Der VfGH sieht die Autokennzeichenüberwachung und den Bundestrojaner als verfassungswidrig an.

Foto: APA

Den Bundestrojaner wird es nicht geben. Zumindest nicht in der Form, in der er ab 2020 Österreich hätte heimsuchen sollen: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat nun mehrere Gesetzesmaßnahmen, die die türkis-blaue Regierung als "Sicherheitspaket" zusammengefasst beschlossen hatte, fast gänzlich gekippt. Am Mittwoch sagte Christoph Grabenwarter, Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs: "Die verdeckte Erfassung und Identifizierung von Lenkern, die Verarbeitung von Daten aus Section-Control-Anlagen durch Sicherheitsbehörden, die geheime Überwachung verschlüsselter Daten und die Ermächtigung zur Installation eines Programms zur Überwachung von Bürgern" seien allesamt rechtswidrig.

Bundestrojaner

Bei dem Bundestrojaner handelt es sich nach den Plänen der abgesetzten Regierung um eine staatliche Spionagesoftware, die es ermöglichen soll, auch die Kommunikation in verschlüsselten Messengerdiensten wie Whatsapp oder Signal auszulesen. Die Einführung wäre für April 2020 vorgesehen gewesen. Geplant war, diesen bei Verbrechen mit einer Strafobergrenze von mehr als zehn Jahren, bei einem Verdacht auf terroristische Straftaten oder bei Straftaten gegen Leib und Leben sowie gegen die sexuelle Integrität mit einer Strafobergrenze von mehr als fünf Jahren einzusetzen.

Aber auch Kontakte einer verdächtigen Person, etwa auf Facebook, hätten betroffen sein können. Zudem sollten die Überwachten gar nicht über die Maßnahme informiert werden. Aus Sicht des (VfGH) ist das allerdings ein "gravierender Eingriff" in die Privatsphäre. So handle es sich bei den eingegeben Daten um hochsensible, private Informationen.

Der Staat könne anderenfalls Rückschlüsse auf die Gedanken des Nutzers, seine Vorlieben, seine Neigungen und seine Orientierungen ziehen. Somit handle es sich bei der verdeckten Überwachung um einen schwerwiegenden Eingriff des Grundrechts aus Privatsphäre. Diese Form der Überwachung sei daher nur "in äußerst engen Grenzen" zulässig. Dazu kommt, dass vorgesehen war, dass bei einer physischen Installation ein heimliches Eindringen in eine Wohnung vorgesehen war. Dabei wäre zulässig gewesen, Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden. Der Verfassungsgerichtshof sieht darin einen Verstoß gegen die Unverletzlichkeit des Hausrechts.

Autobahnüberwachung

Bei Section-Control-Anlagen, die die Geschwindigkeit von Fahrzeugen innerhalb einer Wegstrecke messen, wollte man weitere Daten speichern. Bisher wurden Kennzeichen auf der Autobahn erfasst und überprüft. Wird ein Fahrzeug als gestohlen gemeldet oder fährt man zu schnell, werden die Informationen gespeichert, ansonsten kommt es zu einer Löschung. Neben diesem Abgleich sollten nun weitere Daten dazukommen: Die Marke, der Typ, die Farbe und eben das Kennzeichen sollten zwei Wochen lang gespeichert werden, im Verdachtsfall sogar fünf Jahre. Die Verfassungsrichter urteilten nun, dass es sich dabei um eine unzulässige Vorratsdatenspeicherung handelt. Damit sei ein "gravierender" (Grabenwarter) Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre und das Recht auf Datenschutz gegeben. Dieser sei allein schon deswegen "erheblich", weil die Maßnahme auch zur Verfolgung von Taten, die in den Bereich der leichtesten Vermögenskriminalität fallen würden, genutzt werden dürfen.

Bereits bei der Vorstellung des Gesetzesentwurfs hatten Datenschützer auf diesen Verstoß hingewiesen. Die Gesetzesmaßnahmen waren vor dem VfGH gelandet, nachdem sich die Neos gemeinsam mit der SPÖ beschwert hatten.

Weitere Maßnahmen bleiben

Auch Teil des Überwachungspakets war die SIM-Karten-Registrierungspflicht, die Anfang des Jahres umgesetzt wurde. Wer seitdem eine neue SIM-Karte erwirbt, muss sich erst ausweisen. Zudem wurde die Verwendung von IMSI-Catchern gesetzlich geregelt. Diese täuschen Smartphones ein mobiles Netz vor, sobald sich das Handy mit dem Gerät verbindet, werden Informationen über den Besitzer ausgelesen.

