Wie kommt es, dass so viele Männer und Frauen, sobald in festen Händen, zum Sanitäter mutieren?

Foto: Getty Images/iStockphoto Fotograf: IPGGutenbergUKLtd

"Ich muss leider absagen", bekomme ich ständig von einem Freund zu hören. "Mein Süßer ist verkühlt, da möchte ich ihm selbstverständlich zur Seite stehen." Man ist versucht, ins Telefon zu stöhnen: "Echt jetzt? Der Schnupfen deines Freundes setzt auch dich schachmatt?" Schweigt aber natürlich.

Glaubt man einer finnischen Studie, laborieren rund zehn Prozent der europäischen Bevölkerung an einem Helfersyndrom. Eine Variation des Menschseins, denkt man – ideal, um sie als Arzt, Altenpfleger, Pfarrer oder Sozialarbeiter auszuleben.

Aber nein: Die meisten Leute, die sich in Schulen oder Operationssälen einsetzen, sind nicht nur von Mitgefühl, sondern auch von einem starken Realitätssinn getrieben. Ganz anders die vermeintlich guten privaten Geister: Mit tränennassen Augen bespielen sie rund um die Uhr die Schieflagen ihres manipulativen Partners.

Liebe auf Abwegen

Ein Jahr hemmungsloser Sex, dann nur mehr Sodbrennen, Ohrensausen, Bindehautentzündung: Wie kommt es, dass so viele Männer und Frauen, sobald in festen Händen, zum Sanitäter mutieren? Was ist da in der Kindheit so gründlich schiefgelaufen?

Offensichtlich versetzen uns Beziehungen, wenn sie denn endlich einmal wahr werden, in eine Art Schockzustand – die eine Hälfte reagiert darauf mit dem Krankheitsregister eines Volksschulkindes, die andere übernimmt den Part der aufopfernden Florence Nightingale.

"Ihm tut dauernd etwas weh", stellte gestern meine Freundin fest. Was sie nach zwanzig Jahren Ehe endlich nicht mehr davon abhält, ohne ihre bessere Hälfte ins Kino zu gehen.

Kein Quäntchen Trost

Wer sich zwanzig Jahre emotionale Erpressung ersparen will, sollte gleich am Beginn die James-Bond-Methode anwenden: Nehmen Sie einen harten Gegenstand, etwa einen Hammer, und hauen Sie Ihrem neuen Partner "versehentlich" auf den kleinen Finger.

Steckt er es nach einem kurzen Aufschrei weg, ist er der Richtige. Will er hingegen in die Notaufnahme zum Röntgen gefahren werden und verlangt danach noch zwei Wochen Betreuung: Steigen Sie aufs Gas, bevor es zu spät ist.

Das Leben ist hart genug. Jeder grundvernünftige Chirurg würde einem raten: Banale Halsschmerzen sollte auch der liebste Mensch auf der Welt, sobald er volljährig ist, allein hinbekommen. (Ela Angerer, RONDO, 9.1.2020)