern gut nachvollziehen, wenn diese erst einmal begründet werden." Im Gespräch kann man auch klären, welche Apps auf dem Handy installiert werden. Was Eltern unbedingt machen sollten: Die Privatsphäre- und Sicherheitseinstellungen selbst vornehmen – etwa bei Communitys und Diensten wie Tiktok, Snapchat oder Instagram. Und wenn das Kind Fotos ins Netz laden möchte, sollte es diese vorher den Eltern zeigen (oder die Eltern als Follower akzeptieren, damit sie Uploads und Postings ein wenig im Auge behalten können).

Man muss auch offen darüber sprechen, wie das Kind auf seltsame Nachrichten oder Freundschaftsanfragen von Unbekannten reagieren soll. "Erwachsenen fällt es dann auch leichter, das Kind loszulassen und zu vertrauen", sagt Sonja Messner. Schließlich sei ein eigenes Smartphone ja nicht der Weg in die komplette Kontrolllosigkeit.

Zusätzlich kann man mit dem Kind eine Art Vertrag über die Smartphonenutzung aushandeln. Ein kostenloses Tool, das schon für das junge Alter Regeln vorschlägt, gibt es unter mediennutzungsvertrag.at. "Den Vertrag sollten Eltern unbedingt ausdrucken, mit ihren Kinder unterschreiben und sichtbar aufhängen." Darin ebenfalls enthalten: Welche Konsequenzen es gibt, wenn die Regeln gebrochen werden. Dann erübrigen sich auch Diskussionen.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ein No-Go

Heimlich das Handy zu kontrollieren, das sei aber ein No-Go und ein großer Vertrauensbruch. Wenn man aus Sorge etwas auf dem Smartphone des Kindes prüfen will, dann soll dies immer in Anwesenheit des Kindes geschehen: "Man muss ihnen vermitteln, dass man nicht stöbern will, sondern vielleicht Gefahr besteht." Eltern müssen das gesunde Mittelmaß finden: Weder sei es klug, bei der Mediennutzung laissez faire zu agieren, noch übertrieben zu helikoptern.

Die neunjährigen Fortnite-Gamer haben sich mittlerweile mit den Skateboards nach draußen verzogen. Zurück in der Wohnung bleiben die Eltern, gebeugt über das ... Smartphone. Nur kurz tracken, ob die Kinder eh gut angekommen sind, drüben im Park. (Nadja Kupsa, 22.12.2019)