Weiters lockerte die türkis-blaue Regierung mit dem Überwachungspaket das Briefgeheimnis. Da illegale Drogen vermehrt im Darknet verkauft und dann per Post versandt werden, dürfen Behörden Sendungen, sofern eine gerichtliche Bewilligung besteht, abfangen. Außerdem wurde mit "Quick Freeze" eine anlassbezogene Speicherpflicht für Daten eingeführt. Nach behördlicher Anordnung müssen sie bis zu zwölf Monate aufbewahrt werden. Nach Bewilligung eines Richters müssen sie dann weitergereicht werden.

Die Autokennzeichenerfassung und der Bundestrojaner haben vor dem VfGH nicht standgehalten.
Foto: APA/Hans Punz

Neos und ÖVP erfreut, Grüne kritisieren (nur) FPÖ

Die Neos begrüßen den für sie erfolgreichen Ausgang der Drittelbeschwerde. Aus Sicht des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Neos, Niki Scherak, handle es sich um eine "klare Absage an die Überwachungspläne von Kurz und Kickl". Die Entscheidung sei "ein fulminanter Sieg" für Freiheit und Bürgerrechte.

Erfreut war man naturgemäß auch bei der SPÖ. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und Verfassungssprecher Jörg Leichtfried begrüßten das vorläufige Aus für die "vollkommen unverhältnismäßigen und überschießenden" Maßnahmen. Man werde auch bei einer neuen Regierung "ganz genau" hinsehen, um "derartige Angriffe gegen die Grundrechte" der Bürger abzuwehren.

Auch Ewa Ernst-Dziedzic, stellvertretende Klubobfrau der mit der ÖVP in Regierungsverhandlungen befindlichen Grünen, freute sich über den VfGH-Entscheid. Sie betonte, dass es gar nicht erst zum Beschluss solcher Maßnahmen hätte kommen dürfen, und übte explizit Kritik an den Freiheitlichen: "Eine FPÖ in der Regierung ist die beste Garantie dafür, dass unser Rechtsstaat schrittweise ausgehöhlt wird." Der netzpolitische Grünen-Sprecher Süleyman Zorba ergänzte: "Staatliche Spionage hat in einem demokratischen Staat nichts verloren." Doch das Überwachungspaket wurde maßgeblich von der ÖVP in die Wege geleitet, schon in vergangenen Koalitionen pochte sie auf Bundestrojaner und weitere Maßnahmen.

FPÖ unglücklich, ÖVP will prüfen

Thomas Lohninger von der Datenschutz-NGO Epicenter Works hofft auf eine wegweisende Wirkung: "Der Bundestrojaner ist nun in Österreich Geschichte", sagt er. "Er wurde 2016, 2017 und 2019 verhindert – es gibt nun keinen Spielraum mehr für staatliches Hacken."

Weniger beeindruckt über die Entscheidung zeigt sich die FPÖ, die einen "schlechten Tag für die Sicherheit der Österreicher" ortet. "Diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs macht den heutigen Tag zum Feiertag für die organisierte Großkriminalität und den terroristischen Extremismus", sagt FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl (FPÖ), zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses Innenminister. Kriminelle würden es der SPÖ und den Neos "danken".

Die ÖVP findet hingegen: "Entscheidungen der Höchstgerichte sind zu respektieren. Man muss jetzt genau prüfen, welche Bereiche betroffen sind." Maximilian Schubert, Generalsekretär des Providerverbands ISPA, schlägt für einen "grundrechtskonformen Austausch" zwischen Behörden und Anbietern der Messenger-Dienste spezialisierte, zentrale Anlaufstellen mit Experten aufseiten der Behörden vor.

Rechtskonforme Umsetzung "technisch unmöglich"

Auf die Frage, ob die kommende Regierung eine neue, rechtskonforme Version des Bundestrojaners einführen könnte, erklärt die Juristin Angelika Adensamer von Epicenter Works: "Ein System, das wirkliche alle rechtlichen Vorgaben erfüllt und zielgerichtet sucht, halte ich für technisch unmöglich". Der VfGH würde tendenziell nicht alle Fragen beantworten, wenn bereits ein rechtswidriger Punkt vorliegt – demnach könnte ein neuer Anlauf auch aus Gründen beanstandet werden, die aktuell nicht als unrechtmäßig erklärt wurden. (Muzayen Al-Youssef, Georg Pichler, 11.12.2019)