Max Zirngast will gegen die Ermittlungen der österreichischen Behörden rechtliche Schritte einleiten.

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Max Zirngast galt auch für österreichische Behörden als Terrorverdächtiger. Wie zuerst der "Falter" berichtete, ermittelte die Staatsanwaltschaft Graz gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. So weit ist das ein normales Vorgehen, wenn ein Österreicher eine schwere Straftat im Ausland begangen haben soll. Doch zwei Dinge machen den Umstand besonders problematisch.

Erstens, so sehen es Zirngast und sein Anwalt Clemens Lahner, befeuerte die Staatsanwaltschaft Graz die türkischen Behörden in einem willkürlichen Verfahren. Nämlich indem sie dem Gericht in Ankara schrieben, Zirngast stehe auch aufgrund der "bisherigen Ermittlungen der österreichischen Kriminalpolizei im Verdacht (...), in der Türkei sich als Mitglied einer terroristischen Vereinigung" betätigt zu haben. Sie brachten ihn damit in Gefahr, argumentieren Zirngasts Unterstützer, vor allem, wenn man die Willkür türkischer Behörden bedenkt, von der Menschenrechtsexperten immer wieder berichten. Anwalt Lahner sieht darin "eine Frechheit", denn die Staatsanwaltschaft müsse sich – das ist in der Strafprozessordnung geregelt – so verhalten, dass sie "unnötiges Aufsehen" vermeidet und die Rechte der Betroffenen wahrt.

Die Staatsanwaltschaft Graz wiederum spricht von einem normalen Vorgehen und von einer "Aufbauschung" desselben. Man wollte lediglich Unterlagen von der Türkei anfordern und hätte prüfen wollen, ob die Vorwürfe nachvollziehbar sind. Das Verfahren hätte man eingeleitet, "weil der Verdacht in der Türkei so schwerwiegend war, dass dort die U-Haft verhängt wurde". So würde man bei jeder schweren Straftat im Ausland vorgehen, immerhin könne die Staatsanwaltschaft nicht "vom Schreibtisch aus" einem anderen Staat die Rechtsstaatlichkeit absprechen. Auch in Zukunft würde man in ähnlichen Fällen wieder so vorgehen.

Berîvan Aslan, Expertin für Menschenrechte in der Türkei und Nationalratsabgeordnete der Grünen, nennt das Vorgehen "skandalös", wenn man bedenke, welche Willkürjustiz in der Türkei herrsche. Sie sagt aber auch, ihr seien mehrere Fälle von Österreichern bekannt, die in der Türkei kurz festgenommen und dann nach ihrer Heimkehr erneut von österreichischen Behörden verhört worden seien. "Diese Praxis ist neu", sagt Aslan, "das gab es so früher nicht."

Terror, der keiner ist

Zweitens steht der Verdacht der Grazer Staatsanwaltschaft gegen Zirngast auf wackeligen Beinen. Denn die Terrororganisation, der er nach Ansicht der türkischen und dann auch der österreichischen Ermittler angehören soll, existiert so nicht. Diese gingen nämlich bei der Inhaftierung von Zirngast davon aus, dass er Mitglied der TKP-K sei, frei übersetzt der "Türkischen Kommunistischen Partei/Funke". Grund für diesen Verdacht war, dass bei der Hausdurchsuchung damals Literatur eines Autors mit dem Namen Kıvılcımlı, zu Deutsch "Funke", gefunden wurde. Nur: Die Organisation ist seit Jahren nicht mehr aktiv.

Weil nun aber das BVT in einem Bericht, der bei der Staatsanwaltschaft Graz landete, den Verdacht äußert, es könne sich dabei um eine Abspaltung der TKP-ML, der "Türkisch Kommunistischen Partei/Marxistisch-Leninistisch", handeln, war die Staatsanwaltschaft Graz in Sorge. Die nämlich existiert und wird in der Türkei – und nur dort, wie es laut Zirngast in dem Bericht heißt – als Terrororganisation geführt. Und: Sie machte aus dem Verdacht eine Erkenntnis.

Ungefähr zur selben Zeit gaben österreichische Politiker ganz andere Signale nach außen: Das Vorgehen der Türkei bezeichnete der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als "inakzeptabel", Ex-Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) sah "politische Gründe" hinter der Verhaftung des Steirers.

Was bisher geschah

Der Steirer Zirngast war gemeinsam mit mehreren türkischen Staatsbürgern im September 2018 in der Türkei wegen des Verdachts auf die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation festgenommen und vor Gericht gestellt worden. Am 11. September 2019 erfolgte der überraschende Freispruch aller Beteiligten. Zwei Wochen später kehrte der 30-jährige Politikwissenschaftsstudent und freie Journalist nach Österreich zurück.

Keine Antwort aus der Türkei

Übrigens: Die Türkei antwortete nie auf das Schreiben der Grazer, die Ermittlungen wären also bald angestanden, wäre Zirngast nicht inzwischen auch in der Türkei freigesprochen worden. Er und sein Anwalt legen nun Einspruch gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ein. Das ändert zwar am aktuellen Fall nichts mehr, weil die Ermittlungen ohnehin abgeschlossen sind, soll aber ein Exempel statuieren. Zirngast dazu zum STANDARD: "Es geht ums Prinzip. Die Sache ist wichtig für alle anderen, die noch in der Türkei inhaftiert sind oder die in Zukunft betroffen sind." (Gabriele Scherndl, 11.12.2019)