"Wenn eine Sau einen Palmwedel in das Haus ihres Besitzers trägt, heißt das, dass der Mann reich werden wird." "Wenn ein Hund vor seinen Besitzer im Staub scharrt und sich dann hinlegt, heißt das, dass die Frau des Mannes sich als gewohnheitsmäßige Ehebrecherin erweisen wird."

Tontafeln in babylonischer Keilschrift aus dem 1. Jahrtausend vor Christus enthalten hunderte von Sätzen wie diese, die aus dem Verhalten von Tieren Vorhersagen für die mit ihnen lebenden Menschen ableiten – oft in Bezug auf das sexuelle Verhalten. Diese Tafeln spiegeln den Glauben der alten Mesopotamier wider, anhand von Zeichen am Himmel und auf der Erde die von den Göttern beschlossene Zukunft erkennen zu können. Diesem Glauben, für den sie in der Antike berühmt waren, verdanken wir letztendlich, über die Vermittlung der Griechen und Römer, das Zeitungshoroskop oder auch das "Wissen" darum, dass eine von links (oder von rechts?) kommende schwarze Katze Unglück bringt.

Omina – Vorhersagungen mit Tieren

Insgesamt enthält das altmesopotamische Schrifttum aus dem Gebiet des heutigen Irak und Syrien viele zehntausend Vorhersagen oder "Omina" – solche mit Tieren wie oben, aber auch astrologische oder aus der Beobachtung der Innereien eines den Göttern geopferten Schafs abgeleitete. Die wissenschaftliche Erforschung dieses Materials ist heute weit darüber hinausgekommen, in diesen Texten nur Zeugnisse eines überholten Aberglaubens zu sehen. Tatsächlich sind sie wichtige Quellen für die Erschließung einer faszinierenden Kultur, die nicht nur die Schrift überhaupt erst erfunden hat, sondern auch über drei Jahrtausende ein schriftliches "Selbstporträt" in Form von schöner Literatur, religiösem Schrifttum, Kompendien traditionellen Wissens und Alltagstexten entwickelt hat, das reicher und komplexer ist als das jeder anderen antiken Kultur bis zu den Griechen. So beschäftigt sich etwa mein FWF-Projekt "Bestiarium Mesopotamicum" (Institut für Orientalistik der Universität Wien gemeinsam mit dem Austrian Centre for Digital Humanities der ÖAW) damit, erstmals die Tieromina zu sammeln und zu interpretieren.

Keilschrifttafel, das Verhalten von Hunden betreffend.
Foto: nicla de zorzi

Ein großer Teil unserer Arbeit beruht auf Material, das heute im Department of the Middle East des British Museum in London ist. In dieser größten Tontafelsammlung weltweit liegen tausende Bruchstücke von Tontafeln mit Listen von Vorhersagen. Wir sichten dieses zu einem beträchtlichen Teil noch unentzifferte Material, suchen zusammengehörige Bruchstücke (immer ein sehr schöner Moment, wenn das gelingt) und rekonstruieren so möglichst vollständige Tafeln. Diese stellen sich dann oft als Abschriften der einen oder anderen bekannten Sammlung von Vorhersagen heraus, deren Wortlaut so wiederhergestellt wird. Früher haben wir die Semesterferien regelmäßig im Tontafellesesaal des British Museum verbracht, heute ermöglichen uns gute Digitalfotos – eigene und jene des Museums –, einen großen Teil der Textarbeit bequem vom eigenen Schreibtisch aus zu erledigen.

Von Ähnlichkeiten und Assoziationen

Und was sagen uns nun diese Texte? Die alten Mesopotamier haben die Tierwelt genauso wie andere, spätere Kulturen dazu verwendet, um über ihre eigene Gesellschaft nachzudenken. Tiere wurden als Spiegel des menschlichen Charakters verwendet und dienten dazu, menschliche Eigenschaften und Beziehungen zu konzeptualisieren. Der schlaue Fuchs, der starke Löwe, das willfährige Schaf, das nur darauf wartet, zur Schlachtbank geführt zu werden, waren im alten Mesopotamien genauso sprichwörtlich wie heute. So haben auch die Tieromina nicht primär etwas mit beobachtbarem tierischem Verhalten zu tun. Alle Vorzeichen basieren auf Ähnlichkeit oder Analogie, das Zeichen ist mit dem Vorhergesagten durch eine Ähnlichkeitsrelation verbunden: Eine Sonnenfinsternis bedeutet den Tod des Königs, weil die Sonne den Himmel dominiert wie der König die Erde. So werden auch Tieromina auf der Basis dessen konstruiert, was man in Tieren an prototypisch "Menschlichem" zu erkennen meinte. Das "Bestiarium Mesopotamicum"-Projekt entwickelt im Augenblick digitale Werkzeuge, die erstmals diese tierbezogenen Assoziationen systematisieren und zugänglich machen werden: ein Repositorium eines wichtigen Aspekts altmesopotamischen Denkens.

Vom Verhalten der Hausschweine hat man auf das Verhalten der Besitzer geschlossen.
Foto: nicla de zorzi

Haustiere zum Beispiel werden allgemein mit ihrem Besitzer assoziiert, daher ist ein Schwein, das etwas in das Haus trägt, das Zeichen für Besitzvermehrung. Der Hund ist ein treuer und wertvoller Begleiter, ein fast schon vollwertiges Mitglied des Haushalts – aber eben nur fast: Das Animalische, das sich vor allem durch Kontrollverlust und Regelverstoß auszeichnet, ist bei ihm nie auszuschließen. Für die Autoren der Omina – Männer – war er daher die ideale Metapher, um über die Frau nachzudenken: durchaus geschätzt und wichtig, aber eben dem Mann grundsätzlich nicht gleichwertig. Auch sie neigten dazu, so das kulturspezifische Vorurteil der Zeit, sich nicht kontrollieren zu können (und mussten daher von Männern kontrolliert werden). Wenn sich also ein Hund verunreinigt, kann das als Zeichen für eine sexuelle Verfehlung der Ehefrau gewertet werden. So transportiert das Tier die Selbstsicht einer archetypisch patriarchalischen Gesellschaft. Wollten wir das heute in der Rückschau werten, könnten wir uns damit trösten, dass die Omina auch die typischen Ängste einer patriarchalischen Gesellschaft widerspiegeln: "Wenn sich ein Hund auf den Sessel eines Mannes setzt, heißt das, dass die Frau des Mannes ihn herumkommandieren wird." (Nicla De Zorzi, 18.12.2019)